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Brandenburg: „Ein braver V-Mann kann die rechte Szene nicht aufklären“

Innenminister Jörg Schönbohm sieht die Fehler in der Affäre bei Berliner Behörden / Nazi-CDs „nicht vom Verfassungsschutz finanziert“

Herr Schönbohm, hat Berlin mit der Enttarnung des Brandenburger V-Mannes Schaden angerichtet?

Die ganze Diskussion schadet der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Wie angekündigt, habe ich die Berliner Kollegen angeschrieben und vorgeschlagen, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzusetzen, die offene Fragen klärt. Aber das Unangenehmste an der Sache ist, dass ein Strafverfahren gegen den Hauptverdächtigen wesentlich erschwert wird und weitere Hintermänner im Dunklen bleiben, weil die Sache zu früh aufgeflogen ist. Das ist wohl der Hauptschaden, vom Vertrauensverlust abgesehen.

Berlin hält entgegen, dass der V-Mann Toni S. mit Wissen des Brandenburger Verfassungsschutzes am Vertrieb neonazistischer CDs beteiligt war, also Straftaten begangen hat.

Der Verfassungsschutz muss jeweils abwägen, wie weit ein V-Mann gehen kann. Er darf keine Straftaten schwerer Art begehen, anderereits kann er sich, um in der Szene akzeptiert zu werden, auch etwas zuschulden kommen lassen. Diese Abwägung ist ein schwieriger Prozess. Bei Toni S. haben Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in einem Fall zugestimmt, dass er sich am Vertrieb von CDs beteiligen konnte, um an Hintermänner heranzukommen. Es handelt sich um wenige CDs. Aber ihm ist untersagt worden, dass er bestimmte Geldbeträge annimmt und weiterleitet, um die Produktion zu ermöglichen. Als es entsprechende Hinweise gab, hat der Verfassungsschutz selbst dafür gesorgt, dass bei der Staatsanwaltschaft Cottbus ein Verfahren eingeleitet wurde. Wenn man nur mit V-Leuten zusammenarbeitet, die sich ganz brav verhalten, wird man die rechte Szene nicht aufklären können.

Hat sich der V-Mann auch an der Produktion dieser Nazi-CDs beteiligt?

Nein, nach unserer Erkennntnis trifft das nicht zu.

Der V-Mann soll ausgesagt haben, dass die Produktion der Musik-CDs vom Verfassungsschutz finanziert worden ist.

Die Herstellung ist nicht vom Verfassungsschutz finanziert worden. Der V-Mann hat für seine Tätigkeit eine Entlohnung bekommen. Aber es gab keine logistische oder sonstige Unterstützung zum Herstellen von CDs.

Trotzdem wird in Berlin behauptet, der Verfassungsschutz habe die neonazistische Musik-Szene gefördert.

Die Behauptung ist falsch und zeugt von wenig Sachkenntnis. Es gibt rund 1000 neonazistische Musiktitel. Gerade deshalb muss der Verfassungschutz dagegen vorgehen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.

Ist der V-Mann „aus dem Ruder gelaufen"?

Es geht darum, ob er Straftaten begangen hat, wegen derer er nicht mehr als V-Mann hätte arbeiten dürfen. Ich kann nicht erkennen, dass er „aus dem Ruder gelaufen ist". Er ist regelmäßig vom V-Mann-Führer kontrolliert worden. Bis zu seiner Festnahme hat er wichtige Erkenntnisse geliefert. Aber er hat sich an der Verteilung von CDs beteiligt, und dagegen ist auch ermittelt worden.

Stimmt es, dass er wiederholt ermahnt werden musste und schwer steuerbar war?

Er war Teil der rechten Szene. Man musste ihn regelmäßig darauf hinweisen, wo die Grenzen seines Handelns als V-Mann sind.

War das Bundesamt für Verfassungsschutz, war das Berliner Landesamt informiert oder hat Brandenburg im Alleingang gehandelt?

Der Verfassungsschutz hat das, was in seiner Zuständigkeit zu tun ist, allein getan. Aber die Behörden der benachbarten Länder waren informiert, auch das Bundesamt.

Waren Sie über die Rolle des V-Mannes und die von ihm begangenen Straftaten informiert?

Ich lasse mich nicht über Einzelheiten geheimdienstlicher Operationen unterrichten, nur über wesentliche Ergebnisse. Ich weiß, wie viele V-Leute wir haben, aber die Einzelheiten ihres Einsatzes liegen in der Verantwortung des zuständigen Abteilungsleiters.

Gibt es eine interne Untersuchung, ob bei der Führung des V-Mannes Fehler begangen worden sind?

Ja.

Auch die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den V-Mann-Führer?

Ja, und wir werden die Staatsanwaltschaft darin unterstützen, weil aus Berlin immer wieder halbgare Informationen kommen. Es muss festgestellt werden, was Sache ist. Wenn Fehler gemacht wurden, werden sie aufgeklärt. Das ist wegen des Vertrauens zum Verfassungsschutz wichtig.

Hätte aus heutiger Sicht der V-Mann eher abgeschaltet werden müssen?

Wenn er früher abgeschaltet worden wäre, hätten wir vielleicht keinen Ärger gehabt, dafür aber auch weniger Erkenntnisse. Diese Abwägung ist angestellt worden. Wäre ich ein opportunistischer Politiker, würde ich jetzt sagen, natürlich hätte er abgeschaltet werden müssen. Aber ich muss als Innenminister bisweilen auch Ärger in Kauf nehmen, wenn es darum geht, bessere Erkenntnisse zur Sicherheit der rechtsstaatlichen Ordnung und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu bekommen.

Wird es Konsequenzen beim künftigen Einsatz von V-Leuten geben?

Wir werden erneut die Kriterien erörtern, wieweit ein V-Mann gehen darf, wann er abgeschaltet werden muss. Das muss in einer Einzelfallprüfung geschehen. Die grundsätzliche Frage werde ich mit dem Parlamentarischen Kontrollausschuss und denen besprechen, die sich bisher dazu geäußert haben. Eines steht aber fest: Ohne V-Leute könnten wir die Bekämfpung des Rechtsexstremismus einstellen.

Zur Enttarnung des V-Mannes kam es, weil es zwischen Berlin und Brandenburg keine Abstimmung gab. Wo liegen die Ursachen?

Das muss genau geprüft werden. Aber eine Sache ist jetzt schon klar: Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen Toni S. war den Berlinern bekannt. Ihnen war auch bekannt, dass wir diese Quelle haben. Vielleicht hängt die Enttarnung auch damit zusammen, dass es in Berlin einen gewissen Konkurrenzkampf gibt zwischen LKA und Verfassungsschutz, in den wir hineingeraten sind.

Fordern Sie künftig engere Abstimmung?

Ja, sie ist notwendig. Die Berliner haben ja schon gesagt, sie hätten alles richtig gemacht. Aber diese Aussage wird keinen Bestand haben, wir werden das klären. Nicht hinnehmbar ist, dass Ermittlungsergebnisse erst in der Presse stehen und wir sie danach erfahren. Die Zusammenarbeit lässt im Moment zu wünschen übrig. Die ständigen Indiskretionen und Halbwahrheiten machen die Sache schwierig. Was mich bedrückt, ist, dass das Vertrauen erschüttert ist.

Rechtfertigen die Straftaten des V-Mannes seine Enttarnung?

Wir waren der Auffassung: Nein. Aber wir werden die Ermittlungsergebnisse abwarten.

Das Interview führte Michael Mara

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