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Alterspräsident des Deutschen Bundestags: Heinz Riesenhuber (80).

© Michael Kappeler/dpa

Über 65 und im Bundestag: Die alten Wilden der Politik

Sie heißen Riesenhuber, Ströbele, Steinbach – drei von 46 Bundestagsabgeordneten über 65. Was hält sie noch in der Politik?

Ach, dass die Zeiten so schnelllebig sind. Dass sich in Windeseile alles verändert. Alles? Die Ausnahme sitzt im Berliner Paul-Löbe-Haus, jener weitläufigen Bürolandschaft, in der sich an endlosen Gängen die Zimmer der Bundestagsabgeordneten befinden. Die Ausnahme heißt Heinz Riesenhuber. Er ist der lebende Widerspruch zur Veränderung. Riesenhuber sitzt schon immer da.

Genauer gesagt seit fast 40 Jahren. Noch genauer gesagt: Natürlich war der Ort seines ausdauernden Sitzens nicht immer das Paul-Löbe-Haus. Schließlich war er in Bonn schon lange Jahre mit von der Partie, CDU-Abgeordneter, Forschungsminister. Nur Richard Stücklen und Wolfgang Schäuble haben es auf mehr Abgeordnetenjahre im Bundestag gebracht. Der Älteste freilich ist er: Im vergangenen Dezember hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Heinz Riesenhuber, Alterspräsident. Der Mann, der treu geblieben ist.

Bei solcher Treue fragt man sich selbstverständlich, während es den Flur entlang zu seinem Büro geht, ob er diese Treue über die Jahre auch seinem Kleidungsstil gehalten hat, der unentwegten, unverwechselbaren Fliege. Aber kaum, dass sich die Tür geöffnet hat, zeigt sich, dass das eine dumme Frage war. Heinz Riesenhuber trägt einen blauen Blazer mit Goldknöpfen, darunter lässig-sportlich Pullover und Hemd – und darüber seine Fliege. Was denn sonst? Ach, dass die Zeiten so langlebig sind.

Zu Hause warten zehn Enkelkinder

Mit 80 Jahren noch immer im Bundestag. Und zu Hause warten zehn Enkelkinder. Kein wohlverdienter Ruhestand? Immer noch morgens um halb acht im Büro und abends erst nach Hause, wenn es dunkel ist. Einer, der nicht loslassen kann?

Dieses Schicksal teilt Riesenhuber mit gar nicht wenigen. Zwar liegt der Altersdurchschnitt im Deutschen Bundestag bei knapp 50 Jahren, zwar stellen die 50- bis 59-Jährigen die größte Gruppe, aber 46 Parlamentarier immerhin sind es, die die magische Grenze von 65 Jahren überschritten haben, einige schon ziemlich lang. So ist das Hohe Haus für viele auch so etwas wie eine Altenbegegnungsstätte.

Eine fröhliche dazu. Denn die meisten der Alteingesessenen geben als Grund für ihre lange Verweildauer ganz einfach persönliches Vergnügen an. "Mir macht es eben Spaß", sagt Heinz Riesenhuber, und der 80-Jährige hat ein 30-jähriges Lachen im Gesicht. Im Übrigen sei Pensionierung mit 65 unmenschlich.

Und dann sagt er jenes Wort, das er in der folgenden Stunde nicht müde wird zu wiederholen. "Faszinierend" heißt das Wort. Die Auseinandersetzung mit klugen, engagierten Kollegen – faszinierend. Die Freiheit des Abgeordneten – faszinierend. Die Arbeit in den Ausschüssen – ein intellektuelles Vergnügen. Als er in den 60er Jahren zur Politik kam, wollte er höchstens zehn Jahre bleiben; und als er dann im Bundestag saß, dachte er wieder: Nur ein paar Jahre. Aber dann kam eben dieses Angebot: Minister unter Helmut Kohl. "Da konnte ich nicht ablehnen." So kam das eine zum anderen, und Heinz Riesenhuber wurde der Treueste der Getreuen. Er blieb und blieb und blieb. Und schließt selbst heute nicht aus, dass es ab 2017 noch eine weitere Legislaturperiode für ihn geben könnte. "Das ist noch nicht entschieden."

Kein bisschen müde

Wirklich nie Müdigkeit verspürt in all den Politikritualen? In der Langeweile mancher Debatten, die sich oft zäh in den Abend ziehen? Und ist die Freiheit des Abgeordneten nicht eine ziemlich relative Freiheit, bedrängt von Fraktionszwang und zahllosen Einzelinteressen?

Kein bisschen müde, sagt Riesenhuber. Im Übrigen gehe man ja nicht ins Parlament, um sich zu amüsieren, fügt er hinzu – und sieht dabei sehr amüsiert aus. Fraktionsdisziplin gehöre nun einmal zu den Spielregeln der Parteienpolitik, jede Sache habe ihren Preis, jeder Beruf seine lästigen Abschnitte. Und dann versucht er sich mit Altersweisheit und Schiller: "Des Lebens ungemischte Freude/Ward keinem Irdischen zuteil." Dabei lacht er wieder, dass die Ohren wackeln; und die Ohren sind tatsächlich ein Tribut ans Alter. So groß sind sie mittlerweile geworden, dass sie glatt ins Genscherhafte spielen. Ohren wachsen bekanntlich ein Leben lang.

Daran hat Hans-Christian Ströbele noch einige Jahre zu arbeiten. Immerhin 75 ist er inzwischen auch schon und damit zweitältester Abgeordneter im Deutschen Bundestag. 1998 holte er für die Grünen ein Berliner Direktmandat, eine Sensation damals, aber seither ist er zum Wiederholungstäter geworden und seine Zugehörigkeit zum Hohen Haus so etwas wie eine Selbstverständlichkeit. Und genau hier liegt das Problem.

Dauerhaft eine Funktion bekleiden? Das gehört sich nicht für Grüne

Denn es gehört sich ja bei den Grünen nicht so recht, dass einer so dauerhaft eine Funktion bekleidet. Noch dazu einer, der immer für Rotation geworben hatte. Aber beim Direktmandat, was schließlich viel mit der jeweiligen Persönlichkeit zu tun hat, liegt die Sache ein wenig anders: Wer könnte Ströbele ersetzen? Also blieb auch er und blieb, man erkennt ihn schon von Weitem an seinem roten Schal, den er wie selbstverständlich auch in seinem Büro trägt.

"Mach' weiter", sagen die Leute. Und er gibt zu, dass ihn das freut. Weshalb er tatsächlich überlegt, weiterzumachen. Ausgeschlossen jedenfalls ist es nicht. Dafür gibt es ein paar Gründe. Der allererste, und damit ist er ganz nahe beim CDU-Kollegen Riesenhuber: "Mir macht das ungeheuer Spaß." Trotz des Arbeitsalltags von meist 14 Stunden.

Wobei er sich nichts vormacht. Er weiß ja genau, was viele denken, wenn er sich zum x-ten Mal im Plenum bei den Debatten um Auslandseinsätze der Bundeswehr meldet. "Der schon wieder", denken die. Aber davon ist er nicht abzubringen, und die Erfahrungen in Afghanistan haben ihm schließlich recht gegeben, sagt er. Dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung gebracht zu haben, unbeirrbar, die Diskussion darüber öffentlich gemacht zu haben, das sei seine größte politische Leistung. "Ein paar Alte im Bundestag sind schon gut." Zumal sie dem Staat auch einiges Geld sparen. Weil sie durch ihre Altersaktivität nicht die Pensionskasse belasten.

Steinbach will aufhören - ihr Lebenswerk hat sie ja vollendet

Die wird Erika Steinbach zum Ende der Legislaturperiode nun doch in Anspruch nehmen. Seit 1990 ist die CDU-Frau im Bundestag und mit ihren 72 Jahren die weibliche Altersrekordhalterin. Doch damit wird nun endgültig Schluss sein, "das habe ich meinem Mann versprochen". Außerdem: Ihr Lebenswerk hat sie ja vollendet – die Einrichtung eines Vertriebenenzentrums sowie eines nationalen Gedenktags für Flucht und Vertreibung. "Dass sich Deutschland dieses Themas annimmt, das hätte es ohne mich nicht gegeben." Diese Erfolgsgeschichte sei auch eine Frucht des Älterwerdens. Das habe sie gelehrt, Kompromisse zu machen. "Ich muss nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand. Ich suche mir lieber eine Tür."

Durch die wird sie nun gelassen und entspannt in den Ruhestand spazieren, sich in Frankfurt beim Städel-Museum und bei der Errichtung eines Romantik-Museums engagieren. Kultur war ihr neben der Politik schließlich schon immer eine Herzensangelegenheit. Früher hat sie als Geigerin im Orchester gespielt. Aber versprochen: "Die Violine wird nicht wieder ausgepackt."

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