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Brandenburg: Der Fall Sissy S.: "Attentat" kommt vor Amtsrichter

Juristisch ist die Affäre auf das Minimum geschrumpft. Vor einem Jugend-Einzelrichter des Amtsgerichts Strausberg wird am 30.

Juristisch ist die Affäre auf das Minimum geschrumpft. Vor einem Jugend-Einzelrichter des Amtsgerichts Strausberg wird am 30. August die 17-jährige Sissy S. erscheinen, um sich zu verantworten: Versuchte Beteiligung an einem Verstoß gegen das Waffenrecht. Der Fall, der wie der fürchterliche Terror-Anschlag eines Mädchens auf seine Schule und wie das Abbild eines historischen Blutbads aussah, hat sich als schwere pubertäre Verirrung geklärt - mehr offenbar nicht. Der Richter wird jetzt nur noch sagen können, ob überhaupt etwas Strafbares an den Phantasien und den Gesprächen der Sissy S. war. Und er wird womöglich zur Klärung der Frage beitragen, ob die brandenburgischen Strafverfolger angemessen mit der Angeklagten umgegangen sind. Oder ob ihr Augenmaß an der Schülerin versagt hat.

Der Fall schien eine beispiellose Sensation. Die 16-Jährige war am 21. Februar mittags festgenommen worden. Mehr als sieben Stunden wurde sie vernommen. Polizei und Staatsanwaltschaft dürften elektrisiert gewesen sein. Zwei Mitschüler waren zur Direktorin ihres Müncheberger Gymnasiums gegangen und hatten sich offenbart: Sissy S. habe an der Schule über ein Attentat gesprochen. Ob das Ernst war, ist den jungen Zeugen offenbar nicht recht klar gewesen. Aber die Lehrer und Eltern und die Politik haben ihnen später hoch angerechnet, dass sie sich mit ihrer Besorgnis an die Schule wandten.

Sissy S. wurde unverzüglich beschuldigt, sie habe die beiden anstiften wollen, ein Massaker unter Pädagogen und Schülern ihres Gymnasiums zu begehen und sich schließlich durch Sturz vom Dach das Leben zu nehmen - ein Drehbuch mit Vorbild. An der Columbine-High-School, Littleton, im amerikanischen Colorado, hatten am 20. April 1999, Hitlers Geburtstag, zwei rechtsradikale Schüler ein Blutbad angerichtet. Sissy S. hat von Anfang an bestritten, je etwas Derartiges geplant zu haben. Die 16-Jährige, die sich mit psychologischer Literatur befasste, muss ein bizarres Interesse an den Littleton-Attentätern entwickelt haben. Für einen habe sie richtig geschwärmt, sagte eine Klassenkameradin später aus.

Sie habe sich in die amerikanischen Täter aus psychologischem Interesse hineinversetzen wollen, so erklärte das beschuldigte Mädchen später in allen Vernehmungen sein Attentatsgerede. Eine Gewalttat habe sie selbst nie geplant. Waffen wurden nicht gefunden, Vorbereitungshandlungen gab es nicht. Über einem angeblichen Abschiedsbrief stand in Wahrheit "Verarschungsbrief". Alle Zeugen beschrieben das Mädchen als normal, freundlich, unproblematisch, ohne Suizidgedanken, mit hoher Lebenszufriedenheit.

Eine psychiatrische Begutachtung schloss Persönlichkeitsstörungen aus. Am Ende blieben ein hohes Maß an Naivität und ein pubertärer Exzess - mit Worten. Verteidiger Robert Unger hat nie begriffen, weshalb die Staatsanwaltschaft so lange auf ihren Mord- und Verbrechensvorwürfen bestand. Offenbar hat auch der Generalstaatsanwalt in Brandenburg auf die Ankläger eingewirkt, den Fall tiefer zu hängen. Immerhin sind jetzt die Attentatspläne aus der Anklage verschwunden. Ein Angebot der Staatsanwaltschaft, gegen ein Geständnis auf die Anklage zu verzichten - wie das nach dem Jugendgerichtsgesetz möglich ist - hat das Mädchen abgelehnt. Es sei nichts zu gestehen.

Die Schülerin geht wieder auf ihr Gymnasium, die Rückkehr gilt als geglückt. Sissy S. wurde in die 12. Klasse versetzt. Zweimal hatte das Lehrer-Kollegium gegen den Verbleib an der Schule votiert, aber neben den Eltern und dem Verteidiger setzte sich auch das Bildungsministerium in Potsdam für die Wiedereingliederung ein: Eine pädagogische Strategie, bei der offenbar Schule und Schülerin ihren Frieden miteinander machen konnten.

Auch der Verteidiger Unger hat seine Genugtuung. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hatte Strafantrag gegen ihn gestellt wegen der im Tagesspiegel wiedergegebenen Unger-Formulierung " ... es drängt sich der Verdacht auf, dass die Staatsanwaltschaft Amok läuft". Die Frankfurter Ankläger fühlten sich dadurch "ehrabschneiderisch" beleidigt. Die zuständige Berliner Staatsanwaltschaft hat das Verfahren aber eingestellt. Unger habe von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht, schrieb der Berliner Generalstaatsanwalt Karge nach Frankfurt. Und diese Meinung sei dahingehend zu verstehen, dass die Strafverfolgungsbehörde in Frankfurt in den Augen des Anwalts eben die besonderen Umstände des Einzelfalls verkannt, kein vernünftiges Augenmaß angewendet und einen unpassenden Verfolgungseifer an den Tag gelegt habe.

Hans Toeppen

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