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© Manfred Thomas

Auszeichnung: Geschichtswettbewerb: Liebesbriefe von Suzette

Meike Rugenstein erforschte das Leben einer Malerin. Heute zeichnet der Bundespräsident sie im Rahmen des Geschichtswettbewerbs dafür aus.

Potsdam - Die Urkunde wurde geändert. Einige Worte sind dunkler gedruckt als der Rest, sie überdecken den Originaltext. Das fiel Meike Rugenstein gleich auf, als sie im Winter 2006 die Aufnahmeurkunde der Malerin Suzette Henry in die Berliner Akademie der Künste in den Händen hielt. Der Grund für die Korrekturen erschloss sich der Schülerin vom Potsdamer Helmholtz-Gymnasium bald. „Personen“ steht dort statt „Männer“ und „diejenige“ statt „derjenige“. Es sind die geschlechtsbezogenen Wörter, die geändert worden waren. Denn Suzette Henry kam 1789 als erste Frau in die Männerrunde der Kunstakademie.

Mit einer Arbeit über die Malerin beteiligte sich Meike Rugenstein am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Heute wird sie von Horst Köhler in Schloss Bellevue ausgezeichnet – als eine der 15 Zweitplatzierten. Bundesweit mehr als 5100 Schüler reichten insgesamt 1257 Beiträge für den Wettbewerb ein, allein 188 Brandenburger nahmen teil. Vergeben werden 50 Bundespreise, drei Tutorenpreise für engagierte Lehrer und zehn Schulpreise. Es handelt sich laut Ausrichter um den größten historischen Forschungswettbewerb für Kinder und Jugendliche in Deutschland.

Meike Rugenstein ging es gar nicht in erster Linie um den Wettbewerb, als sie anfing, sich für „ihre“ Suzette zu interessieren. Ausgangspunkt waren Nachforschungen in der unmittelbaren Familiengeschichte: Denn Suzette Henry (1763 bis 1819), Tochter des Kupferstechers und Illustrators Daniel Nikolaus Chodowiecki, war Ende des 18. Jahrhunderts die Frau des damaligen Pfarrers der Französisch-Reformierten Gemeinde Potsdam, in der Meike Rugenstein als Pfarrerstochter aufgewachsen ist, „in der ich seit meinem ersten Atemzug lebe und wirke“, wie die Schülerin in dem 38-seitigen Wettbewerbsaufsatz schreibt. Sie wohnt heute also dort, wo die Malerin und sechsfache Mutter vor mehr als 200 Jahren gelebt hat: im Holländischen Viertel.

Rugenstein war beinahe erschreckt, wie nahe sie der Frau so viele Jahre nach deren Tod kommen konnte. Über deren Liebesbriefe beispielsweise, die in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz aufbewahrt werden: „Ich habe mich fast schlecht gefühlt, weil ich in ihre Privatsphäre eindringe“, erinnert sich die Gymnasiastin an die Tage im Lesesaal. Auch in Gemeindearchiven in Potsdam und Berlin suchte sie nach Quellen über die in Vergessenheit geratene Künstlerin, die einen Weg zwischen den beiden Idealen ihrer Zeit fand: Der Frau, die im Haushalt gefangen lebt, und der romantischen Künstlerin, die gegen bürgerliche Moral aufbegehrt. Obwohl sie Künstlerin war und sogar ihre Familie finanziell unterstützen konnte, lebte Suzette eine „konservative Ehe“, wie Rugenstein herausfand: „Sie ist immer auf dem Teppich geblieben.“ Den Grund dafür sieht sie in der freien Erziehung durch den Vater, aber auch im Reformierten Glauben: Einen eigenen Weg finden, dabei aber die Traditionen achten – so fasst die 18-Jährige den Grundgedanken zusammen. „Ein schönes Lebensmotto“, findet sie, „auch heute, wo die Lebensumstände ganz andere sind.“

Anhand der Lebensgeschichte beschreibt Rugenstein ein grundlegenderes Thema: „Prägung und Aneignung“, ist ihr Wettbewerbsbeitrag überschrieben. Im Nachdenken und Reden mit Freunden hat der Text eine neue Facette bekommen. Anders als im Geschichtsunterricht habe sie bei der Arbeit auch etwas über sich selbst gelernt, sagt Rugenstein. Etwas habe sich geändert: Sie bezeichnet es in ihrem Text als den Schritt hin zur „bewussten selbstbestimmten Aneignung von Geschichte“. Dass sie dafür den mit 1000 Euro dotierten Preis bekommt, ist zweitrangig: „Die Frau war mir einfach wichtig und ist es immer noch.“Jana Haase

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