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Bodenreformaffäre Brandenburg: Unrecht ohne Ende

Wie Potsdam sich rechtswidrig Land nahm und warum die Aufklärung erst am Anfang steht

UNRECHT AUS ZEITNOT

Am Anfang des Skandals um die unrechtmäßige Enteignung von Bodenreformflächen im Land Brandenburg steht ein Versäumnis Potsdams: Kurz vor dem Jahr 2000 fiel der Regierung auf, dass ihr nur wenig Zeit blieb, die Eigentümer von 10 000 Grundstücken zu ermitteln. Recht und Gesetz verlangten, dass diese „Neulanderben“ darüber informiert werden, dass Potsdam alle Bodenreformflächen zurückfordert, wenn sie nicht von den Eigentümern landwirtschaftlich genutzt werden. Weil keine Zeit mehr blieb, um das alles zu prüfen, setzte Potsdam ein Verfahren in Gang, das „eines Rechtsstaats unwürdig“ ist, urteilte der Bundesgerichtshof: Potsdam setzte sich selbst zum Vertreter der nicht ermittelten Eigentümer ein und übertrug sich selbst die Grundstücke im Namen der Enteigneten. Die obersten Richter erinnerte das „nachhaltig an die Praxis der Verwalterbestellung der DDR“.

WER ENTEIGNET WURDE – UND WARUM

Die sogenannten Bodenreformflächen entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland durch die Enteignung der damaligen Großgrundbesitzer. Deren Land wurde aufgeteilt und oft an Vertriebene vergeben, die sich dort als Neubauern eine Existenz aufbauten. Nach der deutschen Einigung musste das Eigentumsrecht an 82 000 Bodenreformgrundstücken in Brandenburg neu festgestellt werden. Zunächst hatten nur Erben vormaliger Neubauern darauf Anspruch, die noch selbst in der Landwirtschaft arbeiteten. Diese Regelung lief aber im Oktober 2000 aus. Zu diesem Zeitpunkt waren die Eigentümer von rund 10 000 Grundstücken aber noch nicht ermittelt. Diese Grundstücke stehen nun den Erben zu.

POTSDAMS HALBHERZIGER RÜCKZUG

Brandenburg hatte zunächst 6600 dieser 10 000 Grundstücke enteignet und sich selbst als Eigentümer ins Grundbuch eintragen lassen. Die illegale Landnahme lief auch in der Ära Platzeck: Noch in diesem Jahr hatte Potsdam Widersprüche eingelegt gegen die Forderung von Erben, die bei den Amtsgerichten gegen ihre Enteignung vorgegangen waren. Erst vergangene Woche beugte man sich dem öffentlichen Druck: Potsdam will nun die Daten aller Grundstücke herausgeben und die Grundbuchämter auffordern, das Land als Eigentümer wieder zu streichen. Doch der Rückzug ist halbherzig: Melden sich keine Erben, dann will das Land die illegal enteigneten Flächen weiter verwalten, sagt Regierungschef Matthias Platzeck. Das kritisieren Rechtsexperten, weil sie das „geraubte Land nicht in der Hand des Räubers“ liegen lassen wollen, so Thorsten Purps.

EIN FALL FÜR DEN STAATSANWALT

Die Vorermittlungen laufen: Zwei Staatsanwälte sind in das Innenministerium eingezogen; zuvor hatten sie Akten im Finanzministerium nach Spuren strafbarer Handlungen durchsucht. Für Rechtsexperten ist klar: Irgendjemand in Potsdam muss die Idee für die Rechtsbeugung gehabt und diese dann mit anderen umgesetzt haben. Der Bundesgerichtshof machte deutlich, dass das Enteignungsverfahren „allein dem Vorteil des Beklagten (Land Brandenburg; Anm. d. Red.) diente“ – das wäre ein Motiv. Um sich die Vorteile der Landnahme sichern zu können, musste sich Potsdam die Hilfe der Kommunen bereits durch „Freistellungserklärungen“ erkaufen. Darin übernimmt Potsdam die Verantwortung für spätere Forderungen von Erben, etwa wegen „unzureichender Eigentümerermittlungen“ – was die Juristen im Jahr 2000 schon ahnten, ist eingetreten. Ein Strafrechtler an der Humboldt-Universität meint, die Freistellungserklärungen könnten „Anstiftung zur Untreue seitens des Landes sein“. Um solche Fragen zu klären und den Rechtsfrieden wiederherzustellen, hoffen Rechtsexperten auf die Aufnahme eines förmlichen Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft.

NEUES UNRECHT?

Zu den Verlierern der Affäre zählen die „ehrlichen“ Neubauererben: Wer rechtzeitig ermittelt wurde und seine Scholle nicht bestellte, wurde „zu Recht“ enteignet – Betroffene empfinden das aber als ungerecht.

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