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Brandenburg: Davongekommen

Die Mühlberger durften zurück in ihre Stadt. Unbeschwert feiern wollte aber keiner

Von Sandra Dassler

Herzberg/Mühlberg. Immer schneller fährt der graue Wagen von Reinhold Hübscher (66) Richtung Mühlberg. Nach Tagen im Exil darf er zurück. Wie alle Einwohner. Gestern früh um zehn Uhr wurde es verkündet: Die Evakuierung für Mühlberg ist aufgehoben. Gejubelt haben die Mühlberger aber nicht, weil sie auch die Trauer in den Gesichtern vieler Menschen sahen, die mit ihnen im Sammellager von Herzberg waren. „Für die Einwohner anderer Gemeinden ist es heute besonders schwer“, sagt eine DRK-Mitarbeiterin: „Sie können noch nicht zurück, und sie wissen, dass ihre Häuser nicht vom Hochwasser verschont wurden.“

Um 10.30 Uhr haben sich Reinhold Hübscher und seine Frau Rosemarie bei den Verantwortlichen in Herzberg für die Betreuung bedankt, dann sind sie losgefahren und standen eine Stunde später vor dem Ortseingangsschild von Mühlberg, der fast 800-jährigen Stadt an der Elbe. Hier müssen die Hübschers noch einmal warten. Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks winken Lastkraftwagen durch. Die THW-Leute wirken entspannt. Im Minutentakt kehren zur Zeit die glücklichen Mühlberger zurück, fast alle kurbeln ihr Autofenster herunter und rufen den Helfern ein „Dankeschön“ zu. Dann stehen Rosemarie und Reinhold Hübscher endlich vor ihrem Haus. Er räumt die Sandsäcke weg, sie fotografiert ihn dabei. Dann sind sie im Hof. Rosemarie Hübschers erster Blick gilt den Blumen im Garten. „Die sind ja gar nicht so vertrocknet, wie ich dachte.“ Auch die Tauben und die Bienenvölker haben die mehrtägige Abwesenheit des Ehepaares gut überstanden. „Strom gibt es auch schon wieder“, ruft Rosemarie Hübscher ihrem Mann zu und will jetzt erst mal Kaffee kochen.

Mühlbergs Orts-Bürgermeisterin Hannelore Brendel, die seit dem Mittag wieder im Rathaus sitzt, spricht oft von Glück. Sie hat wenig geschlafen in den letzten Tagen. Zweimal wäre sie fast verzweifelt. Als es hieß, man habe Mühlberg aufgegeben und als sich im benachbarten sächsischen Stehla ein Dammriss abzeichnete. „Da waren noch nicht mal die Einwohner raus und die Einsatzleitung musste entscheiden, ob Arbeiten am Damm überhaupt möglich waren, ohne die Hilfskräfte in Gefahr zu bringen.“ Hannelore Brendel weiß, dass es jetzt erst richtig los geht. In etwa 30 Häusern am Hafen steht das Grundwasser bis zu einer Höhe von 1,50 Meter. Keller können nicht einfach leer gepumpt werden, weil das statische Probleme bringt. Das Grundwasser wird weiter steigen, Schulen und Kitas müssen wieder den Betrieb aufnehmen. Aber ist das vergleichbar mit dem, was die Menschen in Dresden oder Grimma erleben? Schon gestern begannen die Mühlberger Geld zu sammeln, für jene mit weniger Glück. Von Glück spricht auch Anwohner Karl Wendt: „Der 17. August 2002, als kein Experte mehr glaubte, dass der Damm halten würde, wird als Schicksalstag in die Geschichte der Stadt eingehen.“

Rosemarie Hübscher sagt, ihr täten die Leute Leid, deren Häuser unter Wasser stehen. „Und wer weiß? Vielleicht sind wir ja gerade deshalb verschont geblieben, weil die Dämme anderswo brachen.“ Sie seufzt und geht in den Garten. Blumen gießen.

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