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Wurzelbehandlung. Das Themenfeld des Verbraucherschutzes wird jetzt unter neuer ministerieller Aufsicht beackert..

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Verbraucherschutz: Justiz- und Agrarministerium streiten um Geld und Macht

Der Verbraucherschutz wandert vom Agrar- ins Justizministerium. Reibungslos geht das nicht. Verbraucherschützer fürchten, dass sie künftig weniger Unterstützung bekommen.

Manchmal zeigt sich der große Wandel in kleinen Dingen, etwa bei Präpositionen. So geschehen im Bundesministerium der Justiz (BMJ). Das Haus in der Mohrenstraße heißt jetzt Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Für so manchen lang gedienten Ministerialbeamten im Verfassungsressort ist das neue „Für“ im Namen ein Zeichen des Abstiegs. Verstehen kann das nur, wer sich in der ministerialen Etikette auskennt. Das Ministerium des Innern oder der Finanzen – alle Schlüsselressorts tragen den vornehmen Genitiv. Anders als die neuen Häuser, „Emporkömmlinge“ wie das frühere Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).

Unter der neuen Regierung ist das BMELV das V für Verbraucherschutz los. Der Verbraucherschutz wandert vom Agrar- ins Justizministerium. Die Idee: Der Schutz der Verbraucher vor dubiosen Internetgeschäften oder Bauernfängern ist im Justizministerium besser aufgehoben als in einem Haus, in dem auch über Milchquoten, dicke Kinder oder die zweite Säule der Agrarförderung gebrütet wird. Der neue Justizminister, Heiko Maas, hat die Welt bereits verinnerlicht. Kaum war der Saarländer im Amt, geißelte er die Tricksereien beim ADAC, forderte angesichts der Prokon-Pleite einen besseren Schutz der Anleger und stattete der Stiftung Warentest einen Antrittsbesuch ab.

Doch was für viele vernünftig klingt, ist schwieriger als man denkt. Auch wegen des neuen Ministeriumsnamens. „Denen ist das echt wichtig“, wundern sich jene, die vom einstigen BMELV ins neue BMJV wechseln. Oder besser gesagt wechseln sollen. Denn für die neuen Leute gibt es bisher weder Büros noch Equipment. Hinzu kommt: Niemand weiß genau, wer geht und wer bleibt.

Einigermaßen klar ist bislang nur, dass es die Unterabteilung für rechtlichen und wirtschaftlichen Verbraucherschutz trifft. 30 Mitarbeiter könnten betroffen sein, vielleicht aber auch 38. Das hängt davon ab, wie die Weichen inhaltlich gestellt werden. „Wir behalten alles, was mit Lebensmitteln zu tun hat“, sagt Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Neben der Zuständigkeit für die Ernährungsindustrie, für Lebensmittelskandale und Kampagnen zum gesunden Essen zählt der Oberfranke auch zwei Bereiche dazu, die das BMJV nicht völlig preisgeben will: das Verbraucherinformationsgesetz und das Produktsicherheitsgesetz. Gerd Billen, Staatssekretär im BMJV, will das nicht kampflos hinnehmen und hat bei Kanzleramtsminister Peter Altmaier interveniert.

Verbraucherschützer fürchten um das Geld

Verbraucherschützer verfolgen den Kompetenzstreit mit einer gewissen Bangigkeit. Sie sehen Probleme, dem Bundesjustizministerium Geld für Projekte aus dem Kreuz zu leiern. Denn neben den neun Millionen Euro, die der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) im Jahr bekommt, und den 5,5 Millionen, die der Stiftung Warentest pro Jahr zufließen, hatte sich Ex-Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) auch bei anderen Projekten spendabel gezeigt. Knapp eine Million Euro bewilligte die CSU-Politikerin allein dafür, dass Materialien, die Firmen oder Verbände Lehrern zur Verfügung stellen, auf ihre Tauglichkeit getestet werden. Belohnt wurden auch Lehrer, die ihren Schülern das Thema Verbraucherbildung innovativ nahebringen. Auch in den digitalen Verbraucherschutz ist Geld geflossen. Mittel, um die man beim VZBV jetzt bangt.

„Frau Aigner hat sich für die Verbraucherbildung sehr stark gemacht“, sagt Julia Klingemann aus der Geschäftsleitung. „Es wäre schade, wenn das gefährdet wäre.“ Zumal die Verbraucherschützer mit einem neuen Renommierprojekt starten wollen – den Finanzmarktwächtern. Diese sollen Fälle sammeln von Verbrauchern, die von Banken, Versicherungen oder Finanzberatern schlecht behandelt wurden, und daraus Vorschläge für neue Gesetze entwickeln. Auf zehn Millionen Euro ist das Vorhaben für das erste Jahr veranschlagt. Zusammen mit weiteren Projekten seien für den Verbraucherschutz 30 Millionen Euro nötig, meint Eva Bell, Chefin der Verbraucherzentrale Berlin. Sollte Maas das Geld nicht bekommen, „dann wäre der Verbraucherschutz vielleicht besser im Landwirtschaftsministerium geblieben“, meint Bell. „Dort standen mehr Gelder zur Verfügung.“

Am Geld scheiden sich die Geister. „Wenn im Justizministerium 30 000 Euro ausgegeben werden sollen, ist das eine große Sache“, wundert sich ein Insider, „im BMELV ging es um ganz andere Summen“. Tatsächlich klaffen Welten zwischen den Etats der beiden Häuser. Knapp 5,3 Milliarden Euro hatte das BMELV im vergangenen Jahr zur Verfügung, vergleichsweise bescheidene 607 Millionen Euro das BMJ. Über den Etat 2014 wird noch gefeilscht. Wer wie viel bekommt, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viele Kompetenzen und Mitarbeiter die Häuser auf sich ziehen können.

Die Ernährungsindustrie freut sich über die Reform

Die Ernährungsindustrie sieht die Abspaltung des V aus dem einstigen BMELV dagegen uneingeschränkt positiv. „Politiker wollen sich gerne profilieren“, meint Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). „Frau Aigner wollte sich besonders im Bereich Verbraucherschutz hervortun. Sich gleichzeitig um Tierwohl im Kuhstall und den digitalen Fingerabdruck zu kümmern ist aber kaum möglich“, kritisiert der Lobbyist. Es sei gut, wenn Friedrich sich jetzt auf Agrar und Ernährung konzentriere. Eine Konzentration, die den betroffenen Branchen nutzen dürfte. Ohne den Verbraucherschutz dürften Bauern und Lebensmittelproduzenten wohl noch leichter Gehör finden im Ministerium.

Fragt sich nur, wie lange noch. Denn in vielen Bundesländern gibt es gar kein eigenständiges Agrarministerium. Selbst in Niedersachsen mit seinen riesigen Geflügelfarmen und Schweinmästereien ist das Landwirtschaftsministerium auch für Ernährung und Verbraucherschutz zuständig. Auf Bundesebene könnte in Zukunft Ähnliches drohen. Auch Friedrich scheint ein gewisses Unbehagen zu verspüren: In vier Jahren werde das Ministerium so unentbehrlich sein, dass es nicht dem Umweltministerium zugeschlagen werde, sagte der Minister kürzlich.

Unbehagen haben aber auch viele Juristen. Die neue Zuständigkeit für den Verbraucherschutz sei „schlecht für die Justiz“, hieß es vor kurzem bei einem Richtertreffen in Berlin. Die Befürchtung: Statt sich um die Justiz und die Verfassung zu kümmern, würden sich Maas und seine Staatssekretäre vor allem über das bürgernahe Thema Verbraucherschutz profilieren. Tatsächlich hat Heiko Maas klare Vorstellungen, wie er den Verbraucherschutz verbessern will – etwa mit einer Mietpreisbremse und einer Begrenzung von Mieterhöhungen nach energetischen Sanierungen, Vorstellungen, die auch aus der Feder des Deutschen Mieterbunds kommen könnten.

Kritiker sehen hier die Handschrift von Gerd Billen. Vor seinem Wechsel ins Ministerium war der nämlich Chef des VZBV und damit oberster Verbraucherschutzlobbyist. Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten und Billen kennen sich seit langem. Als Chef des Verwaltungsrats sucht der Mieterschützer derzeit nach einem Nachfolger für Billen beim VZBV.

Seinen Seitenwechsel ins Ministerium hält Billen selbst für unproblematisch. Über Angelegenheiten, die mit dem VZBV zusammenhängen, werde er nicht entscheiden, sagt Billen. Sonst sieht er eigentlich keine Probleme. Im Gegenteil: „Dann kann es jetzt losgehen mit der Verbraucherpolitik“, twitterte Billen nach seiner Ernennung: „Zu tun gibt es genug.“

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