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Brandenburg: Behördenirrtum: Vater Staat ruft Ullrich Frannek immer wieder zu sich

Ullrich Frannek ist 44 Jahre alt und seit zwölf Jahren tot. Zumindest nach seiner Aktenlage.

Ullrich Frannek ist 44 Jahre alt und seit zwölf Jahren tot. Zumindest nach seiner Aktenlage. Denn Ende 1990 hat ihn das Bundesvermögensamt (BVA) Magdeburg für gestorben erklärt. Als Todeszeitpunkt legte die Behörde Januar 1988 fest. Der Ort seines Dahinscheidens: Beetzendorf, ein kleiner Ort in der Altmark. Tatsächlich war es nicht Frannek, sondern dessen Mutter, die damals starb. Sie hatte in der Beetzendorfer Dienstwohnung gelebt, die Frannek als Kraftfahrer bei der Armee seit Jahren gemietet hatte. Doch Ullrich Frannek nutzte die Wohnung wegen seiner Arbeit in Strausberg kaum. Mit der Wende ging die Wohnung ans BVA, das sie 1990 einfach an eine interessierte Familie weitergab - obwohl Frannek noch immer einen gültigen Mietvertrag besaß. Auch darüber, dass der vermeintlich tote Vormieter weiter brav seine Miete zahlte, wunderte sich offenbar niemand. Jedenfalls wurde die Wohnung ausgeräumt; die Möbel wanderten in den Sperrmüll. Seine persönlichen Dokumente, aus denen laut Frannek ein Rentenanspruch auf Grund seiner Schwerbehinderung hervorging, entsorgten die neuen Mieter gleich mit. Und möglicherweise auch eine Briefmarkensammlung sowie andere Schätze. Frannek zog vor Gericht und verklagte das BVA auf Schadensersatz für den Hausrat sowie Schmerzensgeld wegen der Toterklärung. Die Richter verurteilten das BVA zu einer Zahlung von 1856,70 Mark. Darauf hatte eine Gutachterin den Wert des Hausrates im Nachhinein taxiert. Frannek, der 157 000 Mark haben wollte, ging in Berufung - und verlor. Denn die Gerichte sahen keinen Beweis dafür, dass er mehr eingebüßt hatte als nur ein paar zerschlissene Möbel. Und die vom Vermieter notierte Toterklärung sei halb so schlimm, weil sie sich ja nicht auf Franneks Grundrechte auswirke.

Seitdem sind eine von Frannek initiierte Verfassungsbeschwerde, eine Beschwerde vor der Europäischen Menschenrechtskommission und ein paar vergebliche Strafanzeigen verfasst worden. Einen Teil der Gerichtskosten übernahmen Staat und Behörden. Doch auch Frannek soll Gerichtskosten zahlen: rund fünftausend Mark. Dagegen weigert er sich. Es geht ihm dabei mehr ums Prinzip als um das Geld: "Ich kann mich doch nicht so erniedrigen, dass ich mich erst von einer Behörde ausrauben lasse und jetzt für die Räuber bezahlen soll!"

Kurz vor Weihnachten 2000 begann plötzlich die Gegenoffensive der Justiz: In einem bedrohlichen Brief kündigte der Gerichtsvollzieher Franneks Verhaftung an, falls der sich weiter weigern sollte, einen Offenbarungseid zu leisten. Sollte er nicht zum Termin erscheinen, müsse er sich "alle weiteren Schritte, besonders eine Verhaftung zu einer Ihnen nicht genehmen Zeit, u.U. mit polizeilicher Unterstützung, selbst zuschreiben". Bisher war Frannek die Zeit nicht genehm. Außerdem hat er ein Attest, in dem sein Arzt dringend zur Haftverschonung des wegen Kinderlähmung und eines Unfalls schwerbehinderten Patienten rät. Das hat der Gerichtsvollzieher zu den Unterlagen getan, aber Frannek glaubt, dass es nicht mehr lange dauern wird bis zu seiner Verhaftung. Er sitzt nicht auf gepackten Koffern. Aber er fragt sich selbst, warum er eigentlich noch draußen ist. Natürlich will er nicht in den Knast. Aber einen Offenbarungseid leisten, also seine (pfändbare) Habe benennen? Niemals!

Ullrich Frannek ist kein Rabauke. Aber die Akten zeugen davon, dass er einen anderen Humor hat als die Behörden. Seine Briefe etwa: Die haben eine Fußzeile, in der nicht wie üblich die Bankverbindung steht, sondern: "Ullrich Frannek, bundesdeutsche Amtsleiche seit 30.11.1990". Es könnte diese Zeile sein, die eine Richterin zu folgender Formulierung verleitet hat: "Die vom Kläger gewählte Firmierung ( ...) bestätigt den Eindruck, dass er das Gerichtsverfahren mutwillig betreibt. Sollten seine Ausführungen hingegen ernsthaft gemeint sein, drängen sich erhebliche Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers auf." Das wäre durchaus originell, wenn nicht ein Psychiater Frannek inzwischen tatsächlich eine seelische Störung bescheinigt hätte. "Herr F. ist zeitweise suizidgefährdet", heißt es in der Notiz. Frannek schiebt den Zettel herüber, als käme es darauf kaum noch an. Vor dem Gefängnis habe er keine Angst, sagt er. Wie lange man ihn zur Erzwingung des Offenbarungseides einsperren kann, weiß er nicht. Es wäre ihm aber ganz recht, wenn er nicht allzu lange von Zuhause weg muss. Er baut nämlich an einer kleinen Doppelhaushälfte, die schon fast fertig ist. Bei der Bauerei hilft ihm ein Bekannter, der gleichzeitig sein Erbe ist: "Alles, was ich käuflich erwerbe, geht in dessen Eigentum über", erklärt Frannek die Taktik. Auch das Grundstück mit dem Häuschen ist schon dem Erben überschrieben.

Franneks nächster Versuch, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, wird eine Petition an den Bundestag sein. Wegen der Formulierung hat er sich an eine Strausberger Landtagsabgeordnete von der PDS gewandt. "Wir warten darauf, dass er mit seinen Unterlagen noch einmal zu uns kommt, damit wir ihm helfen können", heißt es im Büro der Parlamentarierin. Und: "Der kommt auch bestimmt wieder." Die Frage ist nur, ob er es noch rechtzeitig schafft.

Von seinem Anwalt hat Frannek erfahren, dass ihm die streitigen Gerichtskosten vielleicht von den nächsten Gehältern abgezogen werden, die er als Angestellter der Bundeswehr bekommt. Und was will er dann machen? "Dagegen werde ich wohl klagen müssen."

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