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Brandenburg: Beim Freigang geflohen: Großfahndung nach Sexualstraftäter

Trotz bundesweiter Fahndung gab es bis gestern keine konkreten Hinweise auf den Verbleib des am Mittwoch bei einem Freigang aus dem Maßregelvollzug geflohenen Sexualstraftäters Frank Schmökel. Seine Spur verlor sich in der östlich Berlins gelegenen Kleinstadt Strausberg.

Trotz bundesweiter Fahndung gab es bis gestern keine konkreten Hinweise auf den Verbleib des am Mittwoch bei einem Freigang aus dem Maßregelvollzug geflohenen Sexualstraftäters Frank Schmökel. Seine Spur verlor sich in der östlich Berlins gelegenen Kleinstadt Strausberg. Dort nutzte der 38-jährige einen Besuch bei seiner kranken Mutter zur Flucht. Er stach nach bisherigen Erkenntnissen einen der beiden begleitenden Pfleger mit einem Küchenmesser nieder und verletzte ihn schwer. Dieser wurde sofort operiert und in ein künstliches Koma versetzt. Dessen Zustand sei ernst, teilte Sozialminister Alwin Ziel (SPD) gestern vor der Presse mit. Auch der zweite Pfleger und die Mutter hätten Verletzungen erlitten. Beide seien nicht ansprechbar, so dass keine genauen Umstände der Flucht vorlägen.

Frank Schmökel ist mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden, das erste Mal schon Ende der achtziger Jahre. Ein Kind war an den Folgen eines Angriffes gestorben. Er selbst schrieb einmal in sein Tagebuch: "Ich fürchte mich vor mir selbst". Die jetzige Flucht ist die insgesamt fünfte seit 1993. Seit 1997 befand sich Schmökel im Maßregelvollzug in Neuruppin, nachdem er zuvor mehrfach aus der Einrichtung in Brandenburg/Havel ausgebrochen war. "Es handelt sich um einen sehr gefährlichen Schwerverbrecher", sagte Minister Ziel. Deshalb werde alles unternommen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. In Strausberg und Umgebung sicherten gestern Revierpolizisten Schulwege ab. Viele Eltern brachten ihre Kinder selbst zu den Schulen oder zu den Bussen. Sie äußerten sich empört über die Möglichkeit der Flucht des Verbrechers und forderten eine strengere Bewachung.

Im Laufe der vergangenen zwei Tage hat die Polizei rund 40 Hinweise über auffällige Männer entgegengenommen. "Sie konzentrieren sich überwiegend auf den Raum Strausberg sowie auf die Gegend um Storkow", erklärte der Leitende Polizeidirektor des Frankfurter Präsidiums, Dietmar Weist. Eine heiße Spur sei jedoch nicht dabei. "Wir können nicht ausschließen, dass sich Schmökel schon nach Berlin abgesetzt hat", meinte Weist. Vorsichtshalber seien die Übergänge nach Polen besonders gesichert worden. Zielfahnder des Landeskriminalamtes prüften mögliche Kontaktadressen des Flüchtigen in Hamburg, Mainz, Hessen und in Mecklenburg-Vorpommern. Für Hinweise ist eine Belohnung in Höhe von 5000 Mark ausgesetzt worden.

Rätselhaft blieben gestern die genauen Umstände der Flucht am Mittwoch in Strausberg. Gegen 11.30 Uhr waren bei der Polizei zwei Notrufe über einen "blutenden Mann vor einem Haus in der Heinrich-Rau-Straße" eingegangen. Wenige Minuten später trafen Rettungs- und Funkstreifenwagen am Tatort ein. "Erst ein Anruf eines Journalisten in unserem Frankfurter Polizeipräsidiums, ob denn bei dem Vorfall in Strausberg der Sexualstraftäter Schmökel beteiligt gewesen sei, öffnete uns die Augen", berichtete Polizeidirektor Weist. "Sofort begann die Fahndung, an der bis zu 210 Beamte und ein BGS-Hubschrauber mit einer Wärmebildkamera beteiligt waren." Von dem so genannten Freigang Schmökels war der Polizei nichts bekannt.

Minister Ziel verwies gestern auf bundesweite Regelungen. Ein vier- bis fünfköpfiges Ärzte- und Psychologenteam habe sich nach einem "dreijährigen unauffälligen Verhalten des Täters" für eine Lockerungsstufe des Vollzugs entschieden. Diese erlaube auch Besuche außerhalb der Klinik. Im April sei die Konsultation eines Arztes problemlos verlaufen, sagte Ziel. Deshalb habe dem Besuch bei seiner kranken Mutter in Strausberg nichts im Wege gestanden. Zwei gut ausgebildete, aber unbewaffnete Pfleger sowie ein Sozialarbeiter hätten Schmökel begleitet. "Die Vorschriften schreiben bei Besuchen ein Vier-Augen-Prinzip vor", erklärte der Minister. "Beide Pfleger müssen sich also ständig in der unmittelbaren Nähe des Verurteilten aufhalten, um unverzüglich eingreifen zu können." In Strausberg hat das offensichtlich nicht geklappt. Hausbewohner erzählten, dass sich die Pfleger zu einer Rauchpause auf die Straße begeben hätten. In diesem Moment muss sich Schmökel ein Küchenmesser gegriffen haben, mit der den einen Pfleger lebensgefährlich verletzte. Die Polizei geht davon aus, dass der gesuchte Verbrecher dieses Messer noch besitzt. Polizeidirektor Weist wollte sich jedoch nicht an Spekulationen beteiligen. "Das Geschehen im Haus liegt noch im Dunkeln, ebenso die mögliche Fluchthilfe durch Komplizen."

In Brandenburg sind 1998 drei Häftlinge aus dem Maßregelvollzug geflohen, 1999 gelang einem Mann die Flucht, in diesem Jahr hatte Schmökel einen Vorgänger. In der Neuruppiner Klinik befinden sich 60 Sexualstraftäter, die hier ein therapeutisches Programm durchlaufen. Bis zur Klärung der Fluchtumstände sind dort alle Lockerungsstufen im Vollzug ausgesetzt worden.

Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Dieter Schuster, kritisierte scharf den Umgang mit einem verurteilten und bereits mehrfach entflohenen Straftäter. "Ich habe Null Verständnis für die Entscheidung, dem Mann einen Ausgang zu gestatten", sagte Schuster. Es handele sich nicht um irgendeinen Mann, sondern um einen sehr gefährlichen. Da müsse nach der genügenden fachlichen Kompetenz der Ärzte und Psychologen gefragt werden. Auch ein hoher Kriminalpolizeibeamter kritisierte die Behörden. Es sei ein Fehler, meinte er, verurteilte Verbrecher in solchen Fällen nicht zuerst als Gefangene, sondern als Patienten zu sehen.

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