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Brandenburg: An der Grenze des Rechts

Thorsten Metzner

Die Zeit läuft ab. Ab Dienstag, 15.45 Uhr, soll der Kinder-Vergewaltiger Uwe K. nach 11 Jahren im Gefängnis wieder ein freier Mann sein – obwohl der 42-Jährige jeden Moment wieder ein Mädchen brutal missbrauchen kann. Da sind sich alle einig: Psychologen, Richter, Polizisten, Staatsanwälte. Er kommt nur deshalb frei, weil Bundestag und Bundesregierung es nicht vermochten, einen in den Turbulenzen der deutschen Einigung entstandenen, lange bekannten Gesetzesfehler zu korrigieren, was nun zum tödlichen Risiko werden kann. Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat deshalb, ein Novum, Mitte Januar im Tagesspiegel öffentlich Alarm geschlagen. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), auch das ist ein Novum, intervenierte bei seiner Parteifreundin Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Und wie geht Brandenburg in der Zwischenzeit selbst mit der „menschlichen Zeitbombe“ (Rautenberg) um?

Mit einem Wort: skandalös. Die Justiz hat den Mann aus der Haft entlassen, drei Wochen vorzeitig, als Belohnung dafür, dass er im Gefängnis fleißig gearbeitet habe. Während die Landesregierung den Bund vor Uwe K.’s Gemeingefährlichkeit warnte, durfte derselbe in die Anonymität der Freiheit abtauchen – ohne, dass die Polizei davon auch nur informiert wurde. Die Justizministerin, der Generalstaatsanwalt – alle blieben ahnungslos. Nur eine „Informationspanne“? Wohl kaum. Der Vorgang weist eher auf jene Organisations- und Mentalitätsprobleme in der Brandenburger Justiz hin, die schon bei der (immer noch nicht aufgearbeiteten) Trennungsgeld-Affäre zutage traten. Ein solches Eigenleben kann sich aber nur entwickeln, wo es an Führung, an Management, an Konfliktbereitschaft fehlt.

Uwe K. war mehr als eine Woche draußen, ehe ihn die Polizei – abgesegnet vom Amtsgericht – vorübergehend wieder hinter Gitter brachte. Erst raus, dann rein; klar, dass auch das Skepsis und Kritik herausfordert: Ist es nicht nur hilfloser Aktionismus der Polizei, gar Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung?

Der lokale Polizeichef Sven Bogacz ist an rechtliche Grenzen gegangen – notgedrungen, weil zuvor Justiz und Politik im Fall Uwe K. versagt haben. Auf gerade noch legalem Wege sind so vier Tage Zeit gewonnen worden, in denen nun getan werden kann, was vorher längst hätte getan werden müssen: Dass Brandenburgs Justiz- und Innenbehörden nun Strategien und Taktiken entwickeln, wie man Uwe K. trotz der schwierigen Rechtslage und den geringen Möglichkeiten der Polizei vor seinen eigenen Trieben schützen kann – und zugleich die Bevölkerung, die einen Anspruch darauf hat. Es wäre eine Perversion des Rechtsstaates, erst seine nächste Straftat abzuwarten, um ihn dann, juristisch leicht, dauerhaft hinter Gitter bringen zu können.

15.45 Uhr, am Dienstag, läuft die Zeit ab. Bleibt wirklich nichts anderes übrig, als Uwe K. freizulassen? Es sieht bislang so aus. Aber vielleicht greift bei Menschen wie ihm, wo sich auch seelische Abgründe auftun, die reine Strafjustiz ohnehin zu kurz. Der Mann hat, sagen Gutachter, eine Persönlichkeitsstörung. Er ist krank. In der Konsequenz hieße das, dass über ihn nicht nur Juristen, sondern auch Ärzte zu befinden haben. Für nicht oder kaum heilbare Sexualverbrecher aber gibt es – auch in ihrem eigenen Interesse – den Maßregelvollzug.

Auf jeden Fall reicht es nicht, dass das Land nur Versäumnisse des Bundes anprangert. Brandenburg muss auch selbst alles legal Mögliche tun, damit Triebtäter wie Uwe K. kein neues Unheil, kein Leid mehr anrichten können.

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