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Unterwegs im Namen des Herrn: Karl Jüsten (l.) vertritt die katholischen Bischöfe, Martin Dutzmann die evangelische Kirche in der Bundeshauptstadt.

© Davids

Seelsorger und Lobbyisten im Bundestag: Die Einflüsterer von der Gottesfraktion

Auch die christlichen Kirchen haben Interessen in der Politik. Zwei Männer stehen an der Spitze. Martin Dutzmann und Karl Jüsten sind manchmal als helfende Seelsorger im Einsatz, manchmal aber auch als knallharte Unterhändler.

Im Bundestag wird nicht nur geredet. Es wird auch gebetet. Donnerstags und freitags um 8.30 Uhr läuten im Andachtsraum die Glocken des Kölner Doms – vom Band. Eine halbe Stunde Psalmen statt Gesetzentwürfe, Evangelium statt Haushaltsdebatte, dafür steht mancher Abgeordnete früher auf.

Die Kirchen umwerben die Parlamentarier. Dafür haben sie zwei Theologen nach Berlin berufen. Martin Dutzmann vertritt die evangelische Kirche, Karl Jüsten die katholischen Bischöfe. Sie sind als Seelsorger für die Politiker da. Sie trösten, wenn die Mutter stirbt, sie taufen die Kinder und segnen Ehepaare. Dutzmann und Jüsten sind im Bundestag aber nicht nur Seelsorger, sondern auch eifrige Lobbyisten. Die beiden hören den Begriff nicht so gerne. Sie wollen nicht in einer Reihe stehen mit der Pharmalobby und den Bankern. Sie verstehen ihr Amt anders. Sie vertreten nicht die Spezialinteressen einer bestimmten Klientel, sondern kämpfen dafür, dass die Gesellschaft menschlich bleibt.

Dutzmann und Jüsten ziehen meist an einem Strang

Dutzmann und Jüsten treten bei den meisten Themen als Team auf – trotz der Unterschiede in ihren Kirchen. Martin Dutzmann, 58, ist seit Oktober „Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU“. Er stammt aus Essen, stand an der Spitze der Lippischen Landeskirche und war bis vor wenigen Tagen Militärbischof. Das diplomatische Handwerk liegt ihm, er ist ein zugänglicher, auf Ausgleich bedachter Mann. Karl Jüsten kommt aus dem Rheinland, ist Priester, Prälat und „Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe – Katholisches Büro Berlin“. Die EKD-Bevollmächtigten betonen eher das Staatstragende des Amtes, Jüsten kämpft dagegen an. Er ist oft in schwarzen Jeans und Jackett unterwegs, zu Terminen fährt er am liebsten mit dem Motorroller. Das Katholische Büro ist in einem funktionalen Neubau untergebracht – in katholischer Tradition etwas abseits der politischen und wirtschaftlichen Macht. Jüsten ist seit 14 Jahren im Amt, so ziemlich jeder, der schon länger im Bundestag ist, kennt ihn. Manche nennen ihn den „heiligen Karl“. Zu seinem 50. Geburtstag vor drei Jahren gratulierte das halbe damalige Kabinett persönlich.

Dutzmann und Jüsten kommen den Politikern nicht nur in der Bundestagskapelle näher. Jüsten feiert regelmäßig mit den katholischen Abgeordneten und ihren Mitarbeitern in der Katholischen Akademie Messen. Dutzmann lädt die Evangelischen in die Französische Friedrichstadtkirche ein und zum Frühstück in seinen Dienstsitz gegenüber am Gendarmenmarkt. „Die Abgeordneten schätzen, dass sie hier im geschützten Raum und über Fraktionsgrenzen hinweg sprechen können“, sagt Dutzmann.

Natürlich geht es auch um die Interessen der christlichen Kirchen

Etwa ein Dutzend Mitarbeiter unterstützen Dutzmann und Jüsten. Sie arbeiten mit den Referenten in den Ministerien und Abgeordnetenbüros zusammen, um mitzukriegen, wenn eine Idee heranreift, um die eigenen Vorstellungen möglichst schon dann einzubringen, wenn die Idee noch nicht in Paragrafen gegossen ist. Sie besuchen die Sitzungen der Ausschüsse, treten als Sachverständige in Anhörungen auf, schreiben Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen. Die Themen reichen aktuell vom Aufenthalts- und Asylrecht über die Familien- Renten-, Entwicklungspolitik bis zu Fragen von Militäreinsätzen, Rüstungspolitik und Sterbehilfe. Oft wünschen sich die Politiker, dass sich die Kirchen einbringen, besonders wenn es um schwierige ethische Fragen am Anfang und am Ende des Lebens geht. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel lud Jüsten und Dutzmann in den Beraterkreis zum Freihandelsabkommen mit den USA ein. Dort achten sie darauf, dass die Dritte Welt nicht benachteiligt wird und Standards auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesundheitsvorsorge gewahrt bleiben. Bei der ersten öffentlichen Anhörung im Verteidigungsausschuss zum Einsatz von Drohnen standen die Kirchenmänner zu ihrer Verwunderung nicht auf der Rednerliste. Allerdings haben die Kirchen selbst noch keine einheitliche Meinung zum Einsatz der Drohnen gefunden. Natürlich geht es auch um die Interessen der eigenen Institutionen, aktuell um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, um Fragen des Staats-Kirchenrechts oder die Staatsleistungen.

Mit den Grünen haben es die beiden Theologen manchmal schwer

Knapp zwei Drittel der Parlamentarier gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an, alle Kabinettsmitglieder sind bekennende Christen. Das hilft bei der Arbeit. Aber zu meinen, dass Christen automatisch die Positionen der Kirchen teilen – „die Zeiten sind vorbei“, sagt Jüsten. Laizistische Strömungen sind stärker geworden. Haltungen, die früher selbstverständlich waren, müssen sie heute erklären. „Je nach Thema suchen wir neue Koalitionen quer durch die Parteien“, sagt Jüsten.

In dieser Legislaturperiode sind viele jüngere Abgeordnete in den Bundestag eingezogen. Auch bei ihnen sei die Gesprächsbereitschaft groß, stellt Jüsten fest. Nur bei den Grünen sei der Zugang schwerer geworden. Der neue Fraktionssprecher Volker Beck hat sich schon oft mit den Kirchen angelegt. Bei der Neuregelung des Meldewesens kam es jetzt zur offenen Konfrontation. Die Grünen sind dagegen, dass die Behörden die katholische Kirche weiterhin automatisch darüber informieren, wenn ein Kirchenmitglied umzieht, sich scheiden lässt oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingeht. Sie fürchten, dass die Kirche die Daten benutzt, um Mitarbeitern zu kündigen.

Nach katholischem Arbeitsrecht ist das möglich, wenn ein Mitarbeiter gegen die katholische Sexualmoral verstößt, etwa wenn Geschiedene neu heiraten oder offen homosexuell leben. „Der Staat darf nicht Helfershelfer werden, wenn es um diskriminierende Kündigungen geht“, sagt Beck. „Der Vorwurf zielt ins Leere“, sagt Jüsten. „Die Meldedaten werden uns zu Steuerzwecken und für pastorale Dienste zur Verfügung gestellt, für nichts anderes.“ Dass die evangelische Kirche die Daten weiterhin bekommen soll, die katholische Kirche aber nicht, widerspreche außerdem der Verfassung. Jüsten vermutet, dass die Grünen die Debatte deshalb angezettelt haben, „um uns über den Umweg des Meldewesens zu zwingen, das kirchliche Arbeitsrecht zu ändern“. Das aber sei nicht sachgerecht.

An anderer Stelle sind die Kirchenmänner hoch zufrieden. In der vergangenen Legislatur haben sie darauf hingearbeitet, dass der Gesetzentwurf zu einem Suizidbeihilfegesetz verschoben wurde. Die große Koalition will das Thema nun breiter und mit mehr Zeit diskutieren. So geht es nicht mehr nur darum, ob und wie man den organisierten Suizidhelfern das Handwerk legen soll, sondern grundsätzlich um die Frage, wie „Sterben in Würde“ möglich ist.

Manchmal zahlt sich die gute Vernetzung auch persönlich aus. Dutzmanns Vorgänger, Bernhard Felmberg, ist zum 1. Mai ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gewechselt. Die EKD hatte ihn vom Amt des Bevollmächtigten suspendiert, da sein privater Lebenswandel nicht den kirchlichen Vorgaben entsprach. Im BMZ leitet er die Unterabteilung 11 „Zivilgesellschaft, Kirchen und Wirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit“. Über den Jobwechsel des Cheflobbyisten wurde viel geredet. Im Ministerium wurde bemängelt, dass er keine Erfahrung mit ministeriellen Führungsaufgaben habe. Nicht kirchliche Entwicklungshilfeorganisationen fragten sich, ob sie ins Hintertreffen geraten gegenüber kirchlichen Kollegen. Andere sehen es gelassen. „Solche Wechsel müssen möglich sein“, sagt eine NGO-Vertreterin. Offiziell äußern will sich niemand, auch Felmberg nicht. Eine Sprecherin des BMZ sagt: „Felmberg ist in die Politik des Hauses eingebunden, die ein hohes Interesse am Dialog mit der Zivilgesellschaft, den privaten Trägern, den politischen Stiftungen, den Kirchen und vielen mehr hat.“ Diesem ausgewogenen Prinzip seien alle Mitarbeiter verpflichtet.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 05. August 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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