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Brandenburg: Die Schüler durften nur mit Passierschein in die Villa

POTSDAM .Was kostet der Atem der Geschichte?

POTSDAM .Was kostet der Atem der Geschichte? Diese Frage könnte kommende Woche im Potsdamer Amtsgericht bei der Versteigerung einer Babelsberger Villa aufkommen.Vor mehr als fünfzig Jahren fiel dort eine Entscheidung von welthistorischer Tragweite: In der Karl-Marx-Straße 2 (damals: Kaiserstraße), wo derzeit eine Segelschule und eine Veranstaltungsagentur ihr Domizil haben, residierte im Juli 1945 US-Präsident Harry S.Truman - während der "Potsdamer Konferenz" der alliierten Siegermächte.Daran erinnert seit 1994 neben der Eingangstür eine kleine Messingtafel, gestiftet von der US Army.Daß Truman hier, im "Little White House" von Babelsberg den Befehl zum Abwurf der Atombomben auf die japanischen Millionenstädte Hiroshima und Nagasaki gab, wird nicht erwähnt.Im hölzernen Schaukasten wirbt die Veranstaltungsagentur für die Villa: "Wie wäre es mit einer Hochzeit, einem Empfang, einem Klassentreffen, einer Konferenz ...in historischen Gemäuern?"

Wer aber wird der künftige Hausherr der Gründerzeitvilla, die so oft Besucher aus dem fernen Japan anzieht? Ein Wirtschaftsunternehmen, das einen "repräsentativen Firmensitz" in der alten preußischen Residenzstadt sucht? Eine Botschaft? Ein Mäzen, der eine kulturelle Nutzung ermöglicht? Wird das Denkmal öffentlich zugänglich bleiben? Die Antworten werden - nach einer jahrelangen Zitterpartie - nächste Woche vom dritten Hammerschlag des Auktionators abhängen.Das Mindestgebot für die Villa, für die es zahlreiche Interessenten geben soll, beträgt 3,5 Millionen Mark, das ist der halbe Verkehrswert.

Der heute marode Prunkbau war 1891 von den Architekten Heinrich Kayser und Karl von Großheim für die Babelsberger Verlegerfamilie Müller-Grote errichtet worden.Als das sowjetische Vorkommando für die Potsdamer Konferenz im Frühsommer 1945 Neubabelsberg hermetisch abriegelte, mußte die Familie innerhalb von vier Stunden das Haus "mit Sack und Pack" räumen, wie die damals 85jährige Gabriele Behrens, Tochter des Verleger Gustav-Müller Grote, im Dezember 1991 dem Tagesspiegel schrieb.Nach Truman nutzte zunächst Sowjetmarschall Shukow die Villa, dann die SED-Akademie für Staat und Recht "Walter Ulbricht", später eine Schule.Im August 1961, so ein DDR-Zeitungsbericht, soll auf der Terrasse ein DDR-Grenzsoldat erschossen worden sein, "von einem Westberliner Agenten".

Den Garten hinunter zum Ufer des Griebnitzsees, den Truman nach seinen Memoiren als "wunderschönen Park" beschrieb, zerschnitt da schon die Grenze.Das Republikflucht-Risiko war wohl auch der Grund, weshalb in den 70er Jahren der Schulbetrieb - Schüler und Lehrer durften nur mit Passierschein in die Truman-Villa - eingestellt wurde.Obwohl der DDR-Staat sonst kaum eine Gelegenheit ausließ, den "aggressiven US-Imperialismus" zu geißeln, erinnerte an der Babelsberger Villa nichts an Truman, nichts an den Atombomben-Befehl.Grenzgebiet - Zaungäste unerwünscht.Der historische Ort als Möbellager.Bis zum Mauerfall.

Vor einigen Jahren haben die Nachfahren Müller-Grotes, eine 17köpfige Erbengemeinschaft, die Immobilie zurückerhalten.Aber um das einstige Familienanwesen selbst zu sanieren und zu nutzen, fehlen offenbar Geld, Konzept und Einigkeit.Deshalb nun die "Teilungsversteigerung".Mehrere Versuche, die Immobilie über Makler anzubieten, zuerst für 10 Millionen Mark, zuletzt für 7,9 Millionen, waren fehlgeschlagen.Es fand sich kein Käufer, kein Wunder, der Sanierungsaufwand wird auf mehrere Millionen Mark geschätzt.

Die Chancen, in der Truman-Villa eine Gedenkstätte einzurichten, sind geschwunden, nachdem der erste Versuch scheiterte: Das im Mai 1994 eröffnete "Truman Memorial Center" mußte zwei Jahre später aufgeben.Kein Geld.Auch die Stadt Potsdam kann es sich nicht leisten, in der denkwürdigen Stätte eine Außenstelle des Potsdam-Museums einzurichten."Aber es ist ein wichtiger Ort.Wir wären bereit, im Flur eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Truman-Villa einzurichten", sagt Direktorin Monika Bierschenk."Über die Finanzierung müßte man mit dem neuen Eigentümer reden."

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