zum Hauptinhalt
Brauchen die Parteien in Deutschland schon einen Rettungsring?

© dpa

Parteireform-Projekt: Sind die Parteien noch zu retten?

Ihre Mitgliederzahlen sind seit Jahren rückläufig, immer mehr Menschen bleiben den Wahlen fern. Nach Jahren der Krise wollen die etablierten Parteien jetzt gegensteuern – und zwar gemeinsam. Doch sich selbst zu reformieren ist gar nicht so einfach. Ein Werkstattbericht.

Es gehen immer weniger Menschen zur Wahl. Sowohl bei Landtags- und Kommunalwahlen, aber auch bei der Bundestagswahl sind die Zahlen rückläufig. Doch nicht nur der Rückgang bei der Wahlbeteiligung wird gemeinsam diskutiert, auch der Rückgang der Mitgliederzahlen und der Beteiligung in den Parteien ist ein Thema. Beide Phänomene haben viele unterschiedliche Ursachen, sind aber Symptome ein und desselben Grundproblems: Die Demokratie nach bisherigem Strickmuster verliert zunehmend an Attraktivität. Selbst die Grünen, die sich lange gegen den Trend stemmen konnten, mussten jüngst mehr Parteibücher zurücknehmen, als sie ausgaben.

Die Lage in Deutschland ist im internationalen Vergleich fast noch solide – aber besorgniserregend genug, zumal die Parteien schon allerhand versucht haben: neue Formen der Kandidatenwahl, Online-Beteiligung und offene Prozesse bei der Programmentwicklung. Doch ein Patentrezept hat noch keine Partei gefunden. Und selbst innovative Ideen wie die europaweite Kür der grünen EU-Spitzenkandidaten wird sicher den einen oder anderen Parteistrategen enttäuscht haben, denn die gewünschte Wirkung auf die Zielgruppe blieb aus.

Jetzt sollen parteiübergreifend Lösungen diskutiert werden. Auftakt war die Arbeitsgruppe „Zukunftsimpulse für die Parteiendemokratie“, von der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem linksliberalen Thinktank Progressives Zentrum ins Leben gerufen. Das Forschungsprojekt stellte Ende 2015 seine Ergebnisse vor.

Das Zauberwort könnte "Parteireform" heißen

Ganz aufgeben wollen die Parteien die repräsentative Demokratie noch nicht, und deshalb werden jetzt in Arbeitsgruppen Strategien erarbeitet. Das alles gipfelt in einem Treffen der Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer im April von Peter Tauber (CDU), Katarina Barley (SPD), Michael Kellner (Grüne), Matthias Höhn (Die Linke) und Nicola Beer (FDP), um über Innovationspotenziale von Parteien zu diskutieren. Organisiert wird die Runde vom Progressiven Zentrum und der Stiftung Neue Verantwortung.

Das Zauberwort könnte „Parteireform“ heißen. Dabei geht es mitnichten nur um die Anwerbung neuer Mitglieder. Dass Volksparteien sich vom alten Idealbild der Massenbewegungen verabschieden müssen, haben viele Parteimanager schon begriffen: Von den Rekordwerten der 70er und 80er Jahre (SPD: 1 022 000, CDU: 735 000) haben sich beide Großparteien verabschiedet und dümpeln nun bei jeweils rund 440 000 Mitgliedern herum. Doch allein die Aktivierung der zahllosen „Karteileichen“ würde den Parteien einen enormen Schub verleihen, ergab das Forschungsprojekt.

Hanno Burmester hat ein Jahr lang die überparteiliche Projektgruppe zur Zukunft der deutschen Parteien geleitet und sich dabei auf die Organisations- und Kulturebene konzentriert. „Angebote und Organisationsstrukturen auf Höhe der Zeit sind wichtig, um Engagementwillige an die Partei zu binden“, erklärt Burmester.

Katarina Barley, frisch gekürte Generalsekretärin der SPD, will „insbesondere junge Menschen, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund“ erreichen. Bei der CDU klingt das kaum anders: „Wir streben eine Mitgliederstruktur an, die die Vielfalt der Gesellschaft abbildet“, heißt es im Bericht der Tauber-Kommission zur Parteireform. „Deshalb werden wir mehr junge Leute, mehr Frauen und mehr Bürger mit Einwanderungsgeschichte für eine Mitarbeit in der CDU begeistern.“

Das Parteireform-Papier zeigt viele Probleme auf

In den Parteien träfe also die immer bunter werdende Gesellschaft auf deutsche Männern im „besten Alter“, wie ein Blick auf die aktuelle Mitgliederstruktur zeigt. Während sich im normalen Leben die alten gesellschaftlichen und ideologischen Muster aufgelöst haben – der Kommunismus besiegt, die Arbeiterklasse befreit und die Energiewende eingeleitet ist –, haben sich die innerparteilichen Prozesse kaum verändert.

Dass die großen Auseinandersetzungen nicht mehr der Kitt sind, der die Partei in Zukunft zusammenhält, glaubt eine politische Nachwuchshoffnung: „Dass Konfrontation um jeden Preis der eigenen Profilschärfung dient, ist Irrglaube“, sagt Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Vielmehr müssen Politiker an ihren „Streitritualen arbeiten, um Standpunkte für die Menschen nachvollziehbarer zu machen“.

Das Parteireform-Papier zeigt viele Probleme auf: Die abnehmende Debattenfreudigkeit in den Parteigliederungen geht einher mit dem Rückzug ins Private. Es gibt höhere Ansprüche an Beteiligungsformate, die sich mehr mit dem beruflichen oder familiären Alltag vereinbaren lassen müssen. Und auch die Besitzstandswahrungsreflexe der alteingesessenen Parteifunktionäre schreckt engagierte junge Menschen, die es immer mehr gewohnt sind, in Projekten zu arbeiten, und ihr Leben nicht in Tretmühlen verbringen wollen.

Die Vorschläge des Parteireform-Projekts

Das Forschungsprojekt benennt auch Ansätze und Ideen für innerparteiliche Neuerungen: von Nudging in Parteien über digitalisierte „Smart Parties“ bis hin zu Fragen der Parteikultur und der Zugänglichkeit für Frauen. Exemplarische Vorschläge des Parteireform-Projekts sind etwa:

– Maßgeschneiderte Mitgliedschaften: Je nach Zeit, Qualifikation und Interesse können Engagierte zwischen verschiedenen Mitgliedschaftsmodellen wählen.

– Verpflichtende Weiterbildungen: Funktionäre und Parteivorstände sollen verpflichtende Curricula durchlaufen, die vor allem in Selbstführung und Freiwilligenmanagement schulen.

– Neuartige Sitzungs- und Debattenformate: Parteien sollen Methodenvielfalt entwickeln, um verkrustete Sitzungs- und Diskussionsstrukturen aufzubrechen.

– Partei-App: Eine App soll niedrigschwellige Meinungsbilder, digitale Abstimmungen und maßgeschneiderte Informationen über Mitglieder ermöglichen.

– Pilotprojekte etablieren: Parteien sollen vor Ort und digital mehr Pilotprojekte starten, um gute Ideen auszuprobieren. Vorteil: Kleine Experimente sparen lange Debatten, bei Erfolg ist eine schnelle Einführung für ganze Partei wahrscheinlicher.

Dominic Schwickert, Chef des Progressiven Zentrums, gibt zu: „Uns ist klar, dass nicht alle Ideen sofort umsetzbar sind. Die meisten guten Ideen müssen eben erst anecken, bevor ihr Gehalt erkannt wird“, erklärt der ehemalige Unternehmensberater.

Absehbar ist, dass Veränderung auch immer Widerstände der momentan gut Situierten hervorruft, doch um Parteiengagement wieder zu mehr Wirksamkeit und Wertschätzung in der Gesellschaft zu verhelfen, braucht es den persönlichen Einsatz – auch über Parteigrenzen hinweg. Denn wer nicht wagt, der nicht gewinnt – und schließlich steht hier die Demokratie auf dem Spiel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false