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Brandenburg: Ein Toter auf jedem Meter

26. April 1945: Zehntausende Soldaten und Zivilisten lassen ihr Leben in der Kesselschlacht von Halbe

Auch nach der Einschließung Berlins wurden im Bunker der Reichskanzlei noch Pläne ausgearbeitet, wie der sowjetische Ansturm zum Stehen gebracht werden sollte. Eine besondere Rolle dabei spielte die 9. Armee, oder besser gesagt, ihre Reste, die die Niederlage an der Oder überlebt hatten. Allerdings war die Lage für ihre nach Süden abgedrängten Verbände und das V. Armeekorps der Heeresgruppe Mitte seit dem 21./22. April selbst mehr als bedrohlich geworden: Immer deutlicher zeichnete sich die Gefahr ihrer Einkesselung ab. Um dem zu entgehen, beabsichtigte General Busse, der Oberbefehlshaber der 9. Armee, sich an Berlin vorbei nach Westen durchzuschlagen. Wie die Mehrzahl seiner Kameraden verzichtete er aber darauf, diese Absicht der Wehrmachtsführung zu melden. Hitler hatte am 22. April den Rückzug der noch an Oder und Neiße stehenden Truppen genehmigt, die die Front im Süden Berlins stabilisieren sollten. Das kam Busse entgegen; die Rücknahme der Truppen war auch Voraussetzung für einen Durchbruch zur Elbe.

Zugleich verfolgten Stalins Generäle in Moskau weiterhin das Ziel, größere deutsche Verbände von der Front abzuspalten, einzukreisen und zu vernichten. Bisher war dies nicht gelungen, nun erhielten in der Nacht zum 23. April die Fronten Shukows und Konews den Auftrag, die deutschen Verbände südöstlich der Stadt bis zum nächsten Tag einzukreisen und ihren Durchbruch nach Berlin oder in westliche Richtung in jedem Falle zu verhindern. Das gelang bereits am 23., als sich die Spitzen der 8. Gardearmee und der 3. Gardepanzerarmee bei Bohnsdorf und Schönefeld trafen.

Die Führung der nun eingeschlossenen 9. Armee ihrerseits „beachtete und beantwortete“ die Befehle aus Berlin nicht mehr, die zum Entsatz der Stadt aufforderten, schrieb General Busse nach dem Krieg. Sein Entschluss stand fest, „den Einschließungsring beiderseits Halbe zu sprengen und unter Ausnutzung der Waldzonen südlich Beelitz durchzustoßen“. In dem etwa 1200 Quadratkilometer großen Kessel um den kleinen märkischen Ort Halbe befanden sich mehr als 200 000 Menschen, darunter eine unbekannte Zahl von Zivilisten, Frauen, Kinder, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Ihre Lage wurde immer prekärer, da der Ring von den aus Norden und Osten angreifenden Truppen Shukows immer enger gezogen wurde.

Am 25. April begannen die ersten Durchbruchsversuche – und scheiterten. Die sowjetische Luftwaffe besaß die absolute Luftherrschaft, den Eingeschlossenen gingen Munition und Treibstoff aus. Am 28. April stand die Armeeführung endgültig vor der Alternative, entweder Kapitulation und russische Kriegsgefangenschaft oder Ausbruch um jeden Preis. Sie wählte Letzteres.

Im Forsthaus Hammer, zwischen Märkisch Buchholz und Halbe gelegen, fand am Nachmittag die letzte Lagebesprechung statt, auf der beschlossen wurde, alles auf eine Karte zu setzen und zur 12. Armee durchzubrechen. In den frühen Morgenstunden war der erste Einschließungsring von einer unbekannten Zahl von Personen überwunden. 4000 bis 5000 Menschen bezahlten dies mit ihrem Leben. Die Entkommenen setzten ihre Flucht fort, andauernd gegen immer neue sowjetische Sperrlinien ankämpfend. Unter den Soldaten tausende Zivilisten, die ebenfalls versuchten, der Roten Armee zu entkommen.

Völlig erschöpft sollen am 2. Mai, nach sieben Tagen 30 000 Personen, darunter 5000 Zivilisten die Linien der Armee Wenck bei Beelitz südwestlich Berlins erreicht haben. Die meisten von ihnen schafften es schließlich bis zur Elbe und den Amerikanern.

Doch auf den 60 Kilometern von Märkisch Buchholz bis Beelitz starben vermutlich 60 000 Menschen: 30 000 deutsche Soldaten, 10 000 Zivilisten, 20 000 Rotarmisten. Würde man jedem Toten auf dieser Strecke ein Kreuz setzen, stünde jeden Meter eines. Allein auf dem Soldatenfriedhof in Halbe ruhen mehr als 22 000 Menschen.

Der Autor ist Militärhistoriker und lebt in Erkner.

Richard Lakowski

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