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Die Standarte des Bundespräsidenten über dem Schloss Bellevue in Berlin

© dpa/Wolfgang Kumm

Wahl des Bundespräsidenten: Herr Schäuble, Herr Steinmeier, treten Sie an!

Für die Wahl des Bundespräsidenten sollten die Parteien ihre Besten aufstellen. Und keinen Konsenskandidaten. Ein Appell.

Jetzt mauscheln sie wieder! In den Hinterzimmern der Berliner Macht wird der nächste Bundespräsident, wird die Nachfolge von Joachim Gauck ausgekungelt, seit der Amtsinhaber erklärt hat, aus Altersgründen nicht für eine zweite Wahlperiode zur Verfügung zu stehen. Zweifellos: Joachim Gauck war eine exzellente Wahl. Und das Hinterzimmergespräch, die vertrauliche Vorab-Verständigung über zentrale Sach- und Personalfragen, erst recht die Suche nach dem Kompromiss – all das gehört zur Demokratie dazu.

Wir können uns glücklich schätzen, dass die politische Kultur der Bundesrepublik solche Gemeinsamkeiten erlaubt, während sich die parteipolitischen, aber auch soziokulturellen Lager anderswo, am dramatischsten wohl in den USA, in Feindschaft und Verachtung gegenüberstehen. Aber die Deutschen übertreiben es seit einiger Zeit mit der hyper-großkoalitionären Sehnsucht nach dem Konsens. Und zeigt sich diese Sehnsucht schon allzu häufig in den Regierungskonstellationen, so ist das Amt des Bundespräsidenten erst recht zu ihrer Projektionsfläche geworden.

Macht endlich Schluss damit! Wir wollen Kandidatinnen und Kandidaten sehen, zu denen sich die demokratischen Parteien mutig bekennen. Wir wollen eine Entscheidung, die an dem Ort fällt, den das Grundgesetz dafür vorgesehen hat: in der Bundesversammlung. An geeignetem Personal mangelt es nicht. Die Unionsparteien könnten Wolfgang Schäuble nominieren, die SPD Frank-Walter Steinmeier. Wenn der eine dem anderen ehrenvoll unterliegt, ist das allemal besser, als wenn ein wasserdicht verpackter Konsenskandidat einen überlegenen Sieg gegen den Bewerber der AfD verzeichnen könnte.

Autor Paul Nolte
Autor Paul Nolte

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Gewiss, die Wahl des deutschen Bundespräsidenten ist ein merkwürdiges Ding. Dem Volke steht sie nicht unmittelbar zu, ursprünglich wegen der Weimarer Erfahrungen mit der plebiszitären Demokratie und einem mit allzu großer Macht ausgestatteten Staatsoberhaupt. Aber um die Wahl in der Bundesversammlung herum, die eigens dafür gebildet wird, hat sich ein Vorfeld der Debatte gebildet, der öffentlichen, der feuilletonistischen ebenso wie der demoskopischen Wägung von Kandidaten, die insofern durchaus ihre Feuertaufe im gesellschaftlichen Diskurs der Demokratie zu bestehen haben. So bildet sich ein Konsens darüber, wem das Amt zuzutrauen sei, in einem komplizierten informellen Wechselspiel von Parteipolitik und öffentlichem Resonanzraum.

Hinterzimmergespräche sind keine Erfindung Merkels

Das war durchaus nicht immer so, und anders als Günter Bannas vor einigen Tagen in der „FAZ“ gemeint hat, sind die „Hinterzimmergespräche“ zur Präsidentenkür keine unglückselige Erfindung Angela Merkels. Die Nominierung von Kandidaten fand vielmehr seit 1949 ganz regelhaft innerhalb der beiden großen Parteilager, also von Union und Sozialdemokratie, statt. Und selbstverständlich ging es dabei um „Deals“ innerhalb von Koalitionen – sonst wäre schon der FDP-Mann Theodor Heuss 1949 nicht Bundespräsident geworden, und bestimmt nicht Gustav Heinemann zwanzig Jahre später. Als CDU-Vorsitzender seit 1973 und Bundeskanzler seit 1982 hat Helmut Kohl „seine“ Bundespräsidenten zu machen versucht; gewiss nicht immer erfolgreich, wenngleich er mit seinem habituellen Antipoden Richard von Weizsäcker viel besser leben konnte, als es häufig dargestellt wird.

Unser Kandidat, euer Kandidat: In der Bundesversammlung stand es in der Regel, selbst wenn die Mehrheitsverhältnisse im Prinzip leicht auszurechnen sind, Spitz auf Knopf, wenn man von den recht glatten Bestätigungen Heuss’, Lübkes und Weizsäckers für eine zweite Amtszeit absieht. Heuss und Heinrich Lübke mussten bei ihrer ersten Wahl in den zweiten Wahlgang, ebenso wie Johannes Rau 1999; Heinemann und Christian Wulff gar in den dritten. Und was waren das für Duelle: Heuss gegen Kurt Schumacher – Lübke gegen den SPD-Intellektuellen Carlo Schmid – Heinemann gegen Gerhard Schröder – Walter Scheel gegen Weizsäcker – Roman Herzog gegen Rau.

Wolfgang Schäuble (CDU).
Wolfgang Schäuble (CDU).

© Dominik Butzmann/laif

Man sieht daran auch: Selbstverständlich sind nicht alle Verlierer später doch noch Bundespräsident geworden. Aber geschadet haben Kandidatur und Niederlage noch keinem; die Vorstellung, dadurch möglicherweise, sei es als Politiker, sei es als Person des öffentlichen Lebens, „verbrannt“ zu werden, entbehrt jeglicher Grundlage. Weizsäcker, Rau und Gauck haben es im zweiten Anlauf geschafft. Und Gesine Schwan musste nach ihren zwei Niederlagen 2004 und 2009 kein doppeltes Büßergewand anziehen, sondern hat durch ihre Kandidaturen gewonnen: an Statur, an öffentlicher Sichtbarkeit, an politisch-intellektuellem Gewicht.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD)
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD)

© Dominik Butzmann/laif

Sicher war es für die SPD nicht leicht, 1984 einen Gegenkandidaten zu Richard von Weizsäcker aufzustellen. So ging er allein gegen die von den Grünen nominierte Schriftstellerin Luise Rinser ins Rennen. Dennoch kann man darin so etwas wie den konsensuellen Sündenfall der Bundespräsidenten-Wahlgeschichte sehen. Die Neigung zur überparteilichen Vorabfindung hat sich im großkoalitionären Konsensklima (dessen Ursprung nicht im Herbst 2005 liegt, sondern in der weitgehenden Übereinstimmung von SPD, Grünen, Union und FDP zu den Hartz-Reformen schon in der Schröder- Regierung) noch verstärkt. Sie überlagert sich mit einem zweiten Trend in der Geschichte des Amtes: nämlich der zunehmenden Neigung zu seiner Entpolitisierung. Der Bundespräsident soll keine Parteikreatur sein – wie hat dieses Stigma, ganz unabhängig von seinem späteren Rücktritt, Christian Wulff geschadet! –, sondern eine unabhängige Persönlichkeit, am liebsten ein Intellektueller, ein Mann (oder doch irgendwann eine Frau) des geschliffenen Wortes, und nicht zuletzt: des moralischen Tiefgangs, eine Stimme des Gewissens also, der Begründung von Politik aus Ethik, ja aus Transzendenz. Nicht zufällig ist das Amt des Bundespräsidenten schon in der vormals rheinisch-katholischen „alten“ Bundesrepublik protestantisch geprägt worden. Heinemann, Weizsäcker, Rau, Gauck – wie mühelos ließe sich diese Genealogie mit einem Wolfgang Huber, und in zeitgemäßer Erweiterung: mit einem Navid Kermani fortsetzen.

Man darf die politische Seite des Amts nicht unterschätzen

Vielleicht aber auch allzu glatt? Und vor allem: als Zeichen eines Ausweichens vor der politischen Natur des Amtes und als Flucht vor dem politischen Konflikt zugleich? Die Suche nach dem integrativen und vorausdenkenden Intellektuellen im Schloss Bellevue ist im besten Sinne bemerkenswert – beeindruckend, dass wir uns diese Öffnung leisten. Aber inzwischen darf man umgekehrt warnen, die politische Seite des Amtes nicht zu unterschätzen. Es ist ein Baustein unserer Verfassungsordnung, nicht unserer Moralordnung. Allein deshalb sollten sich die politischen Parteien ihrer Verantwortung dafür nicht entziehen. Sie wahrzunehmen, heißt zugleich, das Amt nicht im Konsens zu ertränken. Die Idee des Bundespräsidenten wird, historisch gesehen, zum Opfer ihres eigenen Erfolgs: als eines moralischen Integrationsmodells mit öffentlicher Akklamation. Man traut sich am Ende gar nicht mehr, es kompetitiv zu besetzen, im Wettstreit der politischen Richtungen. Eine halb religiöse Wahlmonarchie!

Das Amt des Bundespräsidenten war für relativ kompetente Politiker noch nie erstrebenswert. Hände schütteln und mehr oder weniger (meistens weniger) kluge Reden schwingen ist nicht attraktiv für aktive Politiker mit Machtambitionen.

schreibt NutzerIn lanarkon

Darin aber scheinen alte deutsche Sehnsüchte auf, nach einer besseren und reineren Politik „oberhalb“ des Parteiengezänks. Das wollten wir längst überwunden haben. Heute ist das keine Schuld mehr, die gegenüber Weimar und dem Nationalsozialismus abzutragen ist, sondern dringendes Gebot in einem Klima der neuen Politikverachtung. Soll wirklich der Eindruck entstehen, alle demokratischen Kräfte müssten sich zur Abwehr ihrer Gegner zusammenschließen, so wie bei der Reichspräsidentenwahl von 1932 oder wie in Frankreichs zweitem Wahlgang 2002, als Jacques Chirac mit den Stimmen der Linken Jean-Marie Le Pen besiegte? Die liberale Demokratie muss immer so stark sein, dass sie sich einen Konflikt zwischen ihren Parteiungen leisten kann. Alles andere stärkt langfristig die Extreme.

Herr Schäuble, Herr Steinmeier, werfen Sie Ihren Hut in den Ring!

Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Derzeit ist er „Richard von Weizsäcker Fellow“ am St. Antony’s College der Universität Oxford.

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Paul Nolte

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