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Spaniens Premier Pedro Sanchez (rechts in der Mitte) im Gespräch mit Teilnehmern der Klimakonferenz.

© Borja Puig de la Bellacasa/LA MONCLOA/AFP

Verhandler auf der Klimakonferenz: Wenig Schlaf, enormer Zeitdruck – Diplomaten in Madrid

Auf sie kommt es an bei der Weltklimakonferenz in Madrid: Die Diplomaten aus aller Welt. Die deutsche Delegation ist besonders gefragt.

Auf Weltklimakonferenzen herrscht zwischen den Verhandlern aus 197 Staaten in der Regel der höfliche Tonfall der Diplomatie. Aber ab und an machen selbst diese Profis eine Szene: Die Chefunterhändlerin Venezuelas hat im großen Plenum einmal so lange und heftig das Fähnchen ihres Landes in die Handfläche geschlagen, bis sie blutete.

So erzählt man es sich zumindest noch heute in den Kreisen des Diplomatischen Corps. Chinas Vertreter soll einen Weltklimakonferenz-Präsidenten so scharf angegangen sein, dass der weinte. Verhandler wurden schon aus dem Sitzungssaal getragen, so emotional aufgewühlt und geschlaucht waren sie.

Nun hat wieder eine Weltklimakonferenz begonnen, es ist Nummer 25, in diesem Jahr findet sie überraschend in Madrid statt – und zur Eröffnung am Montag sparte auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres nicht mit dramatischen Worten.

Er sprach von einem „Krieg gegen die Natur“, der beendet werden müsse: „Wenn wir nicht schnell unseren Lebensstil ändern, gefährden wir das Leben an sich.“ Die Hoffnung müsse über die Kapitulation siegen: „Wollen wir wirklich als die Generation in Erinnerung bleiben, die den Kopf in den Sand steckte, die zögerte, als der Planet verbrannte?“ fragte Guterres.

Weltklimakonferenz – wenig Schaf, enormer Zeitdruck

Vor den Klimadiplomaten aus aller Welt liegen zwei Wochen, in denen sie wenig schlafen, kaum Tageslicht abbekommen und unter teils enormem Zeitdruck Entscheidungen treffen. Sie müssen gut sein: Denn einerseits geht es darum, Regeln festzuschreiben, wie die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzt wird – besser noch auf 1,5 Grad. So steht es im Pariser Klimaabkommen.

Eine Szene machen – das gab’s im deutschen Verhandlungsteam bisher nicht. Eine Perle sei dieses Team, sagen manche. Die Deutschen sind erfahren und werden als Teil der europäischen Delegation geschätzt. Die europäischen Staaten treten auf Klimakonferenzen als Block mit gemeinsamer Position auf, die sie vorher festgelegt haben und die sie während der Konferenz fortlaufend abstimmen.

Jeden Morgen um Punkt halb neun treffen sich die Delegationen der EU-Staaten, zusammen kommen sie auf rund 300 Personen – eine Macht, auch personell, mit Spezialisten auch noch für die obskursten Details.

Die Chefin des deutschen Teams: Nicole Wilke

Drei aus dem deutschen Team sind weit über ihren Kreis bekannt: Da ist zum einen Nicole Wilke. Sie gehört fest zum klein gehaltenen Chef-Team der EU. Wilkes Stärke, sagen Beobachter, sei es vor allem, über die schier unzähligen Verhandlungspunkte den Überblick zu behalten. Wenn es irgendwo eine Änderung im Vertragstext gibt, weiß sie, was das an anderen Stellen für Folgen haben kann.

Nicole Wilke ist Chefin des deutschen Verhandlungsteams.
Nicole Wilke ist Chefin des deutschen Verhandlungsteams.

© Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

In so eine Aufgabe wachse man rein, heißt es. Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, diese Fähigkeit muss ein guter Unterhändler mitbringen. Kleine Details können viele Seiten füllen. Man muss dabei Schlupflöcher entdecken – und dann souverän reagieren. Denn wer Verhandlungen aufhält, weil erst etwas mit dem Team rückgekoppelt werden muss, der zieht schon mal den Unmut der Verhandler aus anderen Ländern auf sich.

Der „Klimabotschafter“: Karsten Sach

Manchmal sind die Dinge aber so knifflig, dass sie in offiziellen Runden gar nicht geklärt werden können. Dann kommt Karsten Sach ins Spiel, der „Klimabotschafter“, wie sie ihn im Umweltministerium nennen.

Karsten Sach bei der 24. Weltklimakonferenz 2018 in Kattowitz.
Karsten Sach bei der 24. Weltklimakonferenz 2018 in Kattowitz.

© imago/ZUMA Press

Viele Jahre lang war er Kopf der deutschen Verhandlungsdelegation. Heute ist er eher im Hintergrund tätig. Er nehme Dampf aus hitzigen Debatten raus, heißt es. Und auch: „Ihm hören sogar jene Verhandler zu, die schwierig sind.“ Sach nimmt sie zur Seite, vielleicht isst man auch gemeinsam zu Abend. Am nächsten Tag ist die Lösung des Problems oft ein ganzes Stück näher gerückt.

Brasiliens Präsident Bolsonaro will Klimaschutz nach seinen Regeln

In Madrid könnte es Probleme mit Brasilien geben. Präsident Jair Bolsonaro will zwar nicht mehr aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, wie er es einst angekündigt hatte. Aber er möchte Klimaschutz nach seinen eigenen Regeln machen. Will etwa Frankreich einen großen Solarpark in Brasilien bauen, gehen die Emissionsminderungen aufs französische Konto. Brasilien gefällt das nicht: Bolsonaro möchte die eingesparten Tonnen CO2 auch auf Brasiliens Klimakonto angerechnet haben. Damit wären die Minderungen doppelt gezählt.

Dagegen ist unter anderem die Europäische Union. „Die EU muss hier hart bleiben und auch andere Schlupflöcher vermeiden“, sagt Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Organisation Germanwatch. Bals hofft aber auch auf ein Signal: Von der EU müsse „die klare Botschaft ausgehen, dass sie ihr Klimaziel für 2030 im nächsten Jahr verschärfen wird“, sagt er.

„Je früher die EU offiziell nachbessert, desto höher sind die Chancen, dass ihr andere Staaten folgen werden. Was die EU macht, hat Vorbildcharakter.“ Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent schon avisiert.

Die Stunde der Allianzen: Ministerin Svenja Schulze

Geht es in der ersten Woche der Klimaverhandlungen unter den Experten vor allem um technische Aspekte, treten ab der zweiten Woche die Umweltminister der Länder auf den Plan. Auch Svenja Schulze (SPD) wird dann in Madrid sein, sie ist offiziell die Leiterin der deutschen Delegation.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bei einer Pressekonferenz.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bei einer Pressekonferenz.

© Britta Pedersen/dpa

Die zweite Woche ist die Zeit für politische Botschaften und Allianzen zwischen Staaten. Auf der Klimakonferenz im vorherigen Jahr im polnischen Kattowitz schloss sich die EU kurzerhand mit Inselstaaten und Ländern Afrikas zusammen, um mehr Ehrgeiz im Klimaschutz zu fordern. Im Jahr davor wurde die internationale Kohleausstiegsallianz gegründet. Solche Allianzen verbinden die Umweltminister immer auch mit der Hoffnung auf gute Bilder.

Der Vermittler: Staatssekretär Jochen Flasbarth

In dieser für die politischen Akteure so wichtigen Woche spielt dann Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth eine Hauptrolle, der seit vielen Jahren bei Klimakonferenzen dabei ist.

Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium.
Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium.

© Christian Charisius/dpa

Als seine Stärke gilt, dass er einerseits die komplexen technischen Details der Vertragstexte durchdringt. Auf der anderen Seite hat er die Autorität, auch den politischen Vertretern aus Saudi-Arabien und den USA ins Gewissen zu reden. Er ist schließlich hierarchisch nur eine Stufe unter der Umweltministerin tätig.

Flasbarth war es, der hinzugezogen wurde, als die Türkei in Kattowitz den Abschluss der Konferenz blockierte – er konnte helfen, die Situation zu lösen. Er muss einspringen, wenn besonders knifflige Fragen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern verhandelt werden: Es geht dann meistens um die Finanzierung.

„Inselstaaten oder Ländern in Afrika wird viel zugemutet“

Wie wichtig die Klimapolitik gerade für jene Staaten ist, die die Auswirkungen des Klimawandels schon jetzt stark zu spüren bekommen, weiß auch Jan Kowalzig. Der Experte bei der Entwicklungsorganisation Oxfam sagt: „Inselstaaten oder Ländern in Afrika wird viel zugemutet in den Verhandlungen, weil die Industriestaaten nicht genug für den Klimaschutz machen. Diese ärmeren Staaten brauchen dringend finanzielle Hilfe, bekommen aber nicht genug.“

Deutschland nimmt er davon nicht aus: „Wir schaffen noch nicht mal unsere eigenen, niedrigen Klimaziele.“ Den deutschen Klimadiplomaten gibt er daran aber nicht die Schuld: „Sie wollen ja meistens auch mehr Klimaschutz, als sie letztlich in den Verhandlungen zusagen dürfen.“ Kowalzig kritisiert, dass ärmere Länder oft kleinere Delegationen haben. Ein Verhandler sei dann für mehrere Themen zuständig und bekomme noch weniger Schlaf als die Vollprofis der vielköpfigen EU-Delegation.

Soll es in Zukunft weniger Weltklimakonferenzen geben?

Rückschläge kennen auch die deutschen Klimadiplomaten. Mit Schrecken denken sie an die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen zurück. Lange und intensiv hatten sie verhandelt. Die Beschlüsse der Regierungschefs blieben mickrig. Viele Klimadiplomaten haben nach Kopenhagen weitergemacht. Der Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 dürfte viele von ihnen entschädigt haben. „Das hätte ich nicht verpassen wollen“, sagt eine ehemalige Verhandlerin aus dem Bundesumweltministerium.

In Madrid wird auch darüber zu reden sein, wie es organisatorisch mit den Klimaverhandlungen weitergeht. Möglich ist, dass Weltklimakonferenzen im heutigen Umfang nicht mehr jedes Jahr stattfinden, sondern vielleicht sogar nur noch alle fünf Jahre. Was die Rolle der Klimadiplomaten angeht, ist die ehemalige Verhandlerin aber zuversichtlich: „Uns wird die Arbeit nicht ausgehen.“

Sollten in Madrid doch mal alle diplomatischen Stricke reißen, könnte auch nach oben eskaliert werden – nach ganz oben. So wird erzählt, dass vor dem Beschluss des Pariser Klimavertrags erst Papst Franziskus noch Nicaragua per Telefon ins Gewissen reden musste.

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