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Die Lage für Geflüchtete bei ihrer Ankunft in Berlin hat sich deutlich entspannt.

© Kay Nietfeld/dpa

Modularer Unterkünfte: Wie sich Berlin auf steigende Flüchtlingszahlen vorbereitet

Vor vier Jahren herrschte Chaos am Lageso. Heute werden in Berlin viel weniger Flüchtlinge viel besser empfangen. Doch was, wenn die Zahlen wieder steigen?

Von Ronja Ringelstein

Menschenrechtswidrige Zustände waren es, mit denen das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales – kurz Lageso – weltweit berüchtigt wurde. Im Jahr 2015 warteten dort täglich Hunderte Menschen im Freien an der Turmstraße in Moabit. Erst machte ihnen im Sommer die Hitze zu schaffen, später im Winter Eiseskälte. Berlin war zum damaligen Zeitpunkt nicht auf die Ankunft von so vielen Geflüchteten gefasst. Menschliche Tragödien spielten sich mitten in der Hauptstadt ab. Wäre die Stadt heute besser vorbereitet?

Die Aufnahme von Flüchtlingen hat sich professionalisiert

Die zuständige Senatorin sagt: ja. Inzwischen ist nicht mehr das Lageso zuständig, sondern das 2016 eigens eingerichtete Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), an dem 524 Mitarbeiter mit der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten beschäftigt sind. Im Sommer 2015 arbeiteten im Lageso 140 Mitarbeiter in diesem Bereich. Womöglich hat sich nirgends in Deutschland die Verwaltung in so kurzer Zeit so professionalisiert wie bei der Registrierung und Aufnahme von Flüchtlingen in Berlin.

„Die Prozesse und Ressourcen für die Registrierung und die Leistungsgewährung im Landesamt konnten deutlich ausgebaut werden“, sagt die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach von der Linkspartei. Aus den Erfahrungen der Jahre 2015 und 2016 habe man Konsequenzen gezogen: „Wir sind in der Lage, die Unterbringungskapazitäten zu verstärken, sollten die Zugangszahlen steigen“, verspricht Breitenbach.

Die Unterbringung könnte ein Problem werden, heißt es

Aus dem 2016 gegründeten Amt selbst hört man, die Registrierung laufe gut. Die Unterbringung derzeit auch. Doch durch demnächst schließende Gemeinschaftsunterkünfte könnte es wieder schwieriger werden, falls die Flüchtlingszahlen deutlich steigen. Derzeit kommen monatlich rund 500 Asylbegehrende nach Berlin. „Sollte sich das wesentlich nach oben erhöhen, dann bekommen wir bei der Unterbringung ein Problem“, sagte der Sprecher des Landesamtes kürzlich der „Zeit“. Heute will er die Warnung nicht mehr wiederholen.

Chaos vorm Amt. 2015 mussten Neuankömmlinge nachts vor Gittern auf Einlass warten.
Chaos vorm Amt. 2015 mussten Neuankömmlinge nachts vor Gittern auf Einlass warten.

©  Gordon Welters/laif

Tatsache ist: Berlin ist bei der Registrierung und der Unterbringung von Geflüchteten momentan gut aufgestellt. Auch der Berliner Flüchtlingsrat – ein Verein, der für die Rechte von Geflüchteten in Berlin eintritt und sie unterstützt – beschreibt die derzeitige Lage als ruhig. Überlastungen oder überlange Wartezeiten, etwa im Ankunftszentrum, gebe es nicht.

Im Bamf dauern die Verfahren mittlerweile rund drei Monate

Wer als Flüchtling in Deutschland aufgenommen werden möchte, muss sich zunächst beim Landesamt registrieren lassen. Die Verteilung der Geflüchteten im Bundesgebiet richtet sich nach einer festgelegten Aufnahmequote für jedes Bundesland, dem „Königsteiner Schlüssel“. Berlin nimmt rund fünf Prozent der bundesweit ankommenden Asylsuchenden auf. Das waren 2019 bisher 4716, die meisten kommen aus Syrien, dem Irak und der Türkei.

Das Landesamt ist während des gesamten Asylverfahrens für die Unterbringung und Versorgung mit sozialen Leistungen zuständig. Der eigentliche Asylantrag wird im zweiten Schritt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gestellt. Dort ist die Verfahrensdauer mittlerweile auf 3,1 Monate gesunken.

Zunächst aber muss jeder, der Asyl beantragen will, in das Ankunftszentrum des Landesamtes. Seit Mai ist es in Reinickendorf auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik untergebracht – und nicht mehr in den Hangars auf dem Tempelhofer Feld.

In Berlin leben derzeit rund 22.000 Geflüchtete

Es besteht aus einer Übergangsunterkunft für die Zeit der Registrierung, die ein paar Tage dauern kann, und einem Registrierungsbereich. Aktuell werden dort durchschnittlich an jedem Werktag bis zu 50 Menschen registriert. Auf Anfrage des Tagesspiegels erklärt das Landesamt, dass mit den vorhandenen Kapazitäten auch spontan die doppelte Zahl zu schaffen sei. Und auch die Leistungsabteilung sei heute viel besser strukturiert als 2015. 105 Mitarbeiter arbeiten hier. Die Anzahl der täglichen Vorsprachen sei rückläufig, Anfang des Jahres waren es 800 täglich, derzeit sind es noch bis zu 600 – bearbeiten könne man wohl gut 1000. Aktuell beziehen etwa 20.000 Menschen ihre sozialen Leistungen vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten .

Für die Unterbringung der Geflüchteten hat Berlin 74 Gemeinschaftsunterkünfte und zehn Erstaufnahmeeinrichtungen mit insgesamt rund 26.150 Plätzen – 2.250 Plätze für die Erstaufnahme und 23.892 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften. Derzeit leben hier rund 20.640 Geflüchtete, in den Erstaufnahmeeinrichtungen noch mal 1780; sie sind also nicht komplett belegt. Aber: 3.200 Plätze können aufgrund von Bauarbeiten derzeit auch nicht genutzt werden. Unmittelbar belegbar wären jedoch, wenn mehr Zuwanderer kämen, laut Senatsverwaltung etwa 2400 freie Plätze. Weil einige der sogenannten Tempohomes, temporäre Containerbauten, bis Ende des Jahres schließen, fallen rund 1400 Plätze weg, dafür sollen nächstes Jahr wieder 950 Plätze durch die Inbetriebnahme weiterer Modularer Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) hinzukommen. 16 dieser Bauten mit knapp 5.700 Plätzen sind bereits in Betrieb.

Problem: Bezahlbarer Wohnraum ist knapp - für alle

Würden die Zahlen stark steigen, könnten die Wohnplätze knapp werden. „Das Absenken von Standards aufgrund höherer Ankunftszahlen muss in jedem Fall ausgeschlossen sein“, sagt dazu Martina Mauer vom Flüchtlingsrat. Dass beispielsweise die Hangars auf dem Tempelhofer Feld als Unterkünfte wieder reaktiviert werden könnten, schließt die Senatsverwaltung zum jetzigen Zeitpunkt aber aus.

Ein großes Problem ist, wie für alle Berliner, die Wohnungssuche. Gemeinschaftsunterkünfte, Tempohomes und Modulare Unterkünfte sind keine Orte, an denen Familien ein selbstbestimmtes Leben führen können, kritisiert der Flüchtlingsrat. Der Senat will Geflüchtete schnellstmöglich in echte Wohnungen vermitteln. In diesem Jahr war das bis Juli bei 1000 Menschen gelungen.

Beim Verwaltungsgericht war ab 2016 ein Arbeitsstau durch die hohen Zahlen von Asylverfahren entstanden. Aktuell betreffen von 20.782 dort anhängigen Klagen knapp die Hälfte das Asylrecht. Davon stammen noch 877 aus dem Jahr 2016, 4.340 aus 2017. Ein Verfahren stammt sogar noch aus 2014. Die durchschnittliche Dauer für eine Asylklage beträgt mittlerweile 19,68 Monate. Sollten wieder mehr Menschen nach Berlin fliehen, dürften auch die Asylklagen, etwas zeitversetzt, wieder mehr werden.

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