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Der Bundestag. Unter der Kuppel, im Plenarsaal, ist alles öffentlich. Das Parlament arbeitet jedoch auch außerhalb der Öffentlichkeit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neues Pressegesetz: Wie transparent muss der Bundestag sein?

Das Parlament verhandelt öffentlich. So steht es im Grundgesetz. In der Praxis hat die Offenheit jedoch Grenzen. Ändert sich das jetzt?

Es wird feierlich. Am 20. März, verkündet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, wer den „Medienpreis Parlament 2019“ bekommt. Gewürdigt werden Journalisten, die „zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Abläufe beitragen“. Dieses Jahr gibt es Irritationen, weil mit dem Blogger Rainer Meyer, der sich Don Alphonso nennt, ein Publizist in die Jury berufen wurde, der Linken und Grünen mit seinen betont konservativen – manche sagen: rassistischen – Witzchen als schwer erträglich gilt. Parlamentsvizepräsidentin Claudia Roth berichtet von Anfragen an ihr Büro, „warum, um alles in der Welt, so jemand in eine so renommierte Jury entsandt wird“.

Ja, warum?

Wer, ebenfalls als Journalist, danach fragt, muss mit weiteren Irritationen rechnen. Denn die Antwort der Bundestagsverwaltung klingt überaus formell: „Der in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verankerte presserechtliche Auskunftsanspruch ist auf Verwaltungshandeln gerichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018, 7 C 6.17). Die Verleihung des Medienpreises Parlament durch den Bundestagspräsidenten stellt indes kein Verwaltungshandeln dar.“

Eine Antwort – aber keine Auskunft. Der Bundestag hat eine Sonderstellung. Er ist in seiner Verwaltungstätigkeit mit seinen Beamten einerseits Behörde, also Teil der Exekutive, andererseits bildet das Parlament selbst den wesentlichen Teil der Legislative. Pressevertreter haben einen durch das Grundgesetz verbrieften Auskunftsanspruch gegenüber Behörden. Doch was ist mit Informationen, die der exekutive Teil des Bundestags über den legislativen Teil hat?

Der "Medienpreis Bundestag" bleibt Verschlusssache

Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hilft nicht weiter. Es gibt nur einen Anspruch auf Zugang zu Dokumenten der Exekutive. Eine solche Beschränkung auf Exekutivinformationen haben Schäubles Beamten auch für den Presseauskunftsanspruch gefordert – und vor dem Bundesverwaltungsgericht recht bekommen. Kuriose Folge: Der Medienpreis Parlament, der ein vertieftes Verständnis für parlamentarische Abläufe würdigen soll, ist einer vertieften Recherche nicht mehr zugänglich. Die Organisation des Preises ist nach Ansicht der Bundestagsverwaltung kein exekutiver Akt, sondern ein parlamentarischer. Entsprechend weigert man sich, etwa den Beschluss mitzuteilen, mit dem das Präsidium den Preis Anfang der neunziger Jahre ins Leben gerufen hat. Was das Parlament nichtöffentlich so tut, beredet oder beschließt, können nur noch die Abgeordneten selbst öffentlich machen – oder eben nicht.

Diese Rechtslage ist neu. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Oktober 2018 erging zu einer Tagesspiegel-Klage auf Auskünfte über Strafverfahren von Abgeordneten und die Behandlung ihrer Immunität. Sie wurde rechtskräftig abgewiesen. Über den kürzlich veröffentlichten Urteilsgründen prangt ein Leitsatz, der keine Zweifel lässt: „Parlamentarische Angelegenheiten sind von dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse nicht erfasst.“

Tagesspiegel erhebt Verfassungsbeschwerde

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Frank Überall sieht darin ein „herbe Niederlage für die eigentlich notwendige Transparenz des parlamentarischen Geschehens“. Der DJV-Chef verweist auf die unter Juristen bisher „fast einhellige Ansicht“, dass sich journalistische Auskunftsansprüche auch gegen die Legislative richten. So hatte es auch das Berliner Verwaltungsgericht in dem Rechtsstreit um die Immunitätsverfahren 2015 in erster Instanz gesehen (Az.: VG 27 K 110.04): Gerade bei parlamentarischen Tätigkeiten „stellen sich zahlreiche Fragen, an deren Beantwortung ein Interesse der Presse und der Öffentlichkeit besteht“, heißt es im Urteil, das dazu an die Diskussion um die lange Zeit geheime Vergabe von Hausausweisen an Lobbyisten erinnert. Der Tagesspiegel hat mit Unterstützung des DJV jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen das Leipziger Urteil erhoben (1 BvR 393/19).

Natürlich gibt es weiterhin Informationen über das, was im Parlament geschieht. Allen voran die zahllosen Drucksachen, die im Internet einsehbar sind: Gesetzentwürfe, Plenarprotokolle, Anfragen von Abgeordneten, Antworten der Regierung. Aber Vorschriften, die die Parlamentarier zu regelmäßiger Öffentlichkeitsarbeit verpflichten, gibt es keine. Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 42: „Der Bundestag verhandelt öffentlich“. Schon für die wichtige Arbeit in den Ausschüssen gilt dieser Satz nicht mehr.

"Die Frage stellt sich nicht", so die Bundestagsverwaltung

Im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie zieht der Bundestag selbst die Grenzen. Was bereitgestellt wird, ist oft eine Gewohnheitsfrage. So werden zum Beispiel alle in der Geschäftsordnung (GOBT) genannten Vorlagen wie etwa Gesetzentwürfe, Unterrichtungen oder Wahlvorschläge als Drucksachen herausgegeben. Doch beispielsweise Regierungsantworten auf Kleine Anfragen finden sich nicht im GOBT-Katalog. Veröffentlicht werden sie dennoch. Ist der Bundestag dazu verpflichtet? Die Verwaltung möchte es nicht so genau wissen: „Die Frage stellt sich nicht.“ Auch die Protokolle nichtöffentlicher Ausschusssitzungen sind für Interessierte bisher gesperrt.

Im Bundestag mehren sich Stimmen, die fordern, Licht in parlamentarische Dunkelzonen zu bringen. Medienpolitiker fordern ein Presseauskunftsgesetz. Denn der bisher von den Gerichten herangezogene verfassungsrechtliche Anspruch ist nur ein Provisorium. Die höchsten Verwaltungsrichter hatten den Anspruch aus den Landespressegesetzen 2013 gegenüber Bundesbehörden für unanwendbar erklärt. Entsprechend zurückhaltend agieren die Gerichte, um dem Gesetzgeber nicht vorzugreifen. Im Zweifel heißt es: nein.

Wie jetzt auch beim Bundestag. „Es droht eine Transparenzlücke“, kritisiert Doris Achelwilm von der Linken. „Die Bedeutung des Presseauskunftsanspruchs muss für die demokratische Kontrolle im Vordergrund stehen.“ Auch Thomas Hacker von der FDP spricht von einer Lücke. „Wir benötigen einen verlässlichen Kriterienkatalog, um die jeweiligen Interessen in einen fairen Ausgleich zu bringen. Es darf keinen Spielraum für Beliebigkeit geben.“ Die Grünen verweisen auf ihren Gesetzentwurf, betonen allerdings, dass er nur die Bundestagsverwaltung erfasse. „Die Abwägung von Pressefreiheit und Mandatsfreiheit ist ein schmaler Grat und darf nicht zu einer Beeinträchtigung von Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten führen“, warnt die medienpolitische Sprecherin Tabea Rößner. Am 11. März berät der Innenausschuss den Grünen-Entwurf sowie einen Antrag der Liberalen zum Thema.

Die SPD will einen Entwurf vorlegen, der weit reicht

Einen Schritt weiter geht die SPD. Ihre Fraktion arbeitet einen Entwurf aus, der mit der Union abgestimmt werden soll – denn das Vorhaben steht im Koalitionsvertrag. Unter den neuen Anspruch fällt dann „grundsätzlich auch der Deutsche Bundestag“, sagt der SPD-Medienpolitiker Martin Rabanus. Informationen sollten nur verweigert werden, wenn berechtigte öffentliche Interessen oder schutzwürdige Interessen Dritter überwiegen.

Die Parlamentsverwaltung dürfte dann auch zum Medienpreis wieder auskunftsfreudiger werden. Über die Jurybesetzung entscheidet übrigens Wolfgang Schäuble im Alleingang, die Kandidaten werden von den Beamten des Wissenschaftlichen Dienstes vorgeschlagen. Eine Angelegenheit des Parlaments? Darüber kann man jetzt schon streiten.

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