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Brandenburg: Alwin Ziel im Interview: "Ich lasse alle Patientenakten überprüfen"

Alwin Ziel ist der dienstälteste Minister im Kabinett Stolpe. Der 59-jährige SPD-Politiker übernahm 1990 das Innenministerium, 1999 das Ressort für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen.

Alwin Ziel ist der dienstälteste Minister im Kabinett Stolpe. Der 59-jährige SPD-Politiker übernahm 1990 das Innenministerium, 1999 das Ressort für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Dort geriet er durch die Flucht des Triebtäters Schmökel unter Druck.

Herr Ziel, wir haben gelesen, Sie haben sich im Selbstversuch in den Maßregelvollzug Eberswalde einschließen lassen.

Das ist richtig, aber es war lange vor der Schmökel-Flucht. Ich wollte mir ein ungeschminktes Bild von der Situation im Maßregelvollzug machen.

Würden Sie das jetzt wieder tun, um die Sicherheit der Anstalten zu testen?

Ich werde das wieder tun, um die Maßnahmen zu kontrollieren, die wir entsprechend den Vorschlägen der eingesetzten Expertenkommission auf den Weg bringen werden.

Heißt das, dass Sie erst den Bericht der Kommission abwarten wollen, ehe Sie die Sicherheitsstandards in den Maßregelkliniken verschärfen?

Nein. Auf meine Bitte hin wird die Kommission, die mindestens einmal in der Woche tagt, parallel zu ihren Untersuchungen konkrete Vorschläge unterbreiten. Ich werde sie unverzüglich umsetzen, dies ist bereits geschehen.

Zum Beispiel?

Auf den Rat der Expertenkommission hin habe ich veranlasst, dass alle Patientenakten im Maßregelvollzug von externen Experten überprüft werden: Sie untersuchen, ob die Bewertungen stimmig sind, ob tatsächlich Lockerungsstufen gewährt werden können oder ob Korrekturen nötig sind.

Was sind das für Experten?

Renommierte forensisch-psychiatrische Institute der Bundesrepublik. Sie überprüfen alle Maßregelfälle im Land. Außerdem hatte ich bereits entschieden, dass vor der Genehmigung weiterer Lockerungen externe Gutachter zu Rate gezogen werden müssen.

Werden diese ein Vetorecht haben?

Meine Meinung ist: Wenn keine einheitlichen Voten vorliegen, also ein Fall strittig ist, kann es keine Lockerung geben. Also: bei Zweifeln eines Gutachters kein Freigang. Die Expertenkommission muss beurteilen, ob dies in der Praxis umzusetzen ist.

Wie sicher ist der Maßregelvollzug in Brandenburg heute, kann sich ein Fall Schmökel wiederholen?

Ich habe Sofortmaßnahmen veranlasst. Das System ist deutlich sicherer geworden. Aber es kann und muss noch sicherer werden.

Zum Beispiel?

Ich bin für den Einsatz der elektronischen Fußfessel im Einzelfall: Dabei handelt es sich nicht um eine Fessel im Wortsinn, sondern um einen elektronischen Melder, der punktgenau den Standort mitteilt, so dass die Polizei eine Person sofort aufspüren kann. Patienten, die aufgrund gründlicher Prüfungen nach Jahren erstmals raus dürfen, sollten eine solche Fußfessel tragen. Allerdings müssen dafür Bundesgesetze geändert werden.

Sind die Gutachter noch tätig, die die Lockerungen für Schmökel zu verantworten haben?

Ja, ein Minister kann nicht einfach sagen: Das war ein Fehlgutachten. Ich darf nicht einmal in die Patientenakte schauen, weil sie dem Datenschutz unterliegen. Auch hier gilt: Wir müssen abwarten, wie hochkarätige Experten diese Entscheidungen bewerten und dann über Konsequenzen nachdenken. Bislang ist nicht erwiesen, dass fehlerhaft begutachtet wurde.

Sind ein Toter und ein Schwerverletzter nicht Beweis genug?

So einfach ist es nicht. Schmökel war in der Lockerungsstufe Vier und mehrfach draußen, allerdings streng und kontrolliert begleitet. Richtig ist, dass er trotzdem alle hinters Licht geführt hat.

Was hat er dann noch im Maßregelvollzug zu suchen?

Selbst wenn Schmökel therapierbar wäre, muss man feststellen, dass er nicht therapiewillig gewesen ist. Ich halte gerade nach dem Raubmord - der mit seiner Sexualität nichts zu tun hatte - bei Schmökel eine Umkehr der Vollzugs-Reihenfolge für richtig, wie es auch die Staatsanwaltschaft beantragt hat. Also erst Strafhaft im Gefängnis und dann möglicherweise Maßregelvollzug. Aber: Das entscheiden Richter.

Fachleute sehen ein Hauptproblem darin, dass es in Ostdeutschland nicht genügend forensische Spezialisten gibt.

Es ist ein bundesweites Problem, das sich in den neuen Ländern verschärft darstellt, weil es in der DDR keinen Maßregelvollzug gab. Ich halte viel von einer Blutransfusion: Berliner Gutachter sollten verstärkt in Brandenburg beurteilen, und es wäre sicherlich gut, wenn unsere Gutachter auch umgekehrt Erfahrungen sammeln könnten. Ich habe mich darüber bereits mit Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler verständigt. Die Zusammenarbeit wird dazu führen, dass der Kreis der Gutachter größer und die Sicherheit verbessert wird. Ich will schärfere Begutachtungen.

Ist es überhaupt verantwortbar, dass Gutachter ihre Erfahrungen erst aus dramatischen Irrtümern sammeln?

Wir haben hervorragende Fachleute. Es ist aber auch richtig, dass Brandenburg bei Ausbildung und Qualifikation nachlegen kann. Da muss mehr getan werden. Auch hier wird die Kommission konkrete Vorschläge machen. Aber ich warne davor, die Verantwortung auf die Gutachter zu schieben. Die Politik muss für den Maßregelvollzug die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Die Schmökel-Flucht zwingt uns, alles auf den Prüfstand zu stellen.

Mit welchem Ziel?

Straftäter mit Persönlichkeitsstörungen wie Schmökel sitzen in anderen Ländern in Haftanstalten, werden dort zusätzlich medizinisch betreut. In Schweden gibt es so ein System. Ich werde mir Anfang April anschauen, wie es funktioniert. Auch wir werden darüber nachzudenken haben: Was machen wir mit den persönlichkeitsgestörten Tätern? Gehören sie wirklich immer in den Maßregelvollzug? Die Frage stelle ich.

Sie vertreten plötzlich eine harte Linie. Haben Sie die Sicherheit im Maßregelvollzug unterschätzt?

Ich habe sie nicht unterschätzt. Aber man muss nach einem Vorgang wie der Flucht Schmökels und dem Mord natürlich Konsequenzen ziehen, und das so scharf wie möglich.

Jetzt wird Schmökel per Video von zwei Wärtern rund um die Uhr in seiner Zelle überwacht. Ist das nicht übertrieben?

Schmökel hat bewiesen, wie gefährlich er ist. Sicherheit ist nun mal teuer. Man kann nicht aus finanziellen Gründen das Nötige unterlassen.

Das Oberlandesgericht hat in einem spektakulären Urteil auf die krasse Überbelegung der Anstalten, auf den Mangel an Maßregelplätzen hingewiesen. Hat sich die dramatische Situation inzwischen entschärft?

Wir müssen dringendst neue Gebäude errichten. Wir tun das in Eberswalde, in Brandenburg (Havel), wo der Neubau im nächsten Jahr fertig wird. Das sollte auf die lange Bank geschoben werden, ich habe mich aber in Kabinett und Parlament durchgesetzt.

Werden Sie bei den Haushaltsverhandlungen zusätzliche Mittel für den Maßregelvollzug fordern?

Ich gehe davon aus: Wenn die Expertenkommission zu entsprechenden Ergebnissen gibt, werden wir zusätzliche Maßnahmen für die Sicherheit einleiten müssen. Leider gibt es Sicherheit nicht zum Nulltarif.

Wegen der Schmökel-Affäre mussten Sie massive Kritik einstecken. Gab es Momente, wo Sie an Rücktritt gedacht haben?

Ich habe überlegt, welche Anforderungen an mich selbst zu stellen sind. Alles hinschmeißen, was einfach wäre? Oder die Situation verändern? Ich habe mich für das Letztere entschieden.

Es gab in der letzten Legislaturperiode einen ähnlich spektakulären Fall: die Flucht des Hintze-Möders Serov. Haben Sie, so wie Justizminister Bräutigam damals, Regierungschef Stolpe Ihren Rücktritt angeboten?

Dazu äußere ich mich nicht.

Werden Sie zurücktreten, wenn der Bericht der Kommission zum Ergebnis kommen solltet, dass es erhebliche Misstände gab, die in Verantwortung des Ministeriums lagen?

Noch einmal, ich will eine lückenlose Aufklärung, weil ich verändern, die Situation verbessern und diese Aufgabe nicht einem anderen zuschieben will. Man wird erkennen, dass ich ein konsequenter Minister bin.

Sie werden 60 Jahre alt, sind mit zehn Amtsjahren dienstältester Minister Brandenburgs. Werden Sie 2004 erneut für ein Ministeramt zur Verfügung stehen?

Ich habe bis zur Wahl noch genügend Zeit, um alles zu bedenken. Auch mit der Familie. Das Thema ist für mich nicht aktuell.

SPD-Landeschef Matthias Platzeck gilt als Nachfolger von Regierungschef Manfred Stolpe. In Ihrer Partei wird laut über eine vorzeitige Staffelübergabe nachgedacht.

Matthias Platzeck ist ein Mann, der jederzeit Ministerpräsident werden kann. Es ist gut, dass das jeder weiß. Auf der anderen Seite gilt: Stolpe ist gesund und knorrig. Lassen Sie das Stolpe mal machen!

Es gibt immer wieder Affären, die CDU wirkt längst nicht mehr so frisch wie vor einem Jahr.

Der Glanz und Reiz des Neuen bei den CDUMinistern ist weg. Jetzt kommen die Mühen der Ebene. Da kann man nicht kommen, sehen und siegen. Deshalb legt die CDU trotz aller Anstrengungen in Umfragen nicht zu. Es unterlaufen auch zu viele Fehler, und es gibt Überlegungen, die zu weit weg sind von dem, was die Brandenburger Bevölkerung will.

Mancher SPD-Genosse im Bund würde lieber ein rot-rotes Bündnis in Brandenburg installieren.

Solche Überlegungen gehen an der Realität vorbei. Rot-Rot ist für mich auch 2004 keine ernsthafte Option für Brandenburg.

Herr Ziel[Sie haben sich im Se], wir haben gelesen[Sie haben sich im Se]

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