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Der Mann im Hintergrund: Andreas Kaernbach ist Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages.

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Kurator der Kunstsammlung des Bundestages: Der Herr über die Bilder der Macht

Nur wenige Bürger wissen, dass der Bundestag eine eigene Kunstsammlung unterhält. Andreas Kaernbach ist der Kurator der Artothek. 4000 Exponate sind es bereits. Kaernbach verwaltet die Sammlung und sichtet mögliche Neuankäufe.

Versonnen blickt Friedrich II. ins Leere. Fast ein wenig melancholisch. Was an dem romantischen Licht in der Fotografie liegen mag. Kein Heiligenschein, sondern eine moderne Wandleuchte, und der so eindrücklich Porträtierte entpuppt sich als Gipsabguss von Johann Gottfried Schadows Büste des Preußenkönigs. Die wiederum steht der Fotografie von Christoph Brech, Jahrgang 1964, direkt gegenüber. Eine Selbstbefragung der hintersinnigen Art. Zwischen Feingeist und Machtkalkül. „Möge der Ruhm sich meiner bedienen, um Ihre Erfolge zu krönen!“, schrieb Friedrich schon als Kronprinz 1736 an den verehrten Voltaire.

Das würden heutige Politiker so nicht sagen. Doch Kunst und Macht bilden nach wie vor eine eigenwillige Symbiose. Zumal in Zeiten, da die bildende Kunst als Statussymbol Hochkonjunktur hat. Wir sind einen Steinwurf vom Zentrum der Macht entfernt. Im Schadow-Haus, wo neben der Schadow-Gesellschaft das Kunstreferat des Bundestages residiert. Während die Kunst im Reichstagsgebäude hinlänglich bekannt ist, wissen nur wenige Bürger, dass der Bundestag eine eigene Kunstsammlung unterhält.

Abgeordnete können sich die Exponate für ihre Büros ausleihen

Deren Bestände sind bis heute auf mehr als 4000 Exponate angewachsen, die Abgeordnete für ihre Büros und die ihrer Mitarbeiter ausleihen können. Claudia Roth ist begeistert von diesem Angebot und den Kunst-am-Bau-Projekten in den Parlamentsgebäuden. Auch wenn im Büro der Bundestagsvizepräsidentin nur zwei Leihgaben neben privat gesammelten Bildern hängen – im Flur und in den Büros ihrer Mitarbeiter trifft man auf Fotografien wie die von Joseph Beuys als „Der Seher“, auf Grafiken von Hans Arp und Georg Karl Pfahler oder eine Material-Collage von Raffael Rheinsberg. „Viele der Kunstwerke reflektieren die Geschichte der Republik und bilden zum Teil auch einen Gegenpol zum Reichstag“, sagt die Grüne. „An diesem geschichtsträchtigen und so schwierigen Ort ist das ein Zeichen dafür, dass wir unsere Geschichte nicht verdrängen. Das nehmen besonders auch die Gäste aus anderen Ländern wahr.“

Die Idee zur Artothek stammt von Gustav Stein. CDU-Politiker, Mitbegründer des Kulturkreises im Bundesverband der Industrie, Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie und Kunstsammler. 1969 wurde ein Grundstock von 500 Grafiken zu maximal je 500 Mark erworben. Sieben Jahre später richtete Bundestagspräsidentin Annemarie Renger eine Kunstkommission mit festem Haushaltstitel ein. Nach der Wiedervereinigung und mit dem Umzug von Bonn nach Berlin erfuhr das Kunstengagement in der Amtszeit von Rita Süssmuth neue Dimensionen. Ein Kunstbeirat wurde zunächst für die Kunst im Reichstag einberufen. Heute entscheidet das neunköpfige Gremium unter Vorsitz von Bundestagspräsident Norbert Lammert über Ankäufe, über Ausstellungen im bundestagseigenen Kunst-Raum und über Kunst-am- Bau-Wettbewerbe. Mitglieder sind Kulturstaatsministerin Monika Grütters sowie Rüdiger Kruse und Dagmar G. Wöhrl für die CDU/CSU, Siegmund Ehrmann, Hiltrud Lotze und Ulla Schmidt für die SPD sowie Sigrid Hupach von der Linksfraktion und Claudia Roth.

Kaernbach besucht Ateliers, Galerien und Kunstmessen

Der Mann im Hintergrund ist Andreas Kaernbach. Sekretär des Kunstbeirates und Kurator der Kunstsammlung des Bundestages. Seit 1989 ist der promovierte Historiker und Kunsthistoriker nicht unwesentlich an deren Ausbau beteiligt. Auch wenn er kein Stimmrecht hat und betont: „Wir haben das große Glück, dass die drei Bundestagspräsidenten der letzten 25 Jahre engagierte Kulturpolitiker sind.“ Kaernbach und seine Stellvertreterin Kristina Volke pflegen den Kontakt zur Szene, besuchen Künstlerateliers, Galerien und Kunstmessen. „Die Sammlung soll einerseits den Dialog zwischen Politik und Kunst anregen, andererseits hat sie aber auch die Förderung insbesondere junger Künstler zum Ziel. Neben den traditionellen Medien werden heute auch Fotografien und Videokunst angekauft.“

Dafür stehen jährlich 175.000 Euro zur Verfügung. Plus ein Teil der Kunst-am-Bau-Gelder: zwei Prozent der Bausumme, von denen zehn Prozent für die Artothek zurückgestellt werden. Worüber der Kunstbeirat einmal jährlich abstimmt, kann von Kaernbach, aber ebenso von den Abgeordneten vorgeschlagen werden. Zudem können sich Künstler oder Galerien direkt bewerben. „Bei dem Jahresetat setzt natürlich ein Automatismus ein. Ein Vorschlag um 150.000 Euro hätte es da schwer und macht im Kontext der Sammlung auch wenig Sinn“, sagt Kaernbach. „Bei Werken um 5000 bis 10.000 Euro steigen die Chancen auf einen Ankauf erheblich.“

In Claudia Roths Räumen herrscht ein kühner Stilmix

Auch die Beratung der Volksvertreter gehört zu den Aufgaben des Kurators. Momentan liegen die Leihanfragen allerdings auf Eis, da die entsprechende Stelle unbesetzt ist. Doch Claudia Roth bestätigt ihm großes Einfühlungsvermögen. Denn zum Stöbern bleibt ihr keine Zeit. So herrscht im Büro ein kühner Stilmix. Quietschlebendig und authentisch. „Die Parlamentsgebäude sind ja kein Museum. Es geht darum, sich von der Kunst inspirieren zu lassen. Kunst vermittelt Lebendigkeit, kann Dinge anstoßen und durchaus auch wehtun. Dadurch wird sie zu einem wichtigen Teil der Demokratie“, sagt Roth. „Die Auseinandersetzungen zum Beispiel um die Installation von Hans Haacke haben schon etwas bewegt. Eine Rede, wie die von Navid Kermani zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes – das wäre früher nicht denkbar gewesen.“

So streitbar wie Haackes „DER BEVÖLKERUNG“ ist die Sammlung natürlich nicht. Eher breit gefächert und stilistisch bunt. Im Depot steht eine lyrische Landschaft von Max Peiffer-Watenpuhl zwischen einer Bronze von Otto Freundlich und Kisten der Kunstspedition. Eine abstrakte Gouache des 2013 verstorbenen Farbmagiers Gotthard Graubner neben einer Fotografie von Jens Liebchen – die Maurizio Nannucci 2003 beim Aufbau seiner Lichtinstallation in der Bundestagbibliothek zeigt – oder einer 1919 aquarellierten Lithografie von Walter Gramatté. Ein Spätexpressionist, den Kaernbach unterbewertet findet. Kunsthistorisch versteht sich. Denn der Marktwert interessiere ihn weniger. „Wir wollen mit den Kunstwerken arbeiten. Damit das Wissen um die Kunstwerke nicht verloren geht, veranstalten wir die öffentlichen Ausstellungen zu Künstlern, die in den Parlamentsgebäuden oder in der Sammlung vertreten sind, und es gibt Führungen zur Kunst für die Abgeordneten, ihre Mitarbeiter, die Verwaltung oder Besucher.“

Dass ihm die Vermittlung eine Herzensangelegenheit ist, zeigt sich nicht zuletzt in der aktuellen und überaus sehenswerten Ausstellung (bis 14. September). Hier taut der Herr der Bilder auf. Die blauen Augen blitzen hinter der randlosen Brille, wenn er historische Bögen schlägt: von Schadows „Münzfries“ als Kunst-am-Bau par excellence zu den Pferdedroschken am Pariser Platz, die Christoph Brech aus der Perspektive von Schadows Quadriga gefilmt hat, und den Benzinkutschen, die sie verdrängen. Eine gelungene Verschränkung von Alltag und hoher Kunst. Nicht nur für Abgeordnete erhellend.

www.kunst-im-bundestag.de

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 12. August 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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