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Bodenreform: Land drängte Kommunen zur Enteignung

Die Finanz- und Innenministerium haben die Gemeinden gegen deren Bedenken zur Grundstücksübernahme angewiesen. Viele ehemalige Besitzer wissen bis heute nicht, dass sie enteignet wurden.

Potsdam - Die seit 1999 regierende SPD / CDU-Koalition in Brandenburg hat die jetzt vom Bundesgerichtshof gerügte „sittenwidrige“ Inbesitznahme von rund 10 000 Bodenreform-Grundstücken durch das Land forciert. Mindestens dem Finanzministerium war dabei bewusst, dass vorher nicht genügend nach privaten Eigentümern gesucht worden war. Das geht aus internen Regierungsunterlagen aus dem Jahr 2000 hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen.

Daraus ergibt sich auch, dass sich die damalige Regierung von Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) über Bedenken aus der Kommunalebene hinwegsetzte, um in dem schon damals umstrittenen Verfahren die Bodenreform-Immobilien unbekannter Erben im Eiltempo ins Landesvermögen zu überführen. Aus den Dokumenten geht ebenso klar hervor, dass das Finanzministerium unter Wilma Simon (SPD) innerhalb der Regierung die treibende Kraft dieser umstrittenen Praxis war. Allerdings war auch das Innenministerium – 1999 von CDU-Chef Schönbohm übernommen – beteiligt. Konkret geht es darum, dass sich das Land damals über Landkreis-Mitarbeiter als „gesetzliche Vertreter“ selbst als Eigentümer für Bodenreformgrundstücke bis dato unbekannter Eigentümer in die Grundbücher eintragen ließ. Der Grund: Am 2. Oktober 2000 lief die Frist ab, mit der das Land eigene Ansprüche sichern konnte. Seitdem gehören die Bodenreform-Grundstücke automatisch den privaten Erben.

Nach den Unterlagen fürchteten Kommunen Haftungsrisiken, wenn sie – stellvertretend für das Land und ohne Einschaltung von Gerichten – kurz vor Ablauf der Frist die Auflassung in den Grundbüchern zugunsten des Landes vornahmen. Dem Tagesspiegel liegt etwa eine „Freistellungserklärung“ des Finanzministeriums vom 17. Mai 2000 für den damaligen Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) und heutigen SPD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Pohl vor, mit dem sich dieser vorsorglich absicherte, dass alle Risiken der Praxis beim Land blieben. Erfasst seien auch mögliche Ansprüche gegen die Stadt „wegen mangelnder Nachprüfung im Einzelfall … und unzureichender Eigentümerermittlungen“, versicherte das Finanzministerium. „Eine umfassende Überprüfung des Vorliegens der Berechtigung des Landes ist ... ebenso entbehrlich wie weitergehende Recherchen.“

In zwei Rundschreiben an die Kreise vom Januar und Mai 2000 hat das Innenministerium dieses „vom Finanzministerium gewünschte Vorgehen“, wie es hieß, mitgetragen und die Kreise dazu aufgefordert. In einem Schreiben vom 31. Mai 2000 erweiterte das Innenministerium „aufgrund zahlreicher Bedenken und haftungsrechtlicher Fragen“ die Risikofreistellung der Kreise und drängte auf zügige Eintragung des Landes in die Grundbücher. Die Kreise wurden aufgefordert, die Grundbucheinträge des Landes „vorrangig zu bearbeiten“.

Das Land übernahm so 10 000 Grundstücke, von denen nach Expertenschätzung 9000 Grundstücke (damals noch unbekannten) Privateigentümern zustehen. Viele davon, so fürchtet der Potsdamer Anwalt Thorsten Purps, wissen nicht einmal, „dass sie kalt enteignet wurden“. Denn über die Grundbuchänderungen wurde oft nicht informiert. Purps empfiehlt nun allen möglicherweise Betroffenen „vorsorglich Einblick in die Grundbücher zu nehmen“. Das Finanzministerium ließ jetzt eine Info-Hotline (0331/5818 1381) schalten, an die sich Ratsuchende wenden können.

Die Staatsanwaltschaft prüft weiter Ermittlungen wegen Untreue. Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) übersandte der Behörde „im Interesse des Landes an einer schnellstmöglichen Klärung“ gestern Unterlagen des Parlaments, das sich 1996 grundsätzlich mit den Bodenreform-Flächen befasst hatte. Allerdings schickte Fritsch nur öffentlich zugängliche Landtagsbeschlüsse und Sitzungsprotokolle. Die Dokumente der Regierung, die für die Behördenpraxis verantwortlich war, befanden sich nicht darunter.

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