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Brandenburg: Berliner Autobahnring: Mangelnde Sicherheit: Landeskasse muss für Autounfall zahlen

Wie auf Schmierseife rutscht der VW Scirocco mitten auf der Autobahn in die Mittelleitplanke. Fahrer und Beifahrerin sitzt zwar der Schrecken in den Gliedern, doch sie bleiben unverletzt.

Wie auf Schmierseife rutscht der VW Scirocco mitten auf der Autobahn in die Mittelleitplanke. Fahrer und Beifahrerin sitzt zwar der Schrecken in den Gliedern, doch sie bleiben unverletzt. Die angesichts des starken Regens auf Tempo 60 herabgesetzte Geschwindigkeit, die später von nachfolgenden Autofahrern bestätigt wird, hat sie vor schlimmeren Folgen oder sogar dem Tod bewahrt. 80 Kilometer pro Stunde waren laut Beschilderung zugelassen. Nur das Auto ist erheblich demoliert. Die Schadensumme wird später in der Werkstatt mit knapp 16 000 Mark angegeben.

Nach dem Aussteigen sieht das Paar die Ursache seines Unglückes. Eine mehrere Millimeter dicke und rund 100 Meter lange Wasserlache überzieht alle drei Autobahnspuren und hat sie ins Schwimmen gebracht. Das gefürchtete Aqua-Planing wurde dem mit Breitreifen ausgestatteten Fahrzeug beim Spurwechsel trotz der geringen Geschwindigkeit zum Verhängnis. Der Wechsel vom rechten zum mittleren Fahrstreifen hatte ein großer, blinkender Schilderwagen der Autobahnmeisterei notwendig gemacht, der ein vorher in diesem Bereich verunglücktes Fahrzeug absicherte.

Fünf Jahre liegt der Unfall nahe der Anschlussstelle Rangsdorf des südlichen Berliner Rings zurück. Erst jetzt erging das Urteil über die Klage des Autofahrers gegen das Land Brandenburg, vertreten durch das Autobahnamt. Der Fahrer hatte bautechnische Konstruktionsfehler des neuen Autobahnabschnittes als Unfallursache geltend gemacht - und Recht erhalten. Erstmalig muss das Land damit Schadenersatz an einen Autofahrer leisten, weil es laut Oberlandesgericht seiner Verkehrssicherungspflicht schuldhaft nicht nachgekommen sei. Damit wurde ein Urteil des Landgerichtes Potsdam von Mitte 1999 bestätigt. Das Land hatte dagegen Berufung eingelegt.

Signalwirkung für andere Fälle

Rechtsanwalt Sven Patelscheck, der den verunglückten VW-Fahrer vertrat, hält die Entscheidung der Richter für einen Durchbruch. Bisher sei in der Region versucht worden, alle Ansprüche von Autofahrern mit einem einzigen Argument abzuwürgen: "Wer im Osten Auto fährt, muss mit schlechten Straßen und höheren Unfallgefahren rechnen." Jetzt aber werde erstmals das Land wegen Baufehlern auf einer neuen Strecke zur Kasse gebeten. Ob von dem Urteil allerdings ein Signal für andere Streitfälle ausgeht, bleibt abzuwarten. "Viel Ausdauer und eine gute Rechtschutzversicherung sind wohl auch künftig nötig", sagt Patelscheck. 20 000 Mark Verfahrenskosten kämen da allein schon wegen der Gutachten schnell zusammen.

Im Fall des geschilderten Unfalls bei Rangsdorf konnte das Wasser des mittelstarken Regens nicht von der Fahrbahn ablaufen. Der Direktor des Brandenburgischen Autobahnamtes, Hans-Reinhard Reuter, gibt bauliche Mängel in diesem 1993 fertiggstellten Abschnitt bei Rangsdorf zu. "Nach der Wende 1989/90 sind auch beim Autobahnbau manche Dinge überstürzt gelaufen", erklärt der Behördenchef. Schon zu DDR-Zeiten sei mit der Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen über die Zusammenarbeit beim vierstreifigen Ausbau des südlichen Berliner Rings abgeschlossen worden. "Als die Mauer gefallen war, entschieden sich die Behörden in Erwartung des wachsenden Verkehrsaufkommens sofort für sechs Fahrstreifen", sagt Reuter. "Doch viel Erfahrung für so breite Autobahnen bestanden nicht." So sei die alte Planung für die ursprünglich vier Fahrspuren weitgehend übernommen worden. Nach Bauabschluss zeigte sich die fehlerhafte Entwässerung. Das Tempo bei Nässe wurde auf achtzig Stundenkilometer begrenzt.

Doch das reichte nach Auffassung der Richter nicht aus. "Eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h vermittelt jedoch in keiner Weise den Eindruck, sich einer besonders gefährlichen Stelle zu nähern", heißt es in der Urteilsbegründung des Oberlandesgerichtes. Um den Kraftverkehr deutlicher zu warnen, müsse das zulässige Tempo noch stärker reduziert werden. "So ist schon die Herabsetzung der Geschwindigkeit auf nur 60 km/h auf einer ansonsten ordnungsgemäßen Autobahn ein Warnsignal an den Benutzer, dass hier eine Besonderheit vorliegt", formulierten die Richter.

Seit etwa einem Jahr stehen an der bewussten Stelle vor Rangsdorf in Fahrtrichtung Schönefelder Kreuz Tempo-60-Schilder mit dem Zusatz "bei Nässe". "Viel zu spät", findet Rechtsanwalt Sven Patelscheck. "Das Land hat schon 1995 von der Gefahr des Aqua-Planings vor Rangsdorf gewusst, wie Dokumente belegen. So mancher Unfall hätte somit vermieden werden können." Im Polizeipräsidium Potsdam gilt der betreffende Abschnitt des Rings tatsächlich bei starken Niederschlägen als Unfallschwerpunkt.

Das Autobahnamt will jetzt das Wasser durch so genannte Kastenrinnen quer zur Fahrbahn ableiten. Danach könne die Geschwindigkeitbegrenzung vielleicht wieder auf 100 km/h angehoben werden, sagt Autobahndirektor Reuter. Als Konsequenz aus dem Urteil werde das gesamte Autobahnnetz auf mögliche weitere Gefahrenstellen untersucht. Zwei Abschnitte sind schon ausgemacht worden: Zwischen Beelitz und Beelitz-Heilstätten auf der A 9 nach Leipzig, wo das Regenwasser durch Baufehler ebenfalls nicht abläuft, sowie zwischen Hohenschönhausen und Marzahn auf der A 10. Hier staut sich das Wasser in den Spurrillen. Noch in diesem Jahr beginnen in diesem Abschnitt Bauarbeiten.

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