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Europaweit protestieren Menschen immer wieder gegen das TTIP-Abkommen.

© Reuters

TTIP-Abkommen: Die Steuerung eines europaweiten Protests

Gegen die Handelsabkommen TTIP und Ceta gibt es europaweit Protest – 477 Organisationen haben sich miteinander vernetzt. Wer koordiniert das alles?

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Manchmal können schlechte Nachrichten gute Nachrichten sein. Für Cornelia Reetz war so ein Tag, als der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kürzlich sagte, die TTIP-Verhandlungen könnten sich weiter verzögern. So ein Tag war, als EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vor einem Monat die Abstimmung über das Freihandelsabkommen absagte. Wenn bei der TTIP-Debatte gestritten wird. Wenn es stockt, hakt, nicht vorangeht. In solchen Momenten machen ihr schlechte Nachrichten Mut. Motivieren. Dann glaubt sie, dass es durchaus sinnvoll ist, was sie tut.

Cornelia Reetz, 32 Jahre alt, arbeitet für die Europäische Bürgerinitiative „Stop TTIP“. An diesem Morgen sitzt Reetz in dem Kampagnenbüro der Initiative. Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße, Prenzlauer Berg. Mehr als 50 Organisationen, teils bekannte NGOs, haben hier ihre Räume. Passender könnte das Umfeld der Kampagne wohl nicht sein, die von 477 Organisationen, Verbänden, Gewerkschaften aus ganz Europa unterstützt wird. Seit vergangenem Oktober hat die Initiative mehr als 2,2 Millionen Unterschriften gegen TTIP gesammelt. „Obwohl es ein komplexes Abkommen ist, spricht es Emotionen an“, sagt Reetz. Es mobilisiert.

Protest in ganz Europa

In fast jedem europäischen Land gibt es eine eigene nationale Initiative gegen das Freihandelsabkommen zwischen der USA und der Europäischen Union. Sie kritisieren die Geheimhaltung der Verhandlungen, die geplante Einrichtung von Schiedsgerichten. Es widerspreche der Idee von Gerechtigkeit. Europaweit. Deswegen wurde im Frühjahr 2014 überlegt, die Kampagne auf eine internationale Ebene zu heben. Eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen.

Wie die Idee der Initiative entstand

Den Vorschlag dazu machte Michael Efler vom Verein „Mehr Demokratie“ bei einem Treffen des deutschen Bündnisses „TTIP Unfairhandelbar“: Eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP und Ceta als direktdemokratisches Instrument. Mit dem Ziel, in Brüssel mitzureden. EU-Bürger haben seit April 2012 die Möglichkeit, Bürgerinitiativen mit einem Europa-relevanten Thema einzureichen. Um als erfolgreiche Initiative registriert zu werden, müssen eine Million Menschen aus mindestens sieben der 28 EU-Mitgliedstaaten das Anliegen unterstützen. Bei „Stop TTIP“ haben bereits 15 Länder das Quorum erreicht, mehr als zwei Millionen Menschen haben unterschieben. Trotzdem lehnte die Europäische Kommission den Antrag im September ab.

In der Begründung hieß es, Verhandlungsmandate zu TTIP und Ceta seien keine Rechtsakte, sondern interne Vorbereitungsakte zwischen den EU-Organen. Nicht durch eine Bürgerinitiative anfechtbar. Zum anderen könne die Kommission keine negativen Ratifizierungsvorschläge machen und insofern der Forderung, die Verhandlungen über Ceta und TTIP nicht abzuschließen, auch nicht nachkommen. „Im Umkehrschluss heißt das, internationale Verhandlungen der Kommission dürfen durch Bürgerinnen und Bürger nur bejubelt, nicht aber kritisiert werden“, ärgerte sich Efler.

Verschiedene Interessen verlangsamen die Arbeit

Europaweit protestieren Menschen immer wieder gegen das TTIP-Abkommen.
Europaweit protestieren Menschen immer wieder gegen das TTIP-Abkommen.

© Reuters

Vorab hatte das Bündnis ein Rechtsgutachten des Völkerrechtlers Bernhard Kempen von der Universität Köln eingeholt. Seine Einschätzung: Die EBI ist zulässig. Nach dem Nein aus Brüssel zog die Initiative vor den Europäischen Gerichtshof, machte als selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative weiter. Dann eben ohne die Anerkennung durch die EU-Kommission. Das Bündnis untersteht dem Trägerverein „Mehr Demokratie“. Efler, in Berlin bekannt durch den Energietisch, das Bürgerbegehren Klimaschutz und seine Kandidaturen bei der Europawahl 2009 sowie der Abgeordnetenhauswahl 2011 für die Linkspartei, sitzt im Vorstand von „Mehr Demokratie“ und an der Spitze des Anti-TTIP-Bündnisses.

Auch „Mehr Demokratie“- Vorstand Roman Huber gehört zu den Führungsleuten beim Europa-Bündnis. Gemeinsam mit fünf anderen deutschen Vereinen, darunter NABU und der BUND, haben Efler und Co. das „Stop TTIP“-Bündnis durch „Beiträge“ ihrer Muttervereine im Umfang von insgesamt 84 000 Euro ins Leben gerufen. Geplantes Gesamtbudget: 475 000 Euro. Ursprünglich glaubte man, dass die Unterstützerorganisationen aus ganz Europa zur Finanzierung der Kampagne beitragen und Spenden von Privatpersonen, die über eine Internetplattform eingeworben werden, nur 40 Prozent der Einnahmen decken sollen. Rasch stellte sich dann jedoch heraus, so jedenfalls sagt Kampagnen-Mann Huber, dass die Spenden ausreichen und man von den Partnern, zu denen übrigens auch die Linkspartei und die Piraten gehören, keine Finanzspritzen brauche.

Das Herz von "Stop TTIP"

Die beiden Kampagnenmanagerinnen, das Herz von „Stop TTIP“, sitzen gerade an dem großen Holztisch des Kampagnenbüros. Im Hintergrund stehen Kisten mit Briefen von besorgten Bürgern: Stephanie Roth ist Umweltaktivistin und setzte sich elf Jahre lang gegen die Eröffnung der größten Goldmine in Europa im rumänischen Rosia Montana ein. 2005 bekam sie dafür den Goldman Environmental Prize.

Cornelia Reetz arbeitete während ihres Politikstudiums ehrenamtlich für das globalisierungskritische Netzwerk Attac und den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Als sie 2005 mit ihrem Master fertig war, wurde YouTube gegründet. Eine günstige Möglichkeit, zivilgesellschaftliche Themen zu streuen, dachte sich Reetz. Sie machte noch einen Master, um Dokumentarfilme drehen zu können, und arbeitete einige Jahre als Filmemacherin für verschiedene Organisationen. Bis TTIP kam. Und im Büro, in dem sie sitzt, nächtelang das Licht brannte.

Unterschiedliche Sprachen und Interessen

Einfach ist ihr Job nicht. Was macht das Büro in Berlin, was machen die vielen Initiativen, die zu dem Netzwerk gehören? Mails, Social Media, Telefonkonferenzen, halbjährige Treffen in Brüssel. Die Kommunikation, die Vernetzung ist wichtig. Manchmal sind es die Sprachbarrieren, manchmal die unterschiedlichen Interessen der vielen Organisationen, die den Arbeitsablauf verlangsamen. Von Greenpeace über Verdi bis zu der Linkspartei und den Piraten. Von Attac über den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter bis hin zu Brot für die Welt. Ende Februar läuft der Vertrag von Reetz aus. Wie es dann weitergeht, weiß sie nicht.

Fest steht nur: Am 6. Oktober ist der letzte Sammeltag für Unterschriften, eine selbstorganisierte EBI währt ein Jahr lang. Und in drei bis sechs Monaten entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Klage von „Stop TTIP“. Reetz glaubt, die Chancen stehen gut. Bislang wurden zwei EU-Bürgerinitiativen von der Kommission akzeptiert: „Right2Water“ – gegen die Privatisierung der Wasserversorgung – und „Einer von uns“ – gegen die embryonale Stammzellenforschung. Falls das Anti-TTIP-Bündnis vor Gericht siegt, müsste die Kommission zu ihrem Anliegen Stellung nehmen. Es käme zu einer Anhörung im Parlament.

Das Instrument, ein zahnloser Tiger

Die 32-jährige Aktivistin sagt aber auch: „Das Instrument ist ein relativ zahnloser Tiger.“ Zu nichts ist die Kommission wirklich verpflichtet. Trotzdem sei es wichtig. Weil sich die Menschen mit dem Thema beschäftigen. Und bei all diesen geheimen TTIP-Gesprächen, da sei eine öffentliche Debatte so wie Licht für einen Vampir.

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