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Brandenburg: Der alte Mann und das Spaßbad

Von dem Streit um das Potsdamer Projekt lässt sich Architekt Oscar Niemeyer nicht verunsichern. Umplanungen gehören zum Beruf

Flipcharts mit Bauplänen, Aktenordner voller Entwürfe an der Wand? In Oscar Niemeyers Büroetage sucht der Besucher vergeblich nach den üblichen Merkmalen eines Architekturbüros. Durchaus zieren Zeichnungen die weißen Wände des Foyers, doch sind diese mit dickem Filzstift gemalt und stellen in der Mehrzahl nackte Frauen dar.

Die Aktskizzen könnten der Blickfang des Empfangszimmers sein – wäre da nicht die Fensterfront mit Blick aus dem siebten Stock auf die Copacabana, wo schon morgens um 9 Uhr, wenn Niemeyer ins Büro kommt, Touristen im Sand liegen. Dahinter der Atlantik. „Ich schau gern von hier auf die See, auf den Strand, wo sich die Leute vergnügen“, sagt Niemeyer, er selbst war schon lange nicht mehr unten am Wasser. Er ist klein geworden mit den Jahren und dünn, seine Beine sind müde. Er wirkt ungefähr so alt wie er ist: 98 Jahre.

Auf dem Weg ins Arbeitszimmer geht Oscar Niemeyer an seinem wichtigsten Satz vorbei. Der überzeugte Kommunist hat ihn schon vor vielen Jahren mit Filzer an eine der Bürowände geschrieben: „Nicht die Architektur ist wichtig, sondern das Leben, die Freunde und diese ungerechte Welt, die wir verändern müssen.“ Aber auch wenn Architektur nicht wichtig ist – „wenigstens kann sich jeder Mensch, ob reich oder arm, beim Betrachten eines gelungenen Bauwerks an dessen Schönheit erfreuen“, sagt Niemeyer und mag darum besonders Aufträge wie den aus Potsdam: ein öffentliches Schwimmbad, das später nicht nur alle betrachten, sondern auch alle benutzen können.

Wenn es denn gebaut wird. Die letzte Überarbeitung des Niemeyer-Entwurfs veranschlagte Baukosten von 33 Millionen Euro. Über die Kosten des Schwimmbads wird gestritten, seit die Pläne im Juni präsentiert wurden. Zuletzt setzte Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) durch, dass nun erstmal ein anderer Architekt einen alternativen Entwurf entwickelt, der gegebenenfalls billiger zu bauen ist. Aber Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hält an Niemeyer fest.

Auch João Niemeyer, der Neffe des Architekten, bleibt optimistisch: „In Stilfragen kann Oscar sehr streng sein. Wenn er sich ein Design in den Kopf gesetzt hat, gibt es keine Debatten. Wenn es aber wie in Potsdam darum geht, einen Entwurf preiswerter zu machen, ist Oscar immer bereit umzudenken.“ João besucht seinen Onkel jeden Morgen im Büro und präsentiert ihm, was die Ingenieure, die an anderen Orten an Niemeyers Projekten arbeiten, entwickelt haben. Ähnlich entstand auch für Potsdam die Variante, die bestehende Schwimmhalle am Brauhausberg nicht abzureißen, sondern in die Neubauten einzubeziehen, um so einige Millionen Euro zu sparen. Die Änderung entstand in Zusammenarbeit mit dem deutschen Architekten Moritz Kock, der in Potsdam auch die Bauleitung übernehmen soll. Für Niemeyer ist das ein zutiefst normaler Vorgang, in 70 Jahren Berufsleben ist kaum je ein Entwurf ohne Änderungen realisiert worden. Und oft auch erst nach langer Zeit: So hat Niemeyer mehr als ein Jahrzehnt warten müssen, bis die katholische Kirche Brasiliens bereit war, einen Kirchbau zu weihen, den er in Pampulha errichtet hatte. Die Form der Kirche erschien der Geistlichkeit zu schwungvoll, geradezu unernst. Doch wenn es auch dauert – Niemeyer hat auf dem ganzen Globus ausladende, schwungvolle Betonbauten geformt, von denen manche so leicht wirken, als wären sie nur kurz zwischengelandet. Er ist der einzige Architekt der Welt, dessen Werk – die brasilianische Hauptstadt Brasília – schon zu Lebzeiten zum Kulturerbe der Menschheit erklärt wurde, in einer Reihe mit den ägyptischen Pyramiden.

Oscar Niemeyer hat es sich in seinem Lehnstuhl am Zeichentisch bequem gemacht. Seine Architektur ersinnt er am anderen Ende der Büroetage, so weit entfernt wie möglich vom Panoramablick auf die Atlantikwellen. Sein Arbeitsraum misst wenige Quadratmeter, Bücher und Unterlagen sind verstreut, an der Decke Neonlicht, das einzige Fenster zum Lichtschacht halb zugemauert. Man hätte hier die Besenkammer vermutet; darüber ärgert sich Niemeyer: „Wieso soll ich in einer kleinen Kammer keine ausladende Architektur erschaffen können?! Ich habe meine Bauwerke im Kopf, zeichnen kann ich sie überall. Dafür brauche ich keinen schönen Ausblick.“

Aus Potsdam hatte man ihm seinerzeit Fotos und Filmmaterial nach Rio mitgebracht, damit er sich den Brauhausberg als Bauplatz besser vorstellen kann. „Wir erkundigen uns natürlich über den Ort, wir berücksichtigen das Klima, aber meine Architektur habe ich noch nie angepasst. Die Technik löst alle Probleme“, sagt Niemeyer und meint mit „die Technik“ seinen Statiker José Carlos Sussekind. Die beiden beugen sich seit über zwei Jahrzehnten gemeinsam über Niemeyers Entwürfe. Sussekind sieht als erster jeden neuen Entwurf, all die Kuppeln oder Rampen, die wirken sollen, als hingen sie in der Luft. Wenn Sussekind, der Statikfachmann, den Daumen nach oben dreht, können die Bauzeichner beginnen.

Bis an die Grenzen der Belastbarkeit lässt Oscar Niemeyer dann die Ingenieure den Beton wölben und biegen als sei er Knetmasse. Der Bauplan für Potsdam auf dem Tisch zeigt Kuppeln, die sich 40 Meter weit über die Badelandschaften spannen. Tragende Säulen sind nicht eingezeichnet. „Wir versuchen, die Bauwerke mit immer weniger Stützen zu bauen. Sie sollen wirken wie losgelöst.“

An den Potsdamer Kuppelbauten zu sparen, wäre schwierig geworden. Die alte Schwimmhalle weiter zu nutzen, bedeutet für Niemeyer dagegen keine Beschädigung seiner Kunst. „Man kann das neue Schwimmbad ja immer noch bauen, wenn wieder Geld da ist“, sagt der Neffe.

Vor kurzem wurde in São Paulo der letzte Bauabschnitt eines von Niemeyer entworfenen Theaters eingeweiht. Das Modell zeigt drei flache Bauten, durch Rampen miteinander verbunden. „Nach den ersten beiden Gebäuden gab es eine Pause, nun ist das dritte fertig geworden.“ Die Pause hat 30 Jahre gedauert.

Frauke Niemeyer[Rio de Janeiro]

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