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Am heutigen Johannistag endet traditionell die Spargelernte in Deutschland. Die Erntehelfer müssen sich dann wieder einen neuen Job suchen.

© dpa

Mindestlohn: Ausnahmen kann es noch Jahre geben, Verdi würde zustimmen

Der Mindestlohn kommt, auch für Erntehelfer. Doch die Arbeitgeber pokern weiter und verzögern die Einführung in manchen Branchen womöglich bis 2017.

Gepokert wird bis zum Schluss. Nur noch zehn Tage dauert es, bis der gesetzliche Mindestlohn voraussichtlich im Bundestag beschlossen wird. Ab 2015 soll es in ganz Deutschland eine untere Lohngrenze von 8,50 Euro pro Stunde geben. Lange haben die Vertreter einiger Branchen gehofft, dass für sie doch noch eine Sonderregelung gefunden wird, wenn sie nur lange genug auf ihre Probleme mit dem Mindestlohn verweisen. Sie haben ihre Bedenken vorgetragen, im Arbeitsministerium ebenso wie bei etlichen Bundestagsabgeordneten. Doch allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass es wohl keine Ausnahmen geben wird.

Einige Branchen haben besonders geklagt, dass der Mindestlohn sie überfordern wird: die Landwirtschaft mit ihren Saisonarbeitern, das Taxigewerbe, der Hotel- und Gastronomiebereich sowie die Zeitungsverleger mit den Zustellern.

„Der Mindestlohn macht vor allem Obst und Gemüse anbauenden Landwirten schwer zu schaffen“

Verhindern werden sie den Mindestlohn nicht mehr. Sie können aber dessen Einführung für ihre Branche hinauszögern. Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber in einem Tarifvertrag vereinbaren, dass sie vorübergehend vom Mindestlohn nach unten abweichen wollen, werden die 8,50 Euro erst ab 2017 verpflichtend. Seit dem Frühjahr ist das Arbeitsministerium im Gespräch mit den Wirtschaftszweigen, die Probleme mit der Einführung des Mindestlohns haben. Staatssekretär Thorben Albrecht hat den „Branchendialog“ geführt.

Burkhard Möller gehört zu denen, die regelmäßig im Ministerium waren. Er ist Geschäftsführer des Gesamtverbands der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände. „Der Mindestlohn macht vor allem den Landwirten schwer zu schaffen, die Obst und Gemüse anbauen“, sagt Möller. „Wir fürchten, dass ein Teil der Produktion mittelfristig abwandern wird.“ Mit der IG Bau hatten die regionalen Arbeitgeberverbände Tarifverträge abgeschlossen, die eine schrittweise Anhebung der Löhne in den nächsten Jahren vorsehen. Die geforderten 8,50 Euro werden aber erst im Dezember 2017 erreicht und nicht im Januar – also elf Monate zu spät.

Viele Zeitarbeiter erhalten ihren Lohn brutto für netto

„Wir hoffen natürlich bis zum Schluss, dass der Gesetzgeber sich noch bewegt“, sagt Möller. Zuletzt hat er vor knapp zwei Wochen bei Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gesessen. Zusammen mit Vertretern des Bauernverbands forderte er, Saisonarbeitern nur 80 Prozent des Mindestlohns zu zahlen. Mit der Begründung, dass viele der 300.000 Zeitkräfte, die jedes Jahr nach Deutschland kommen, kurzfristig Beschäftigte seien. Wenn diese maximal 50 Tage hier arbeiten und einen anderen Job in ihrem Heimatland haben, ist ihre Tätigkeit grundsätzlich von Sozialabgaben befreit. Viele erhalten daher ihren Lohn brutto für netto. Daher sei ein geringerer Mindestlohn angemessen, sagen die Landwirte.

Bei Unions-Politikern sind sie damit auf offene Ohren gestoßen. Der stellvertretende CDU-Chef Thomas Strobl etwa plädierte dafür, die Vorschriften für diesen Bereich zu lockern. Er wünsche sich auch für die Zukunft eine „regionale Spargelproduktion“, sagte er vor kurzem. Arbeitsministerin Nahles will aber hart bleiben, sie möchte keinen Präzedenzfall schaffen. Ansonsten ließe sich nur schwer argumentieren, warum andere Branchen nicht ausgenommen werden. Ihre Fachleute sagen ihr außerdem, dass eine Diskriminierung der Saisonarbeiter mit EU-Recht nicht zu vereinbaren wäre.

Die Arbeitgeber jedenfalls sind inzwischen bereit, einen neuen Mindestlohn-Tarifvertrag zu vereinbaren. Ein erstes Abtast-Gespräch mit der IG Bau hat am vergangenen Donnerstag stattgefunden. In der nächsten Woche sollen die Verhandlungen richtig beginnen, wenn die Einzelheiten im Gesetz endgültig feststehen. „Die Politik hat uns im Prinzip gezwungen, diese Verhandlungen zu führen, da ansonsten der Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro zwingend gilt“, sagt Möller. „Wir müssen schauen, was dabei herauskommt.“ Bis Ende Juli will man zu einem Ergebnis kommen. Die IG Bau ist froh, dass es nun losgeht. „Der Poker um Ausnahmen im Gesetz hat die Verhandlungen extrem erschwert“, sagt Vize-Gewerkschaftschef Harald Schaum.

Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband hat mittlerweile die Hoffnung aufgegeben, dass es Ausnahmen geben wird. „Wir wissen, dass der Mindestlohn kommen wird. Jetzt muss es darum gehen, diesen ohne große Verwerfungen hinzubekommen“, sagt Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Sie hofft, dass es gelingt, in den nächsten beiden Monaten eine Übergangsregelung für die Branche zu verhandeln. „Das muss jetzt zügig passieren“, sagt sie. Zwei Gespräche seien bereits mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) geführt worden, das dritte stehe nun bevor. Die Übergangsregelung sei insbesondere für die östlichen Bundesländer enorm wichtig. „Für viele Betriebe im Osten würde der Mindestlohn auf einen Schlag Personalkostensteigerungen von bis zu 20 Prozent mit sich bringen. So viel mehr Umsatz können die gar nicht machen, um das wieder reinzuholen“, sagt Hartges.

Verdi würde bis 2017 geringere Löhne bei den Taxifahrern akzeptieren

Auch die Taxibranche möchte die Übergangsregelung nutzen. Doch aus dem Deutschen Taxi- und Mietwagenverband muss erst einmal ein Arbeitgeberverband werden, der Tarifverträge verhandeln darf. Bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, die der Unternehmerverband am 3. Juni anberaumt hatte, kam die Mehrheit für eine Satzungsänderung nicht zustande. Verbandsgeschäftsführer Thomas Grätz ist noch heute irritiert. „Wenn wir das nicht hinbekommen, müssen wir alle ab 2015 und nicht erst ab 2017 den Mindestlohn von 8,50 Euro zahlen.“ Die Unternehmer wollen nun einen zweiten Anlauf wagen, für Anfang Juli hat der Verband erneut zu einer Mitgliederversammlung eingeladen. Die Gewerkschaft Verdi würde bis 2017 geringere Löhne bei den Taxifahrern akzeptieren. Im Gegenzug müsse es aber an anderer Stelle einen Mehrwert geben, etwa in Form von Zuschlägen für Nacht-, Sonntags- oder Feiertagsarbeit, heißt es dort.

Ob auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger mit Verdi über die Löhne von Zeitungsboten verhandeln wird, ist hingegen fraglich. Ein schriftliches Angebot lehnten die Verleger Ende Mai ab, zu Gesprächen sind sie im Moment nicht bereit. Offenbar hofft man dort, dass es doch noch in letzter Minute eine Kompensation geben wird. Das Pokerspiel ist noch nicht vorbei.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 24. Juni 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag in Sitzungswochen des Bundestages erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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