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Brandenburg: Angriff auf Türkiyemspor stellt Ermittler vor Rätsel

Nach dem offenbar fremdenfeindlichen Übergriff ermittelt nun die Brandenburger Staatsanwaltschaft auch gegen die Türkiyemspor-Kicker. Sie sollen Waffen gehabt haben. Die Jugendgruppe stellt sich bisher als reines Opfer dar.

Berlin / Lindow - Im Fanclub von Türkiyemspor wurde eine spontane Pressekonferenz anberaumt: Am Mittwochabend fuhr der türkische Generalkonsul Mustafa Pulat in einer Limousine in Kreuzberg vor. Der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening, und Grünen-Politiker Özcan Mutlu waren ebenfalls da. Sie wollten die 22 Spieler der B-Jugend in Empfang nehmen, die erklärt hatten, Opfer eines fremdenfeindlich motivierten Übergriffs in Brandenburg geworden zu sein. Für die Anwesenden war der Fall eindeutig: Der Generalkonsul sprach von einem schweren „Schock“, Piening von „Alarmzeichen“.

Die Gruppe der 15- bis 16-Jährigen hat ihr Trainingslager in der Sportschule Lindow frühzeitig abgebrochen, nachdem einige Spieler von der Polizei verhört wurden. Ihre Version klingt gespenstisch: „Es waren um die 15 junge Männer aus dem Ort, sie hatten Totschläger, eine Axt und Baseballschläger dabei“, erzählt ein Jugendlicher im Vereinsheim. „Sie haben vor dem Supermarkt auf uns gewartet und uns mit Flaschen beworfen.“ Die Spieler hätten zur Verteidigung Äste aufgesammelt, die sie aber nicht eingesetzt hätten. Vielmehr seien sie gleich weggerannt und verfolgt worden. Ein 15-Jähriger sei gestürzt und von den Angreifern mit Knüppeln am Knie verletzt worden.

Die Brandenburger Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen „schwerem Landfriedensbruch“ – allerdings auch gegen die Jugendlichen von Türkiyemspor. Nach ihren derzeitigen Ermittlungen hat sich das Geschehen deutlich anders abgespielt: Bereits am Montag habe es im Supermarkt ein Wortgefecht zwischen einem der Fußballer und einem 20-jährigen Ortsansässigen gegeben, aus einem „nichtigen Anlass“, wobei der Berliner als „Kanake“ und „Dönerfresser“ beschimpft worden sei. Kurz darauf sei ein weiterer Lindower hinzugekommen, der „Sieg Heil“ skandierte und den Hitlergruß zeigte. Laut Staatsanwältin Lolita Lodenkämper habe die Berliner Sportlergruppe vor einem anderen Supermarkt wiederum Lindower Jugendliche als „Nazis“ und „deutsche Schweine“ beschimpft und angekündigt, dass sie morgen wiederkämen.

Was auch geschah. Am Dienstagabend trafen die Türkiyemspor-Spieler auf eine Gruppe Lindower, die sie mit Holzknüppeln erwartet haben sollen. Die 13 Berliner seien wiederum mit Baseballschlägern und einer Axt zum verabredeten Parkplatz gekommen. Beim Zusammenprall seien auch zwei Jugendliche aus Lindow verletzt worden. Eine Zeugin habe die Polizei alarmiert. „Das alles sind noch keine gesicherten Erkenntnisse“, sagt Lodenkämper. Gegen zwei Lindower werde jetzt wegen Volksverhetzung und Beleidigung ermittelt.

Derweil wird in Lindow investiert: Auf dem Gelände der Landessportschule findet kommende Woche der Spatenstich für den Bau einer Berufsfachschule für Sport statt. Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) will kommen. 2,5 Millionen Euro erhält der Bau aus den Mitteln des Konjunkturpaketes II. Der Kurort, mit seinen 3200 Einwohnern, soll nicht in Verruf geraten. In Brandenburg ist man zudem vor den Landtagswahlen besorgt, dass ein fremdenfeindlicher Übergriff zu einem Politikum werden könnte. Die Politik will nicht beschwichtigen, aber auch kein frühzeitiges Urteil fällen: „Eine schnelle Klärung des Falls durch die eigens eingerichtete Ermittlungsgruppe der Polizei hat aus unserer Sicht Priorität“, erklärt ein Sprecher des Innenministeriums.

Der Lindower Bürgermeister Wolfgang Schwericke (SPD) hingegen beeilte sich mit dem Abwiegeln: „Man darf nicht den Fehler machen, jede Auseinandersetzung mit Ausländerfeindlichkeit zu vermischen“, sagte er am Mittwoch. Er bedauere, was passiert ist. Lindow sei jedoch „nicht fremdenfeindlich“. Tatsächlich gibt es hier nach Angaben mehrerer Experten keine organisierten rechtsextremistischen Strukturen. Ausländerfeindliche Einstellungen seien jedoch durchaus zu beobachten. „Wir wären absolut nicht überrascht, wenn es sich als rechtsextrem motivierter Übergriff entpuppt“, erklärt Christoph Schulze vom Verein Opferperspektive.

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