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Brandenburg: Das türkische Tabu

Über die Bewertung der Massaker von 1915 lässt Ankara nicht mit sich reden

Istanbul - Wenn es um den Völkermord an den Armeniern geht, dann kennt die türkische Politik keine Zurückhaltung. Von der diplomatischen Protestnote bis zur Absage geplanter Ministerbesuche, vom Handelsboykott bis hin zum Einfrieren der diplomatischen Beziehungen ließ Ankara in den letzten Jahren kaum etwas unversucht, um andere Länder an der Definition der osmanischen Massaker an den Armeniern von 1915 als Völkermord zu hindern. Ob es das italienische Parlament, die französische Nationalversammlung oder der Schweizer Nationalrat war, die entsprechende Resolutionen verabschiedeten – immer wieder gab es schwere Zerwürfnisse mit der Türkei, die den Genozid-Vorwurf energisch bestreitet.

Dabei ist die zentrale Tatsache unumstritten: Hunderttausende Armenier wurden im Jahr 1915 vom Osmanischen Reich aus ihrer Heimat Ostanatolien vertrieben und umgebracht. Weil armenische Partisanen im Verdacht standen, gemeinsame Sache mit den vorrückenden russischen Truppen zu machen, wurde die armenische Bevölkerung des Landstrichs ausgelöscht – teils durch Gewaltmärsche nach Syrien, teils durch Massaker an ganzen Dörfern.

Die Türkei hat diese Tatsachen zwar nie bestritten, wenn ihre Historiker auch niedrigere Zahlen nennen als die armenische Seite; sie hat diesen Teil ihrer Geschichte aber auch nie anerkannt oder sich damit auseinander gesetzt. Das Land fühlt sich durch den Genozidvorwurf in seinem Stolz auf die Toleranz des Osmanischen Reiches verletzt, in dem viele Völker verschiedener Religionen zusammenlebten und das verfolgten Juden sowohl vor der spanischen Inquisition als auch vor dem deutschen Faschismus Zuflucht bot. Zudem befürchtet Ankara bei einer Anerkennung des Völkermordsvorwurfs Reparations- und Gebietsansprüche aus Armenien.

Jahrzehntelang wurde das Thema daher einfach totgeschwiegen. In Geschichts- und Schulbüchern wurden weder das armenische Erbe des Landes noch die Ereignisse von 1915 angesprochen. Daran änderten auch die Aktionen der armenischen Terrorgruppe Asala nichts, die in den 70er Jahren 34 türkische Diplomaten ermordete, um ein türkisches Schuldbekenntnis und Reparationen zu erzwingen – ohne Erfolg.

Doch der Preis der türkischen Haltung ist hoch. Die periodischen Auseinandersetzungen mit Bündnispartnern in Westeuropa – die mit den EU-Beitrittsgesprächen noch zunehmen dürften –, die wirtschaftlichen Verluste durch die geschlossene Grenze zu Armenien und der Schaden fürs internationale Image kommen das Land teuer zu stehen. Auch innerhalb der Türkei regt sich deshalb Interesse an den historischen Fakten. Dutzende Bücher zur Armenierfrage erschienen in den letzten Jahren, eine Ausstellung in Istanbul zog in diesem Monat eine Rekordzahl von Besuchern an.

Heute wird auch von der offiziellen Türkei nicht mehr bestritten, dass den Armeniern schweres Unrecht zugefügt wurde. Den Vorwurf des Völkermordes aber, der gezielten Vernichtung, den will Ankara weiterhin nicht gelten lassen. Im vergangenen Jahr begann zwar eine türkisch-armenische Historikerkommission mit der gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte – doch schon das zweite Treffen wurde kürzlich wieder abgesagt.

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