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Brandenburg: Diagnose: Schuldfähig

Sabine H., die neun Babys getötet haben soll, ist laut Gutachter geistig gesund und sehr intelligent

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) - Die Angeklagte ließ nur selten eine Regung erkennen. Sorgfältig geschminkt und frisiert nahm Sabine H. zur Kenntnis, dass ihr der psychiatrische Gutachter eine fast schon überdurchschnittliche Intelligenz bescheinigte. Zweieinhalb Stunden lang trug Matthias Lammel gestern vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) seine Einschätzung über die Mutter vor, die neun ihrer 13 Kinder nach der Geburt getötet haben soll. Sein Urteil hätte nicht klarer ausfallen können: Sabine H. ist voll schuldfähig. Er habe keinerlei krankhafte psychische oder Persönlichkeitsstörung diagnostizieren können, sagte Lammel.

Auch die Alkoholexzesse der Angeklagten seien kein Schuldminderungsgrund. Sabine H., die sich vor Gericht nach wie vor nicht zu den Tatvorwürfen äußert, hatte bei der polizeilichen Vernehmung ausgesagt, sich bei Einsetzen der Wehen manchmal mit drei Flaschen Korn betrunken zu haben. „Sonst hätte ich die Babys nicht unversorgt lassen können“, begründet sie dies. Der Gutachter hält zwar dieses Motiv, nicht aber den Grad der Trunkenheit für glaubwürdig, da die Angeklagte die Spuren der Geburten in allen neun Fällen offenbar perfekt beseitigte. „Im Vollrausch kann sie daher nicht gewesen sein“, sagte Lammel. „Es sei denn, jemand hat ihr dabei geholfen.“

Verständnis äußerte Lammel dafür, dass die meisten Verwandten von Sabine H. die Schwangerschaften nicht bemerkten. Sie sei ständig schwanger, also mal dicker, mal dünner, gewesen. Außerdem gäbe es in der Kriminalgeschichte unendlich viele Fälle, wo Frauen ihre Schwangerschaften verheimlichten. Lediglich der Ehemann hätte die Schwangerschaften bemerken müssen, sagte der Gutachter.

Unabhängig von der Schuldminderungsfrage bescheinigte Lammel der Angeklagten ein „gravierendes Reifedefizit“. Als Nesthäkchen habe sie in ihrer Familie viel Zuneigung erhalten. In der Schule hatte sie aufgrund ihrer hohen Intelligenz problemlos Erfolgserlebnisse. Dass sie dann nicht das Abitur machte, sondern eine Ausbildung in einem ungeliebten Beruf, sei ein Bruch gewesen. Ihre Bestätigung fand sie zunächst in der Liebe zu Oliver H., den sie mit 17 Jahren kennen lernte. Dann sei alles viel zu schnell gegangen, meint der Gutachter. Mit 20 war Sabine H. dreifache Mutter. Sie hatte keine Zeit sich auszuprobieren. Und sie hatte nicht gelernt, selbst aktiv auf ihre Umwelt zu reagieren. So habe sie gewartet, dass ihr Ehemann die von ihm nicht gewollte vierte Schwangerschaft bemerke. Als dieser dies nicht tat, stand sie bei der Geburt vor einem Problem: Entweder sie musste ihm das Baby zeigen oder es beiseite schaffen. Sie entschied sich für Letzteres – auch bei den folgenden acht Geburten.

Der Prozess wird am nächsten Dienstag fortgesetzt, das Urteil soll am 1. Juni verkündet werden.

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