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Ein Foto vom ersten Kurs der SPD-Parteischule in der Lindenstraße 3 aus dem Jahr 1906/07. Schon sieben Jahre später beendete der Erste Weltkrieg den Schulbetrieb.

© Privat

SPD-Parteischule: Wo künftige Kanzler trainieren

Kann man lernen, Bundeskanzler zu werden? Klaus Tovar, der Leiter der SPD-Parteischule, meint: Ja. Seit 1906 schulen die Sozialdemokraten ausgewählte Genossen. Unter den Absolventen ist auch eine Bundesministerin.

Von Hans Monath

Es ist eine ehrgeizige Behauptung. „Niemand kann sagen, wer in 20 Jahren Kanzlerin oder Kanzler wird“, meint Klaus Tovar. „Meine These ist: Wir kennen sie oder ihn schon, wir wissen nur noch nicht, wer es sein wird. Das leitet uns.“ Der Mann, der sich selbst solch anspruchsvolle Ziele setzt, ist Leiter der Parteischule der SPD. Die deutsche Regierungschefin oder den deutschen Regierungschef der nächsten politischen Generation vermutet er unter den vielen Sozialdemokraten, die mit seiner Hilfe den Weg zu professionellerer Arbeit und zu mehr politischem Erfolg gefunden haben. Oder die gerade dabei sind, ihr politisches Handwerk zu verbessern.

Auch Manuela Schwesig hat die SPD-Parteischule besucht

Eineinhalbtausend Genossen haben bislang die Kommunalakademie absolviert, das meistbesuchte Angebot von Tovars Parteischule. Es soll junge Talente fördern. Darunter sind viele Landtags- und Bundestagsabgeordnete, auch Fraktionsvorsitzende und Bürgermeister. Die Prominenteste unter ihnen heißt Manuela Schwesig und ist Bundesfamilienministerin.

„Ihre politische Laufbahn ist ein hervorragendes Beispiel für schrittweisen Aufstieg durch Leistung“, sagt der Mann, bei dem Schwesig in die Lehre ging, als sie vor zehn Jahren gerade Stadtverordnete in Schwerin geworden war. Wenn die Familienministerin selbst heute über ihren Werdegang redet, vermittelt sie nicht den Eindruck, dass sie ohne die Parteischule politisch gescheitert wäre. Aber sie spricht sehr positiv über die Wirkung des Angebots, das sie damals annahm. „Die Kommunalakademie hat mir Mut zum Weitermachen gegeben“, sagt sie. Es dauert nicht lange und Schwesig stieg in Schwerin zur Fraktionschefin auf, nach vier Jahren war sie Landesministerin, nach weiteren drei Jahren wechselte sie ins Bundeskabinett.

Vor einiger Zeit machte sich der Politikwissenschaftler Franz Walter über die Parteischule lustig mit dem Hinweis, politischen Naturtalenten und Kraftnaturen wie etwa Gerhard Schröder gelinge der Aufstieg schließlich auch ohne solche Hilfestellung. Tovar erinnert sich, dass er dem Göttinger Professor damals heftig widersprach: „Gerhard Schröder hat natürlich Seminare und Trainingsangebote besucht. Er hat an sich gearbeitet, weil er klug ist. Kluge Menschen wollen immer dazulernen.“

Nicht weniger stolz als auf Vorzeigeministerin Schwesig ist Tovar auf einen wie Stefan Wolfshörndl. Der Franke hatte 2001 als 28-Jähriger an der Kommunalakademie teilgenommen und gewann schon ein halbes Jahr später die Bürgermeisterwahl in dem 7000-Einwohner- Städtchen Gerbrunn bei Würzburg.

Der Kurs habe ihn vorangebracht, sagt der Kommunalpolitiker heute. Er lernte nicht nur politisches Handwerk, Gesprächsführung, Argumentationstechniken und Zeitmanagement, sondern erhielt auch praktische Unterstützung: „Die Teilnehmer haben meinen Wahlkampf nächtelang diskutiert, begleitet und tatkräftig geholfen.“ Die Unterstützung wirkte offenbar. Zwei Mal wurde Wolfshörndl seither wiedergewählt.

Die Parteischüler bekommen Tipps zum richtigen Händeschütteln

Ein Kurs der Kommunalakademie läuft über vier Wochenenden, jeweils von Freitagmittag bis Sonntagmittag. An zwei Terminen im Jahr lädt die Parteischule 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von 20 bis 40 ein. Der erste Kurs startete im Februar 2001, im Herbst 2014 findet bereits der 43. statt.

Wer mitmacht, lernt etwa einen Haushalt zu lesen oder wie man Bürgerbeteiligung organisiert. Auch ganz praktische Tipps zum Auftreten und zur besseren Ausstrahlung vermittelt das Material der Parteischule, zum Beispiel: „Dein Händedruck sollte fest und entschieden sein.“ Jungpolitiker erfahren auch, dass sie auf ihre Textilien achten sollen: „Bevor nur ein Wort gewechselt ist, geben deine Körpersprache und deine Kleidung schon die erste Visitenkarte ab.“

In Tovars Büro im zweiten Stock des Willy-Brandt-Hauses hängt in einem Glasrahmen ein altes Schwarz-Weiß- Foto. An einfachen Holzbänken sitzen da lauter Männer in dunklen Anzügen und drehen sich zum Fotografen um – der erste Kursus der zentralen Parteischule der SPD im Jahr 1906/1907. Neben einer großen Schiefertafel stehen hinten an der Wand Parteichef August Bebel und die Lehrerinnen und Lehrer der Parteischule.

Im Kaiserreich war die Parteischule gemeinsam mit dem SPD-Parteivorstand und der Parteizeitung „Vorwärts“ ein paar hundert Meter vom heutigen Willy-Brandt-Haus in Berlin entfernt in der Lindenstraße untergebracht. Schon nach sieben Jahren beendete der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 den Schulbetrieb. Es sollte 72 Jahre dauern, bis die SPD auf Initiative von Willy Brandt und Peter Glotz die Einrichtung 1986 neu gründete. Franz Müntefering und Matthias Machnig reorganisierten und erweiterten im Jahr 2000 das Bildungsangebot. Heute unterstützt die Parteischule auch ehrenamtliche Parteiaktivisten und fördert die „High potentials“ der SPD in der „Führungsakademie der sozialen Demokratie“.

Eine Karriere-Garantie gibt es nicht

Die Teilnehmer für dieses Angebot siebt eine Kommission der Parteispitze streng aus. An vier Terminen im Jahr treffen sich die in der Regel 40 Teilnehmer für ein ganzes Wochenende. Professionelle Trainer vermitteln Verhandlungstechniken oder Möglichkeiten, das eigene politische Angebot effektvoll zu präsentieren. „Politik ohne Inszenierung gibt es nicht, beides hat schon immer zusammengehört“, heißt es dazu in der Ausschreibung. Das Angebot läuft seit 2007, in diesem Jahr werden es 200 Genossen absolviert haben.

Dass seine Partei die mehr als 100 Jahre alte Institution wieder belebt hat und betreibt, ist für Tovar kein Zufall. Natürlich gebe es einen Zusammenhang zwischen dem Menschenbild der SPD und der Parteischule, meint er: Sozialdemokraten glaubten fest daran, dass Menschen ihre Potenziale entwickeln könnten und dass dies die Gemeinschaft voranbringe. Schließlich sei die SPD aus den Arbeiterbildungsvereinen entstanden. Die Botschaft lautet: „Wir sind die Partei der Bildung, seit 151 Jahren.“

Eine Eintrittskarte ins Bundeskabinett aber kann auch der Leiter der Parteischule nicht verteilen. „Keiner, der bei uns einen Kurs macht, geht mit einem Garantieschein nach Hause, dass er demnächst Staatssekretär wird“, sagt er. Ihren Erfolg müssten sich die Absolventen „wie alle anderen in der innerparteilichen Demokratie erarbeiten“.

Und bevor einer von Tovars Zöglingen dann in 20 Jahren tatsächlich Kanzlerin oder Kanzler wird, muss seine Partei wohl auch noch die rund 15 Prozentpunkte Unterschied zur Union wieder wettmachen.

Dieser Text erscheint in der "Agenda" vom 29. Juli 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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