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Brandenburg: BSE: Wenn Rinder Husten haben

So ganz nah wagt sich Theresia Dorschfeldt nicht an die Rinder heran. Die Rasse Deutsch-Angus - massige Fleischrinder, bei denen selbst die weiblichen Tiere muskelbepackte Dickschädel sind - sieht nicht gerade aus wie eine Familie von Kuscheltieren.

So ganz nah wagt sich Theresia Dorschfeldt nicht an die Rinder heran. Die Rasse Deutsch-Angus - massige Fleischrinder, bei denen selbst die weiblichen Tiere muskelbepackte Dickschädel sind - sieht nicht gerade aus wie eine Familie von Kuscheltieren. Agil wirken sie und mit ihrem nerzgekräuselten dichten Fell sehr robust. Auch die Kühe bleiben auf Distanz. Viele von ihnen haben Kälber, die sich angesichts der Fremden in ihrem Weide-Revier ängstlich an ihre Mütter drücken. Auch Hugo, der Herdenchef, beäugt die Besucher argwöhnisch. Doch von Angst ist bei ihm nichts zu spüren - kein Wunder. Der dreieinhalbjährige Bulle genießt mit seinen 160 Zentimetern Schulterhöhe einen komfortablen Überblick und durch die 850 Kilogramm Gewicht eine beruhigende Unangreifbarkeit.

Vor ein paar Wochen noch konnte die Herde hier ungestört das Gras zupfen und in Ruhe wiederkäuen. Nur der Bauer schaute manchmal auf der Wiese nach dem Rechten und füllte die Futtertröge mit Gerste oder Kartoffeln nach. Doch seit ein paar Wochen führt Landwirt Heiko Stengel immer wieder Fremde auf die Weide, die sich für den Alltag der Rinder interessieren, ihr Futter untersuchen und ihnen mit Kameras auf die Kuhhaut rücken. Es gibt derzeit nur wenige Tage, an denen Stengel kein Interview geben muss. "Ich komme kaum noch zum Arbeiten", sagt der 37-Jährige, der den Betrieb alleine bewirtschaftet. Doch ihm bleibt keine Wahl, denn er mästet sein Vieh nach den Kriterien von "Neuland", einer Vermarktungsgenossenschaft, die ihren Kunden eine artgerechte Nutztierhaltung verspricht. Ihr Slogan: "Mit gutem Gewissen genießen". Da ist Transparenz oberstes Gebot. Und Heiko Stengels Wiesenhof in südbrandenburgischen Schöbendorf ist der einzige Neulandbetrieb in der Umgebung Berlins, nur knappe anderthalb Autostunden entfernt.

Auch Theresia Dorschfeldt ist hier zur Inspektion. Sie ist Leiterin der katholischen Kindertagesstätte St. Dominicus in Berlin-Buckow. Sie fahndet nach Risiken in der Nahrungskette, an deren Ende ihre Kinder sitzen - und an deren Anfang Rinderzüchter Heiko Stengel für Fleischnachschub sorgt.

Kerzengerade zwischen Kuhfladen

Die Kita-Chefin ist das, was man eine resolute Frau nennt. Die schlanke Frau hält sich erzieherinnengerade, lässt sich ihre heftige Erkältung nicht anmerken. Nur eines kann sie nicht verbergen: Die Unsicherheit einer Städterin auf einer Kuhweide. Mit aufmerksam nach unten gerichteten Blick stakst sie über die Weide, weicht den zahlreichen Kuhfladen aus. "Ich hätte mir doch Wanderstiefel anziehen sollen", sagt sie.

Heiko Stengel ist mit seinem Ein-Mann-Betrieb ein bunter Hund unter den Rinderzüchtern der Umgebung. Auf den Weiden im Baruther Urstromtal herrschen die Regeln der industriellen Mast. In der milden Sonne tummeln sich vor allem Fleischrinder: Deutsch-Angus und die zottig-braunen Galloways. Schon zu DDR-Zeiten widmeten sich hier Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften der "Tierproduktion". Die Dimensionen sind geblieben. Mit einem Bestand von weniger als tausend Rindern kann so ein Großbetrieb nicht existieren.

Stengel besitzt nur 140 Tiere - und hat damit schon einen Bonuspunkt auf Dorschfeldts Prüfliste. Denn die Agrarindustrie lehnt die Berlinerin kategorisch ab. "Prinzipien sind mir wichtig", sagt sie. Eines ihrer Prinzipien ist, dass Tiere nicht leiden dürfen, nur damit der Mensch 100 Gramm Hackfleisch für 50 Pfennig kaufen kann. Dafür kämpft sie nun schon seit Jahren. Als 1996 in Deutschland die Angst vor BSE-verseuchtem Rindfleisch aus Großbritannien umging, bat Dorschfeldt - auch damals schon Leiterin der Kita - die katholische Kirche um ein Signal. Ihre Arbeitgeberin sollte bei allen 84 von ihr getragenen Kindertagesstätten auf Neuland-Fleisch umsteigen. "Damit könnte auch der unwürdigen Massentierhaltung eine Absage erteilt werden", schrieb sie damals an die Diözese. "Das würde uns als Christen gut anstehen." In ihrer eigenen Kita hatte sie diesen Schritt schon zwei Jahre zuvor vollzogen. "Aus ethischen Gründen", wie sie sagt. Doch ihre Kirche schwieg - enttäuscht sei sie damals gewesen, sagt Dorschfeldt. Nun sieht sie eine neue Chance. Rindfleisch ist wieder in den Schlagzeilen.

Theresia Dorschfeldt sucht in Schöbendorf nach Sicherheit. "Ich hab zwar schon mit unserem Fleischer über die Qualität von Neulandfleisch ausführlich diskutiert", sagt sie. "Aber wie das wirklich auf den Höfen abläuft, das habe ich noch nicht gesehen."

Auf einer Liste hat Theresia Dorschfeldt die Fragen notiert, die ihr die Kinder und Eltern mit auf die Inspektionsreise gegeben haben. Nur die älteren unter den Kindern verstehen natürlich, worum es tatsächlich geht. Ein achtjähriges Mädchen erzählte seiner Erzieherin empört, jetzt sei es an der Zeit, den Bauern zu verbieten, tote Tiere zu verfüttern. Die jüngeren machen sich ganz andere Sorgen: Ein sechsjähriger Junge lässt seine Erzieherin fragen: "Können Kühe Schnupfen kriegen?"

Wenn sich doch nur alle Fragen so einfach beantworten ließen, wird Stengel denken. "Manchmal bekommen auch Rinder Husten. Aber das macht ihnen nichts aus, sie sind widerstandsfähig." Und das müssen sie auch sein, denn sie sind das ganze Jahr über auf der Weide oder in einem offenen Stall, aus dem sie jederzeit hinaus können. Nur die Jungtiere werden zu den Mahlzeiten eingesperrt, damit sie auch wirklich fressen. Schließlich sollen sie schnell schlachtreif werden. Allerdings scheint dieser Zwang unnötig. Im Stall balgen sich gerade einige von der Mutterkuh entwöhnte Halbstarke um das frische Heu. Zehn Monate lang durften sie bei der Mutter säugen, nun gibt es feste Nahrung. Synthetisches Futter ist bei Neuland verboten, ebenso Masthilfen und Antibiotika. Auch Spaltenböden, die zwar das Entmisten erleichtern aber gleichzeitig den paarhufigen Rindern große Schmerzen zufügen, sind untersagt. "Die anderen Bauern haben mich immer belächelt wegen der Mehrarbeit, die das alles für mich bedeutet", sagt Stengel. Jetzt lächelt er zurück, denn die Nachfrage nach dem vermeintlich BSE-sichereren Neulandfleisch ist in den letzten Wochen stark gestiegen.

"Ist es denn wirklich garantiert BSE-frei?" Endlich Dorschfeldts Gretchenfrage. "Dazu sage ich nichts", meint der Rinderzüchter kurz angebunden. Er hat Angst davor, eine Garantie auszusprechen, die er unmöglich übernehmen kann. Denn noch immer ist ungeklärt, ob es noch andere Übertragungswege der Krankheit gibt, als die über das berüchtigte Tiermehl.

Nicht fotografieren!

Trotz glänzender Geschäfte sind auch Neuland-Landwirte derzeit nervös. Denn der Absatz hängt entscheidend vom sauberen Image ab. Eine kleine Ungereimtheit, und der Erfolg ist dahin. Wohl deshalb ist Heidemarie Klingbeil, die Berliner Büroleiterin von Neuland, heute mit auf dem Wiesenhof, versucht, den Bauern vor möglichen Fettnäpfchen zu bewahren und ihre PR-Botschaft loszuwerden. "Neulandfleisch wird lückenlos kontrolliert." Ironischerweise ist es ausgerechnet sie, die eine Unregelmäßigkeit entdeckt - und sie sofort ausbügeln will. "Das dürfen sie nicht fotografieren", sagt sie hektisch. Der Grund der Aufregung: Ein vorwitziger Jungbulle, den Theresia Dorschfeldt gerade den lockigen Schädel krault. In beiden Ohren fehlen die Erkennungsmarken, die deutsche Rinder von ihrer Geburt an tragen müssen. Doch im Gegensatz zur PR-Frau bleibt Heiko Stengel souverän. Wenn die Tiere auf der Weide herumtollen, gehen die Marken schon mal verloren, gesteht er mit entwaffnender Offenheit. Wenn so was bei einer industriellen Großherde geschehe, könne keiner nachvollziehen, von welchem Tier die Marke stamme. "Ich kenne jedes einzelne meiner Rinder." Dorschfeldt zeigt Verständnis: "Ich verliere meine Ohrringe auch immer." Sie wird bei ihrer Entscheidung für Neuland-Fleisch bleiben - und vielleicht bald wieder an die Diözese schreiben. Und sie hofft, dass diesmal die Kirche nicht schweigen wird.

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