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Brandenburg: Die Ernte zerfällt zu Staub

Wegen der Trockenheit ist die Hälfte des Getreides in Brandenburg nicht mehr zu retten. Viele Bauern könnte das ihre Existenz kosten

Von Sandra Dassler

Groß Beuchow. 15 063 reckt mit einem Schmerzenslaut den Hals vor. Unkontrolliert pendelt die große Zunge hin und her. Der aufgeblähte Leib zuckt und presst, aber die zwei kleinen Hufe, die hilflos aus ihm heraushängen, bewegen sich keinen Millimeter. 15 063 ist eine von 280 Milchkühen der Agrar GmbH & Co KG in Groß Beuchow bei Lübbenau. Draußen zeigt das Thermometer fast 30 Grad. Kein guter Tag zum Kalben.

„Und kein gutes Jahr für uns Bauern“, sagt Burghard Magoltz, und schlingt ein Seil um die Vorderläufe des Tieres, das zur Welt kommen will. „Haben Sie gesehen, wie niedrig das Korn steht? Die Ähren sind kurz, die Kornfüllung unzureichend – mindestens 50 Prozent der Getreideernte können wir abschreiben.“ Der 45–Jährige, der an der Berliner Humboldt-Uni Tierproduktion studierte, macht sich nichts vor: Seit Wochen hat es in der Lausitz nicht geregnet, die 1400 Hektar Acker- und Grünlandfläche, die Magoltz mit seinen 18 Kollegen bewirtschaftet, sind staubtrocken, eine Beregnung wäre zu teuer.

Inzwischen geht man auch im brandenburgischen Landwirtschaftsministerium von einer Missernte aus. „Die Verluste werden zwischen 30 und 50 Prozent liegen, eine solch dramatische Situation hatten wir zum letzten Mal im Jahr 1992“, sagt Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade. Nicht nur das Getreide, sondern auch die Ölsaaten seien verloren. Für viele der mit Krediten belasteten brandenburgischen Landwirte könnte das den Todesstoß bedeuten. Deshalb überlege man im Ministerium zurzeit, wie man die von Brüssel über Potsdam ausgereichten Prämien in diesem Jahr schon früher an die Bauern bringen kann. Für Wolfgang Scherske, den Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes Brandenburg, ist das ganz wichtig: „Im vergangenen Jahr kam das Geld sehr spät, nur weil irgendein Computerprogramm nicht lief. Das kostet zusätzliche Zinsen, die sich bei der diesjährigen Missernte kaum noch jemand leisten kann.“

Im Kuhstall von Groß Beuchow träumt Burghard Magoltz derweil von einer speziellen Versicherung – gegen Ernteverluste. „In Amerika gibt es das auch“, sagt er und zieht behutsam das neue Kalb heraus. Eigentlich ist er Geschäftsführer, aber „einen Wasserkopf können wir uns nicht leisten – ich greife mit zu.“ Magoltz lässt das Kleine von der erleichterten Mutterkuh abschlecken und erzählt von den Sorgen, die eine Missernte mit sich bringt. „Vielleicht können wir einen Teil des Getreides zum halben Preis loswerden, aber es wird auch nicht genug Futter für unsere Tiere geben. Das wiederum wirkt sich auf die Milchproduktion aus.“

Den Teufelskreis kennt man auch in Potsdam. Landwirtschaftsminister Wolfgang Birthler (SPD) hat deshalb bereits in Brüssel nachgefragt, ob nicht ein Teil der auf EU-Anordnung zwangsweise stillgelegten Grünflächen in den betroffenen Regionen zusätzlich zum Futteranbau genutzt werden können. Bei der letzten Trockenheit im Jahr 2000 wurde das anstandslos bewilligt. „Wir müssen klarmachen, dass hier eine extreme Notsituation besteht“, sagt Sprecher Schade.

Im Agrarbetrieb Groß Beuchow wird man wohl einige Mitarbeiter entlassen müssen, fürchtet Geschäftsführer Magoltz: „Wir könnten die Verluste nur kompensieren, wenn der Preis für Milch nach oben ginge. Aber damit ist nicht zu rechnen. Nirgendwo in Europa sind die Lebensmittelpreise so niedrig wie Deutschland.“ Dann holt er einen Eimer Wasser für die durstige Kuh Nummer 15 063, die noch ein paar Jährchen leben wird, wenn sie genügend Milch gibt. Ihr gerade geborenes Kälbchen hat Pech. Es ist männlich und endet spätestens in 20 Monaten als Steak.

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