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Brandenburg: Der Fall Ulrike: "Entschuldbare Fahndungsunebenheiten"

Es war der größte und längste Polizeieinsatz in der Geschichte Brandenburgs: Die Fahndung nach dem Mörder der 12-jährigen Ulrike Brandt, der am 29. März festgenommen wurde.

Es war der größte und längste Polizeieinsatz in der Geschichte Brandenburgs: Die Fahndung nach dem Mörder der 12-jährigen Ulrike Brandt, der am 29. März festgenommen wurde. Doch entgegen der bisherigen Darstellung von Innenministerium und Polizei hat es bei den fünfwöchigen Ermittlungen eine Reihe von Pannen gegeben. So hatte die Polizei bereits Wochen vor der Festnahme - und noch vor dem Auffinden der Leiche des Mädchens - erste Hinweise auf den Täter Stefan Jahn.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Carlo Weber von Frankfurt (Oder) hat jedoch Ermittlungspannen dementiert. Er räumte indes ein, dass bereits am 2. März eine Bewährungshelferin den vorbestraften Autodieb Stefan Jahn auf dem Phantombild erkannt und die Polizei informiert hatte. Sechs Tage später, am 8. März, wurde die Leiche des Mädchens gefunden, das am 22. Februar verschleppt und offenbar noch am selben Tag missbraucht und getötet worden war. Laut Weber ging die Polizei dem Tipp der Bewährungshelferin nach, traf Jahn aber nicht in seiner Wohnung an. Weber betonte jedoch, dies sei "keine heiße Spur" gewesen, denn der Hinweis auf Jahn war "zu dünn".

Nachdem die tote Ulrike am 8. März gefunden worden war, ließ die Polizei den Fingerabdruck auf einer am Tatort liegenden Flasche mit den beim Bundeskriminalamt vorliegenden Abdrücken, also auch denen des vorbestraften Jahn, vergleichen. Wegen der schlechten Qualität des Fingerabdrucks auf der Flasche konnte jedoch keine Übereinstimmung erkannt werden. Als Jahn am 16. März in Fürstenwalde wegen Diebstahls eines Wagens festgenommen wurde, sei sein Fingerabdruck im Polizei-Computersystem ASIS mit dem vom Tatort der Ermordung Ulrikes verglichen worden - das Ergebnis war erneut negativ. Autodieb Jahn kam, trotz offener Bewährungsstrafe, wieder frei.

Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sprach von "entschuldbaren Fahndungsunebenheiten". Die Bedeutung der Hinweise sei erst im Nachhinein deutlich geworden. Gleichwohl reagierte das Ministerium irritiert, weil es vom Polizeipräsidium Eberswalde vor der Pressekonferenz am 29. März nach Ergreifung des Täters über die strittigen Details "nur unvollständig und beschönigend" informiert worden sei. Auf der Pressekonferenz hatte Schönbohm die Polizei für den Erfolg in höchsten Tönen gelobt.

Nach Zeitungsberichten soll auch die Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring nichts von den Merkwürdigkeiten gewusst haben. Leichsenring hatte den schnellen Fahndungserfolg der Polizei hervorgehoben. "Ich war überzeugt, dass wir mehr Zeit brauchen", sagte sie damals.

Inzwischen hat der Inspekteur der Brandenburger Polizei nach entsprechendem Auftrag des Innenministeriums seinen Prüfbericht vorgelegt. Laut Schönbohm finden sich auch darin "kritische Anmerkungen" zu Fahndungsdetails, "die jetzt nachgearbeitet werden müssen". Dennoch bestätige der Prüfbericht, dass die "ermittlungstaktischen Grundsätze" richtig gewesen seien, sagt der Minister. Personelle Konsequenzen schloss Innenstaatssekretär Eike Lancelle daher "kategorisch" aus.

"Die Polizei hatte die schwierige Aufgabe, 4000 Hinweisen nachzugehen", sagte auch Andreas Schuster, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Es lasse sich im Nachhinein trefflich streiten, ob die Prioritätenliste zur Abarbeitung der Hinweise richtig gewesen sei. Schuster kritisierte jedoch, dass ein auf Bewährung entlassener Mann wie Stefan Jahn fünf Taten begehen konnte, ohne nach dem ersten Delikt wieder "hinter Schloss und Riegel" zu wandern.

Justizminister Kurt Schelter müsse prüfen, warum Jahn "beim ersten Verstoß gegen Bewährungsauflagen nicht wieder dem Strafvollzug zugeführt wurde", sagte Schuster. Jahn kam im Januar 2000 frei, die Polizei erwischte ihn schon im März 2000 erneut beim Autodiebstahl. Schusters Fazit: Wäre Jahn eingesperrt worden, hätte er Ulrike nicht ermorden können.

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