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Brandenburg: An den Rand gedrängt

Finanzministerin stellt die Förderung wirtschaftsschwacher Regionen in Frage / Experten unterstützen sie

Von Michael Mara

und Thorsten Metzner

Potsdam. Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD) hat Brandenburgs bisherige Strategie der vorrangigen Förderung der Randregionen in Frage gestellt. Mit Blick auf die dramatischen Steuerausfälle sagte Ziegler dieser Zeitung, es müsse offen diskutiert werden, „wo die größten volkswirtschaftlichen Effekte“ entstünden. Deshalb müsse auch das bisherige „Prinzip der dezentralen Konzentration“ auf den Prüfstand gestellt und wenn nötig auch über eine Verfassungsänderung diskutiert werden. Brandenburgs Landesverfassung formuliert „gleichwertige Lebensbedingungen“ als Staatsziel.

Das so genannte „Leitbild der dezentralen Konzentration“ galt bisher in Brandenburgs SPD als Tabu. Manfred Stolpe hatte noch in seiner Rücktrittsrede auf dem SPD-Landesparteitag im Juni dieses Prinzip verteidigt, obwohl dadurch die zunehmende Verödung und Verarmung der Randregionen nicht aufgehalten werden konnte. Hingegen hatte sein Nachfolger Matthias Platzeck schon vor geraumer Zeit einen Kurswechsel angedeutet: Die künftige Förderung in Ostdeutschland müsse sich auf Infrastruktur, Forschung und Wissenschaft sowie „einwohnerstarke Regionen“ konzentrieren. Platzecks Regierungserklärung steht jedoch noch aus.

Nach Angaben der Landesinvestitionsbank sind von den seit 1992 insgesamt ausgezahlten Fördermitteln in Höhe von 16,6 Milliarden Euro zwei Drittel in die Randregionen geflossen. Trotzdem leiden diese an der höchsten Arbeitslosigkeit, den niedrigsten Einkommen und einer dramatischen Abwanderung. Der Wirtschafts-Professor Helmut Seitz von der Frankfurter Viadrina Universität hält deshalb die bisherige Förderstrategie seit langem für „völlig ungeeignet“ und fordert eine Konzentration auf das Berliner Umland. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schrieb in einem Gutachten für den DGB Berlin-Brandenburg, es sei „an der Zeit, das ausgleichsorientierte Leitbild der dezentralen Konzentration zu überdenken“.

Wie andere Wirtschaftswissenschaftler geht der Autor der Studie, Dieter Vesper, davon aus, dass die knappen öffentlichen Gelder in Wachstumsregionen wie das Berliner Umland konzentriert werden müssen. „Das ist volkswirtschaftlich effektiver, als Arbeit teuer in der Peripherie zu subventionieren.“ Diese Strategie liege auch im Interesse der Randregionen, die von Arbeitsplätzen im Speckgürtel profitieren. Dafür müssten jedoch Straßen und Eisenbahnlinien ausgebaut werden, um lange Fahrzeiten für Pendler zu vermeiden. Vesper forderte die Landesregierung auf, den Menschen „reinen Wein einzuschenken“: Gleichwertige Lebensbedingungen zwischen Metropolen- und Randregionen seien illusorisch.

Um Missverständnissen vorzubeugen, wies Vesper darauf hin, dass die Randregionen „nicht im Stich gelassen“ werden sollen. Natürlich müsse die Grundversorgung mit Schulen, Kitas usw. auch dort gesichert werden. Doch müssten die Fördermittel dort konzentriert werden, wo sie den größten Effekt brächten – im Berliner Umland. Auch Vize-Regierungschef und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) meinte, dass angesichts knapper Kassen die bisherige Förderpolitik auf den Prüfstand müsse. Selbst in den Gewerkschaften beginnt ein Umdenken: „Wir tendieren in die Richtung, dass umgesteuert werden muss“, bestätigte DGB-Landesbezirkschef Dieter Scholz. Auch nach Ansicht von PDS-Landeschef Ralf Christoffers hat das Prinzip der „dezentralen Konzentration" nicht zu gleichwertigen Lebensbedingungen im Land geführt. Christoffers plädiert für flexible Förderung im Einzelfall. Das „Gießkannenprinzip“ sei völlig überholt.

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