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Brandenburg: Die Old Economy lebt: 100 Jahre Maßarbeit bei Siemens

Von klassischer Industrie zu High-Tech: Im Siemens-Werk in Moabit werden seit 1904 Turbinen für Kraftwerke hergestellt

Für die Regierung von Singapur gab es eine besondere Show: Mit ausgerolltem Teppich und „We are the Champions“ vom Band wurde die riesige Gasturbine auf den Tieflader gehievt. Videoausschnitte daraus waren später in einer Wahlwerbesendung zu sehen. Die Botschaft: umweltfreundliche Energie, Made in Germany. „Für solche Extras zahlen unsere Kunden drauf“, sagt Siemens-Sprecher Jörg Völker. Seit genau 100 Jahren werden im Siemenswerk in der Moabiter Huttenstraße Turbinen zur Energieerzeugung gefertigt.

Bei Siemens denken viele mittlerweile zuerst an Mobiltelefone. Ein Besuch in der Moabiter Huttenstraße kommt einem da wie eine Zeitreise vor. In dem Werk wird nicht nach dem Motto „immer kleiner“ gearbeitet. Im Gegenteil: Hier entstehen Gasturbinen für die Stromerzeugung, Stahlkolosse, die eine Stadt von 220 000 Einwohnern mit Energie versorgen können.

Im Jahr 1904 fing es hier an, damals noch unter dem Namen AEG. Der Berliner Architekt Peter Behrens entwarf die Halle, die heute unter Denkmalschutz steht. Zweimal wurde angebaut, jetzt misst sie 300 Meter. 1969 ging das Werk an Siemens. Seitdem wurden 420 Turbinen produziert. 14 000 Einzelteile müssen zusammengefügt werden, Space-Shuttle-Technologie kommt zum Einsatz, damit das Gerät Temperaturen von 1500 Grad aushält. Das Endprodukt kostet dann bis zu 20 Millionen Euro.

Um die Kosten zu senken, hat man sich im Laufe der Jahre immer mehr auf die Montage spezialisiert, erläuterte am Freitag Werkleiter Wolf-Dietrich Krüger. Einzelteile werden aus aller Welt zugeliefert. Die rund 1500 Mitarbeiter in der Herstellung bedienen computergesteuerte Maschinen, Handarbeit ist selten geworden – aber es gibt sie noch. Schlosser Gerhard Woidt ist am Freitagmorgen gerade damit beschäftigt, die Antriebsschaufeln am Turbinenrotor zu entgraten, also die Kanten abzuschleifen. Über 1000 Schaufeln hat der Rotor, mehrere Tage Arbeit für eine Person.

Über die Geschäftszahlen des Berliner Werkes macht Siemens keine Angaben. Im Konzern sei der Bereich Energieerzeugung allerdings ein Gewinnbringer, heißt es. 1,17 Milliarden Euro wurden als Ergebnis im Geschäftsjahr 2003 erzielt. Ende der 90er Jahre kaufte Siemens sich beim amerikanischen Konkurrenten Westinghouse ein und stieg damit hinter General Electrics zur weltweiten Nummer zwei auf. Über 90 Prozent der Kunden des Werkes sitzen im Ausland. Die Gasturbinen, die zurzeit in der Endfertigung liegen, gehen nach Kuwait, Israel, Indonesien. In Deutschland dagegen dominieren nach wie vor Kohle und Kernkraft als Energieträger. Bei Siemens sieht man aber Anzeichen für einen Wandel: Gerade hat das Werk einen Auftrag von Vattenfall für ein Kraftwerk an der Ostsee bekommen, erzählt Jörg Völker (54), der sich selber als typischen Siemens-Mitarbeiter bezeichnet: Großvater bei Siemens, Vater und zwei seiner fünf Kinder auch.

Die Berliner Energie wird nach wie vor ohne Siemens-Turbinen hergestellt, was Werksleiter Krüger „ausgesprochen bedauernswert“ findet. Auf den Standort lässt er aber nichts kommen. Internationale Geschäftspartner würden sich über das kulturelle Angebot freuen – und die amerikanischen über die vielen Golfplätze ringsum.

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