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Als "Volksverschwender" stand Bundestagspräsident Lammert am Pranger der Boulevardmedien. Auch er gehörte zu den Füller-Käufern.

© imago/CommonLens

Transparenz der Volksvertretung: Der Kauf von Luxus-Füllern sollte kein parlamentarisches Geheimnis sein

Die Montblanc-Affäre ist ein weiterer Beleg: Der Bundestag muss sich an mehr Öffentlichkeit gewöhnen.

Norbert Lammert wird sich geärgert haben. Als „Volksverschwender“ porträtierte ihn die „Bild“-Zeitung und rechnet ihm vor, wie viele teure Schreibgeräte der Marke Montblanc über sein Abgeordnetenbüro bestellt worden sein sollen. Daneben Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, heute Bahn-Vorstand, dem das Blatt mit mehr als 3000 Euro den höchsten Füllerumsatz zurechnet. „Montblanc-Schnorrer“ steht über einer Liste mit Parlamentariernamen.

Ausdruck seines Ärgers dürfte eine Pressemitteilung sein, die Lammert in seiner Doppelfunktion als Parlamentspräsident und Chef der Bundestagsverwaltung den ihm unterstellten Bundestagsdirektor Horst Risse herausgeben ließ. Darin wird allerlei richtig- oder besser klargestellt. Denn der Hauptvorwurf lässt sich schlecht bestreiten: Viele Abgeordnete haben die ihnen zustehende Büropauschale benutzt, um überteuertes Schreibgerät anzuschaffen. Eine lässliche Sünde, mag mancher denken. Doch unter Beamten könnten derlei Usancen bei der Verwendung öffentlicher Mittel den Staatsanwalt auf den Plan treten lassen. Bei den Volksvertretern ist es die Öffentlichkeit, die Kontrolle fordert.

Hinter der gewiss absichtsvoll überzogenen Empörung über die „Raffkes“ steckt ein Konflikt, dem nicht nur Lammert auszuweichen pflegt. Was dürfen Bürger eigentlich über ihr Parlament und seine Arbeit wissen? Das Plenum verhandelt öffentlich, und am Ende werden Gesetze verkündet. Was geschieht davor, danach, dazwischen? Viele Antworten finden sich in der überreichen Produktion von Bundestags-Drucksachen, von denen wiederum viele früher oder später auf den Webseiten des Hohen Hauses abrufbar sind. Aber eben nicht alle. Und manches erst nach Monaten oder Jahren. Dabei gilt jedenfalls für die den Bundestag organisierende Behörde seit 2006 das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das Bürgern grundsätzlich freien Zugang zu amtlichen Informationen verschafft.

Der Montblanc-Affäre, die mit der Listenveröffentlichung wohl ihren Höhepunkt erreicht hat, geht ein jahrelanger Rechtsstreit voraus, der noch immer nicht beendet ist. Er zeigt exemplarisch, wie sich die Bundestagsverwaltung zu Transparenzanliegen gegenüber der Legislative verhält: abwehrend. Für den Staatsrechtler Ulrich Battis, der heute als Anwalt tätig ist, ein Symptom: „Die Bundestagsverwaltung muss sich daran gewöhnen, dass auch für sie die Gesetze gelten, die der Bundestag erlassen hat“, sagt er. „Angelegenheiten, mit denen eine Behörde dienstlich befasst ist, sind grundsätzlich öffentlich und nur ausnahmsweise geheim.“

Seit 2009 wollten die Journalisten wissen, welche Parlamentarier sich die feinen Stifte von ihrer sogenannten Sachleistungspauschale gönnten. Im März dieses Jahres stellte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig fest, dass bei konkreten Anhaltspunkten für Missbrauch sogar Namen genannt werden müssen. Ein paar Punkte sahen sie sogar selbst, weil verdächtig viele Füllerkäufe auf die letzten Monate der Legislaturperiode fielen und für viele Abgeordnete zugleich feststand, dass sie ausscheiden würden.

Aber die Bundestagsverwaltung weigerte sich wieder, als sie nach den Spitzeneinkäufern in den Monaten vor der Wahl befragt wurde. Es gab nur eine Liste ohne Namen. Wiederum musste das Verwaltungsgericht ran, das Ende Juli in sechs von elf Fällen den geforderten Missbrauchsverdacht erkannte. Akzeptieren will die Parlamentsbehörde das nicht. Sie erhob Beschwerde und hofft auf das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg, das den Schutz der Mandatsfreiheit regelmäßig weiter spannt als die Gerichte unter und über ihm.

Das tat das OVG auch im mittlerweile erledigten Streit um die Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestags, die Abgeordnete zu aktuellen Themen in Auftrag geben. Es hätte nichts dagegengesprochen, sie allen Bürgern zugänglich zu machen, zumal die Autoren aus Steuermitteln bezahlt werden. Aber Lammert und seine Verwaltung waren dagegen. Die Berliner OVG-Richter meinten in einem Rechtsstreit mit dem Tagesspiegel, auch die „Informationsbeschaffung“ stehe unter dem Schutz der Mandatsfreiheit. Was ein Politiker bei den Beamten des WD erfahre, besitze nur er, und es bleibe „dem einzelnen Bundestagsabgeordneten überlassen, wie und auf welche Weise er seine Tätigkeit in der Öffentlichkeit präsentieren möchte“. Eine Sichtweise, die das Bundesverwaltungsgericht wenig später in einem parallel laufenden Verfahren nicht nachvollziehen konnte. Heute stehen die Gutachten, laufend aktualisiert und nach Fachbereichen sortiert, im Internet. Erschwernisse für die Mandatsarbeit sind keine bekannt geworden.

Die Ursache für ihre Skepsis haben die OVG-Richter in einem ihrer Montblanc- Urteile benannt. Es ist die Furcht, die Presse könne etwas skandalisieren, wo es keine Skandale gibt. Sind die Montblanc- Einkäufe ein Skandal? Vermutlich. Ein kleiner. Der Rest ist Skandalisierung. Nicht zu vergessen: Den Charakter einer Enthüllung hat das Ganze nur bekommen, weil Lammert und seine Beamten die Listen zum Staatsgeheimnis erhoben haben. Der Ältestenrat hatte längst eingesehen, dass die Einkaufsregeln überarbeitet gehören. Da ist es letztlich egal, ob ein Skandal oder eine Skandalisierung den Anlass gab.

Ähnlich endete die Diskussion um die geheim erteilten Bundestags-Hausausweise für Lobby-Vertreter. Nach einer Klage des Tagesspiegels musste die Lammert-Behörde die zurückgehaltene Liste offenlegen. Es zeigte sich, dass zuhauf Gesandte von Firmen den Direktzugang durch die Hintertür nahmen. Der Weg ist mittlerweile versperrt, die Zahl der Lobbyisten mit Zugang reduziert.

Es scheint, als müsse die Bundestagsverwaltung zu jeder Art von Fortschritt erst verurteilt werden. Sollte sie nicht vorangehen? Das sei zu viel verlangt, meint der Parlamentsrechtler und ehemalige Bundestagsdirektor Wolfgang Zeh. Die Behörde sei „eine Serviceeinrichtung für die Abgeordneten, keine herkömmliche Verwaltung“. Ihre Ratio liege in den Bedürfnissen und Erwartungen, die vom Bundestag geäußert werden. Sie könne ihm Arbeit abnehmen, aber keine Entscheidungen. Wäre der Unwille der Behörde demnach ein Unwille des Parlaments? Beides bedingt sich möglicherweise gegenseitig. Der Jurist Battis sieht eher zu viel guten Willen, und zwar aufseiten der Behörde: „Sie meint, die Abgeordneten in einer Weise schützen zu müssen, dass man denken könnte, sie halte sie für Dilettanten.“

Für die Praxis der Informationsverwertung, etwa durch Journalisten, lassen sich Parlament und Behörde kaum trennen. Ein Beispiel: die Sitzungen der Bundestagsausschüsse. Mehr als die Hälfte sind nichtöffentlich. Die Parlamentarier dürfen darüber berichten, das ist ihre Freiheit. Aber die Protokolle, die bei der Verwaltung lagern, sind unzugänglich. Eine Tagesspiegel-Klage auf Auskunft will das Berliner Verwaltungsgericht in der zweiten Jahreshälfte entscheiden.

Nach Meinung der Rechtsexperten fehlt es an Öffnung. Die Möglichkeit zum Zuschauer-Ausschluss müsse es weiter geben, sagt Battis. Allerdings müsse dies nicht die Regel sein. „Insbesondere wenn die Sitzungen dazu bestimmt sind, das Verhalten der Regierung zu erörtern oder Regierungsmitglieder zu befragen, sollte die Öffentlichkeit teilhaben können oder zumindest Zugang zu den Protokollen erhalten.“ Zeh tritt ebenfalls für mehr öffentliche Sitzungen ein. „Damit würde der Bundestag besser sichtbar machen, wie viel sorgfältige, seriöse Arbeit er auf die schwierigen Themen des politischen Alltags verwendet.“ Da liege dann aber das eigentliche Problem: „Es geht keiner hin, ebenso wenig wie auf die Pressetribüne des Plenums.“ Ob es deshalb ein Zeichen demokratischen Fortschritts ist, wenn sich das Parlament öffnet, ist Zeh skeptisch: „Die sogenannte Transparenz macht nur solange Spaß, wie es etwas zu enthüllen gibt; bei komplexen Fragen wird es schnell zu anstrengend.“

Der Text erschien in der "Agenda" vom 6. September 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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