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Ob sich der Braunkohletagebau in Garzweiler (im Bild) oder im Lausitzer Tagebaurevier noch lohnen, ist die Hauptstreitfrage zwischen den Gutachtern des Wirtschaftsministeriums und denen von Gewerkschaft und Industrie.

© Oliver Berg/dpa

Streit um die Braunkohle: Zahlen, bitte

Der Streit über die Zukunftsfähigkeit der Braunkohle wird mit Gutachten und Gegengutachten geführt. Am Samstag demonstrieren die Gewerkschaften für und die Umweltschützer gegen die Braunkohle.

Der Zahlenkrieg um den Klimabeitrag der Stromwirtschaft geht in eine neue Runde. Am Samstag findet er einen weiteren Höhepunkt: Die Gewerkschaften haben in Berlin zu einer Protestkundgebung gerufen, zu der sie „mindestens die Hälfte der in der Braunkohlewirtschaft beschäftigten“ Arbeitnehmer erwarten, also rund 10 000. Zeitgleich hat die Umweltbewegung zu einer Anti-Kohle-Menschenkette gerufen. Mindestens 8000 Demonstranten werden sie auf die Straße bringen müssen, um eine acht Kilometer lange Menschenkette zwischen Keyenberg und dem Rand des Tagebaus Garzweiler zu schließen.

Seitdem der Vorschlag einer Kohlendioxid-Abgabe für alte Kohlekraftwerke auf dem Tisch liegt, werden Rechnungen und Gegenrechnungen aufgemacht. Der Zahlenzirkus, wie Greenpeace das nennt, obwohl der Verband sich selbst daran beteiligt, ist in vollem Gang.

Gewerkschaften und Industrie warnen vor Jobverlusten

Die Gewerkschaften, die Braunkohlebranche und Wirtschaftsverbände warnten zunächst davor, 100 000 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Inzwischen haben sie etwas abgerüstet und behaupten nur noch, sämtliche Arbeitsplätze in den Braunkohletagebauen, den Kraftwerken sowie den vor- und nachgelagerten Industrien stünden auf dem Spiel. Das wären nach Angaben des Braunkohle-Wirtschaftsverbands (Debriv) 47 500. In einem aktuell vom Verband beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut in Auftrag gegebenen Gutachten, das noch nicht veröffentlicht ist, ist noch von 39 400 Stellen die Rede, die durch die Einführung des Klimabeitrags verloren gehen könnten.

Ministeriumsgutachter bezweifeln den "Dominoeffekt"

Diese Zahlen halten das Prognos-Institut und das Öko-Institut, die für das Wirtschaftsministerium die Folgen der Einführung des Klimabeitrags abgeschätzt haben, für völlig überzogen. Bei einer Veranstaltung der Denkfabrik Agora Energiewende legten sie dar, dass die alten und uralten Braunkohlekraftwerke, die älter als 40 Jahre alt sind, auch dann noch am Netz gehalten werden könnten, wenn die CO2-Abgabe von 2017 an eingeführt würde. Ihr Argument: Die Kraftwerke könnten optimiert gefahren werden, also nicht mehr rund um die Uhr Strom erzeugen, sondern nur noch in Zeiten, in denen die Preise an der Strombörse höher sind, weil der Bedarf größer ist, die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Ob die Kraftwerke noch wirtschaftlich betrieben werden können, ist der Hauptstreitpunkt zwischen den Gutachtern des Ministeriums und den Gegengutachtern von Industrie und Gewerkschaften.

Die IG BCE warnt vor einem „Dominoeffekt“. Damit ist gemeint, dass Tagebaue sich nicht mehr lohnen würden, wenn Kraftwerke abgeschaltet oder auch nur weniger Strom erzeugen würden. Dann könnten die verbleibenden Kraftwerke unwirtschaftlich werden, weil diese dann nicht nur die Kosten für den Tagebaubetrieb, sondern auch für die Sozialpläne und die Renaturierung von stillgelegten Tagebauen erwirtschaften müssten. Das sei bei anhaltend niedrigen Großhandelspreisen für Strom nicht möglich.

Gewerkschaft beauftragt US-Investmentbank

Die IG BCE hat die amerikanische Investmentbank Lazard damit beauftragt, diesen von ihr befürchteten Domino-Effekt mit Zahlen von drei Konzernen – Mibrag, RWE und Vattenfall – nachzuweisen. Unter der Annahme, dass die Großhandelspreise sich im Vergleich zu heute nicht verändern. Dabei weist die aktuelle Stilllegungsliste der Bundesnetzagentur 42 Kraftwerke mit einer Leistung von rund 11 567 Megawatt auf. Sollten sie alle stillgelegt werden dürfen, gäbe es zwar noch immer Überkapazitäten auf dem deutschen Strommarkt, aber dennoch dürfte dieses geringere Angebot Auswirkungen auf den Strompreis haben. Das Gleiche gilt für die Annahme der Gewerkschaft, dass durch den Klimabeitrag 38 Braunkohlemeiler mit einer Leistung von weiteren 20 000 Megawatt stillgelegt würden. Auch das hätte nach Lazard-Rechnung keinen Einfluss auf den Strompreis. Höhere Großhandelspreise für Strom würden jedoch die Ertragslage aller anderen Kraftwerke verbessern. Ein Effekt, der in den von Gewerkschaften und von der Wirtschaft beauftragten Gutachten bisher nicht berücksichtigt ist.

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