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Brandenburg: Auf der Kranich-Linie

Mehr als 40 000 der großen grauen Zugvögel machen jeden Herbst in Brandenburg Rast. Und fressen manchem Bauern die Felder leer

Rathenow. Kurz vor Sonnenuntergang. Sechs Ornithologen erklimmen die Leitern, verbergen sich in hölzernen Hochständen mit guter Sicht über die umliegenden Felder, die herbstlich gefärbten Baumgruppen. Dann rühren sie sich nicht mehr, geben keinen Laut von sich. Blicken nur in den Himmel. Warten auf Kraniche. Wollen sie beobachten.

Angeführt werden die sechs Vogelschützer von Horst Schreiber. Der 68-Jährige ist Kranichbeauftragter des Naturschutzbundes. Allein am Ruf kann er mehr als 100 Vogelarten unterscheiden – sein Herz aber gehört dem größten Zugvogel Europas: dem grauen Kranich. Seit Jahren kämpft er gemeinsam mit mehreren örtlichen Bürgerinitiativen, Landschaftsfördervereinen und Naturschutzverbänden für den Erhalt und den Schutz der zwei größten Binnenrastplätze der Kraniche in Deutschland: das havelländische Luch östlich von Rathenow und das Rhinluch bei Linum. Mehr als 40 000 Tiere, das sind 38 Prozent aller nach Frankreich oder Spanien ziehenden Kraniche aus Deutschland, Polen, Skandinavien und den baltischen Staaten, machen in diesen brandenburgischen Feuchtgebieten Rast und fressen sich Fettpolster für den Weiterflug in ihre Winterquartiere an.

Horst Schreiber im Hochstand hört als Erster die „Gruh-Gruh“-Rufe. Ein Schwarm großer dunkler Vögel mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,40 Meter zieht über die Baumgipfel und kreist im Abendlicht. Setzen zur Landung an – und drehen wieder ab. Das Brummen eines Autos hat sie vertrieben, das 300 Meter entfernt über einen Feldweg fährt. Das „Gruh-Gruh“ verwandelt sich in ein knurrendes „Grr-Grr“ – ein Warnruf.

Kraniche sind sehr scheue Vögel. Sie lassen sich schnell von Schaulustigen aufschrecken, die trotz Warnschildern in die Rastgebiete laufen. Oder sie werden von Bauern verscheucht, die ihre Äcker beschützen wollen. Jander Koning aus Hertefeld ist einer von ihnen. Ihm gehören 700 Hektar Felder und Weiden im havelländischen Luch. In diesem Jahr haben ihm die Kraniche schon circa 12 Hektar Mais weggefressen. „Die stolzieren die Reihen lang und lassen mir keine Pflanze stehen“, schimpft Koning. Pro Tag benötigt ein Kranich auf der Reise 200 bis 300 Gramm Nahrung – wenn er nicht gestört wird. Wird er immer wieder aufgescheucht, frisst er das Dreifache. So wurde die Situation für Koning im vergangenen Jahr keineswegs besser, als er eine Schreckschussmaschine in seinen Acker stellte, die alle halbe Stunde laut knallte. „Genützt hat es nichts“, klagt er: Die Vögel hätten ein paar Runden in der Luft gedreht und sich dann wieder auf dem Feld niedergelassen. Nun plant er, Vogelscheuchen aufzustellen. Doch „davon lassen sich Kraniche kaum abhalten“, winkt Horst Schreiber ab. Er rät daher zu einer anderen Methode. In Schweden und Mecklenburg-Vorpommern konnte der Schaden der Landwirte verringert werden, indem man eigens Ablenkflächen mit eingesäten Körnern oder gehäckseltem Mais anlegte und die Vögel dort in Ruhe fressen ließ. Dies versucht nun erstmalig in Brandenburg auch ein Bauer aus Linum im Rhinluch.

Doch sind Bauern oder unbedarfte Kranichtouristen noch nicht das ärgste Problem der Vogelfreunde. Bauvorhaben wie Windkraftanlagen oder neue Wohnviertel mitten im Herbstquartier der Vögel machen ihnen mehr Sorgen. Die Brandenburger Kranichrastregionen sind zwar als IBA-Gebiete (Important Bird Area) in die Liste der europäischen Kommission aufgenommen, vom Umweltministerium aber noch nicht als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen.

Immerhin jedoch hat sich auch durch den Einsatz der Vogelschützer der graue Kranich wieder so gut vermehrt, dass er 2002 von der Roten Liste der gefährdeten Brutvögel Deutschlands gestrichen werden konnte. Und in Brandenburg hat sich seine Population gar vervierfacht.

Dorothea Flechsig

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