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Brandenburg: Die vergessenen Flutopfer von Strodehne

Um den Pegel der Elbe zu senken, werden die Havel-Niederungen geflutet. Die Anwohner klagen: Wir wurden nicht informiert

Von Claus-Dieter Steyer

Strodehne. Die Wehre bei Quitzöbel sind auf, die Elbe fließt in die Havel – und die tritt über die Ufer. Deshalb berührt die Elbeflut seit gestern eine neue Region: das Havelland zwischen Rathenow und der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt. Dort überschwemmt die Havel riesige Flächen. In einigen Dörfern stand das Wasser gestern schon auf den Straßen und in Kellern. Gefahr für Menschen soll jedoch nicht bestehen, versicherte das Landesumweltamt. Dennoch fühlen sich die Einwohner ungenügend gewarnt.

Ein gewaltiger Knall erschüttert am Nachmittag das kleine Dorf Strodehne direkt an der Havel. Kaum hat sich der Staub verzogen, schießen auch schon Wassermassen durch ein sechs Meter großes Loch im Deich in eine große Weide. Das hier abfließende Wasser soll die Havel entlasten. Sie fließt seit dem späten Dienstagabend rückwärts. So stark drückt das Elbwasser sie ab Quitzöbel zurück in Richtung Südwesten. 600 Kubikmeter Wasser aus der Elbe ergießen sich jetzt pro Sekunde ins Havelland. Dafür sank der Elbpegel um rund 20 Zentimeter.

Auf dem Weg von Quitzöbel ins 35 Kilometer entfernte Strodehne mischt sich die rot-braune Brühe aus der Elbe langsam mit dem klaren blauen Wasser der Havel, so dass es überall bunt schimmert. Ein bemerkenswertes Schauspiel. Doch für Romantik hat in Strodehne kaum jemand Zeit. „Wir fühlen uns hier völlig vergessen“, sagt Walter Aue auf dem „Backofenberg“ am Rande der Havel. „Niemand kümmert sich um uns. Der ganze Katastrophenstab konzentriert sich auf die Prignitz, nicht einmal in den Rundfunknachrichten tauchen wir auf.“ Der aus Berlin stammende Autor räumt mit seiner Frau die erste Etage leer und fährt am Nachmittag in die sichere Großstadt. Vorher sichert er noch die Mauer seines Hauses provisorisch mit Plastiktüten. „Sandsäcke gibt es hier nicht“, klagt Walter Aue.

Auch Nachbar Michael Schneider ist verärgert. Er sei zwar bei der Freiwilligen Feuerwehr, habe aber auch nichts gewusst: „Kein Alarm, nichts.“ Nicht einmal die Warnstufe 2, die nur verstärktes Beobachten verlange, sei erhöht worden. Auch die Sprengungen der Deiche habe niemand im Ort angekündigt. „Eine ältere Frau ist vor Schreck im Hof umgefallen. Zum Glück ist nichts weiter passiert“, sagt Schneider. Ein Mann am Kneipentisch wird deutlicher. „Wittenberge wird vielleicht gerettet, aber wir saufen hier ab“, sagt er. „Was ist schon ein Dorf mit knapp 300 Seelen gegen eine Stadt mit 22 000 Leuten?" Der Strodehner Fischer Wolfgang Schröder gibt sich dagegen gelassen – hat aber vorsorglich alle Boote aus der angeschwollenen Havel gezogen. Er macht sich im Moment weniger Sorgen um eine Überflutung seines Betriebes, als um mangelndes Interesse an seinem Fisch. In der Dorfgaststätte „Stadt Berlin“ schaut der Wirt immer wieder zur bedrohlich ansteigenden Havel. In größter Eile hat er sich privat einige Sandsäcke besorgt und damit eine kleine Barriere vor dem Keller gebaut. Doch von unten drückt schon das Grundwasser nach oben.

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