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Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner nach der Wahlniederlage in Sachsen.

© dpa

Liberale Partei: Wie die FDP einen Neuanfang versucht

Ende August ging mit Sachsen auch das letzte politische Kernland der FDP verloren. Noch haben die Liberalen es nicht geschafft, ein politisches Angebot zu zimmern, das die Wähler überzeugt. Jetzt sollen Berater helfen.

Von Antje Sirleschtov

Sie nennt es „Strategieprozess“, hantiert mit „Fokusgruppen-Analysen“ und schiebt auf ihrem Laptop Ablaufcharts und Excel-Dateien hin und her. Die Rede ist von Nicola Beer. Die Mittvierzigerin ist seit Ende 2013 Generalsekretärin der FDP und füllt diesen Parteijob gerade mit Inhalten, die normalerweise nicht zur Stellenbeschreibung in deutschen Parteien gehören: Beer organisiert den Neuaufbau der Partei von Grund auf.

Die FDP ist vor knapp zwölf Monaten aus dem Bundestag geflogen, das letzte politische Kernland Sachsen ging Ende August verloren, und niemand will im Augenblick von der Generalsekretärin politische Statements hören. Stattdessen sind von Nicola Beer Managerqualitäten gefordert. Wäre die gelernte Bankkauffrau und Juristin im Hauptquartier eines großen Unternehmens beschäftigt, würde man ihre Aufgabe jetzt wohl mit „Strategischer Platzierung neuer Produktfamilien“ beschreiben. Und irgendwie ist es bei der FDP gerade genau so: wenig Geld, wenig Zeit, unklare Kundenpotenziale und starke Bewegungen im Markt.

Nicola Beer muss den Scherbenhaufen einer komplett verunsicherten Partei zusammenfegen und daraus ein politisches Angebot zimmern, das die Wähler überzeugt. Während Parteichef Christian Lindner in Interviews und Talkshows öffentlich gegen das Vergessen ankämpft, baut Beer das Backoffice um.

Partei brauchte Hilfe von außen

Im Zentrum steht dabei – wie könnte es anders sein – zunächst die Frage nach der Funktionstüchtigkeit der Marke FDP. Als sich Ende 2013 die neue Parteiführung zum ersten Mal nach dem desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl ihrer Strategie zuwandte, herrschte insbesondere eins: Ratlosigkeit. Schnell war klar, dass man allein im kleinen Kreis des Bundesvorstands keine verlässlichen Erkenntnisse über das Bild der Partei in der Öffentlichkeit und bei den eigenen Mitgliedern würde zeichnen können.

Gemeinsam mit dem Umfrageinstitut Insa, für das das Thüringer FDP-Vorstandsmitglied Patrick Kurth seit dem Verlust seines Bundestagsmandats als Kommunikationsberater tätig ist, wurde eine intensive Befragung verschiedener Wählergruppen durchgeführt. Das Ergebnis: Wer sich vorstellen könnte, die FDP zu wählen, ist vor allem männlich, höheren Alters, hat mindestens einen Fachhochschulabschluss und verdient eher rund 2500 Euro im Monat. Kaum Frauen, kaum Facharbeiter, kaum junge Leute. Kurzum: Die Ergebnisse waren teils überraschend – reichten aber nicht aus. „Wir mussten die Lage intensiver analysieren“, erinnert sich Beer, „professioneller.“

Seit dem Frühjahr begleiteten Beer schließlich zwei Managementberater der internationalen Unternehmensberatungsgruppe Boston Consult, trugen Informationen zusammen, werteten Umfragereihen aus, abgerechnet als „kleine Sachspende“ unterhalb der Ad-hoc-Mitteilungspflicht für Parteispenden, die ein Boston-Consulting-Partner den Liberalen zukommen ließ. Dass ein Parteiapparat, dessen Mitglieder weitestgehend mitverantwortlich am Niedergang waren, bei der Analyse der Fehler unvoreingenommene Hilfe von außen braucht, weiß man in der liberalen Szene, spätestens seit die D66 in den Niederlanden ins Bodenlose gestürzt sind – und sich daraus durch ähnliche Unterstützung von außen hervorkämpfen konnten. Oder seit der Luxemburger Schwesterpartei Demokratesch Partei (DP) nach fünf Jahren Opposition und einem gründlichen inhaltlichen Relaunch unter Mithilfe der deutschen Kommunikationsagentur Fischer Appelt die Rückkehr in die Regierung gelang.

Liberale wollen keine gänzlich andere Partei

Glaubt man Beer, dann haben die Berater von Boston Consult der Parteispitze nach einer ganzen Serie von ausführlichen Interviews mit Wählern verschiedener Gruppen den Rat gegeben, ihre politische Richtung nicht grundsätzlich zu ändern. „Die Marke FDP ist weniger ramponiert, als wir befürchteten“, sagt die Generalsekretärin. Es gebe daher „keinen Grund, einen drastischen Kurswechsel vorzunehmen“, zum Beispiel eine weit sozialliberalere FDP. Vielmehr lautete der Rat der Managementberater: Erzählt die Geschichten anders, emotionaler, lösungsorientierter. Seither hängen im dritten Stock der Parteizentrale, dem Thomas-Dehler-Haus in der Berliner Reinhardt-Straße, fröhliche gelb-blaue Plakate mit der Aufschrift „Chancen ermöglichen“, und in den neu gegründeten Bundesfachausschüssen brüten die Liberalen über neuen politischen Konzepten, die „mutig, emphatisch und optimistisch“ sein sollen.

Besonders stolz ist Generalin Beer jedoch auf ihre Mitgliederbefragung. Im Frühjahr hat sie rund 34.000 FDP-Mitgliedern E-Mails geschickt und darin detailliert abgefragt, was den Parteifreunden nicht gefällt und was sie in Zukunft von ihrer Partei erwarten. Fast jeder Zweite hat sich offenbar die Zeit genommen, die Fragebögen auszufüllen, was angesichts der Wahrnehmung der FDP in den Medien als Loser-Partei beachtlich ist. Und auch hier die Bestätigung: Die Liberalen an der Basis wollen keine gänzlich andere FDP, der Traum vom „einfachen und gerechten Steuersystem“ wird noch immer geträumt. Wovon die Basisliberalen allerdings die Nase voll haben, ist das „Nein-Sagen“ ihrer Parteioberen. Was stattdessen gefragt ist, sind positive Gegenmodelle zu anderen Parteien, die praktikabel umsetzbar sind. Und mitreden, das wollen die FDP-Mitglieder offenbar in Zukunft auch mehr als bisher.

Neue Prüfung: Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen

In den kommenden vier Monaten nun sollen die politischen Ideen und Konzepte, die in kleineren Gruppen erarbeitet wurden, in verschiedenen Zirkeln diskutiert werden. Das Programm dafür klingt ambitioniert: Ende September werden sich die Kreisvorsitzenden aus ganz Deutschland treffen, dann können in vier zentralen Großveranstaltungen (Nord, Süd, Ost und West) Mitglieder debattieren, und schließlich sollen die Landes- und Kreisverbände auch den Parteimitgliedern, die daran nicht teilnehmen, Gesprächsangebote machen.

Am 30. November will Parteichef Lindner das Ergebnis der Neuausrichtung auf einem Parteikonvent in Berlin vorstellen. Und dann heißt es: darauf hoffen, dass die Wähler anbeißen und Vertrauen zurückgewinnen.

Am nächsten Wochenende stehen Christian Lindner, Nicola Beer und ihre FDP in diesem Sinn mal wieder vor einer harten Prüfung: In Brandenburg und Thüringen werden die Landtage neu gewählt, und glaubt man den Umfragen, dann wird die FDP danach auch dort nicht mehr vertreten sein. Im Thomas-Dehler-Haus übt man sich schon mal in Pragmatismus: Alle Niederlagen bis zum Jahresende werden noch auf das Konto der alten FDP eingezahlt.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 09. September 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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