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Brandenburg: "Entweder Du beschäftigst sie - oder sie beschäftigen Dich"

BRANDENBURG/HAVEL .Wachtürme aus Fertigbauteilen und betongraue Mauern erinnern an DDR-Grenzanlage.

BRANDENBURG/HAVEL .Wachtürme aus Fertigbauteilen und betongraue Mauern erinnern an DDR-Grenzanlage.Davor steht eine Baracke, in der eine Uniformierte den Ausweis gegen eine Besucherkarte wechselt.Ein Wärter holt den Gast ab.Der Summer der "Personenschleuse" ertönt.Routiniert treffen Schlüssel in die Schlüssellöcher.Der Wärter entriegelt ein Gitter.Es summt wieder, eine Aluminiumtür läßt sich aufdrücken.Dahinter liegt die Justizvollzugsanstalt Brandenburg (Havel): Backsteinerne Hafthäuser, Versorgungstrakte und Werkstatthallen - ein 45 Hektar großes Areal, eine kleine ummauerte Stadt.

Zwei über vier Meter hohe Mauern und ein Signaldrahtzaun schützen die Außenwelt vor den 778 Häftlingen, die hier langjährige Strafen absitzen: Mörder, Vergewaltiger, Rechtsradikale und Bankräuber zum Beispiel.Fünf Schlüssel brauchen die Wärter um hinein zu gelangen.Zentimeterdicke - und neue - Gitterstäbe unterteilen hier Trakte á 80 Haftplätze.Bis zu 24 Gefangene lebten vor der Wende in einer Zelle, heute sind es höchstens drei.Die Türen erinnern an Bunkereingänge.Anders als im Berliner Strafvollzug sind sie immer verriegelt.

Als Besucher in diese Haftanstalt zu kommen, ist eine Frage von Genehmigungen, mit Gefangenen zu sprechen nicht erlaubt.Denn seit der Flucht des Hintze-Entführers Sergej Serow aus der Untersuchungshaftanstalt Potsdam ist der brandenburgische Vollzug ein empfindliches Thema.Serow soll sich aus einem Toilettensitz Schlüssel gefeilt haben.Dann kletterte er durch eine Luke auf das Dach und seilte sich mit Bettlaken ab.

In Brandenburg (Havel) ist die Sicherheit nicht das Problem.Die Anstaltsmauern hat 1998 kein einziger Häftling überwunden.Nur einer entkam auf dem Weg zum Arzt.Doch das bedeutet nicht, daß der Vollzug reibungslos läuft.39 Häftlinge kehrten nicht mehr vom Freigang oder vom Hafturlaub zurück.Bis auf zwei haben sie sich gestellt oder sie wurden draußen festgenommen.Die größte Justizvollzugsanstalt (JVA) des Landes hat andere Probleme: - es gibt zuwenig Arbeit für die Insassen und bei der Vorbereitung für die Entlassung hapert es.

Hafthaus I: Im Speisesaal wartet ein Glatzköpfiger vor dem Kiosk.Bezahlt wird mit Plastikchips - Geld ist in der JVA nicht erlaubt.Um 6 Uhr 30 wecken, Zählung, Frühstück, Arbeit, Essen, Freizeit und um 20 Uhr 30 Einschluß - so sieht der Alltag hier aus.Vor der Küche stehen rauchende Häftlinge in grauen Hosen und blauen Hemden - der Anstaltskluft.Sie gehören zu den 414 Gefangenen, die in der Anstalt Arbeit haben.In der Küche, der hauseigenen Tischlerei, der Polster- oder der Schlosserei.113 Häftlinge haben keine Beschäftigung.Das ist weder für sie, noch für die Wärter einfach: "Beschäftige die Gefangenen, oder sie beschäftigen dich", sagt einer.

Auf dem Weg zum Hafthaus IV, das gerade für zehn Millionen Mark saniert wurde.Vor der inneren Mauer verläuft ein elektrischer Signaldraht.Versucht jemand, darüber hinwegzuklettern, klingeln in der Sicherheitszentrale die Alarmglocken.Vor der Wende verlief hinter der Mauer der "Hundegraben".Hafthaus IV sieht freundlich aus.Die Türen sind rot, die Gitter vor dem Fenstern waagerecht.Davor liegt ein "Freistundenhof", wo Basket- und Volleyball gespielt werden kann.Eigentlich war in Hafthaus IV "Wohngruppenvollzug" geplant: offene Zellen, Bewegungsfreiheit im Trakt.Doch die Türen bleiben zu - zuwenig Personal, heißt es.

"Mit Lockerungen ist man hier sehr restriktiv", sagt hingegen Johannes Drews (50), seit 1988 katholischer Anstaltspfarrer.Er glaubt, daß den Gefangenen mehr Freiheiten genommen wird als notwendig ist.Durch Ausschluß vom gemeinsamen Essen oder von der Arbeit.Wer sich nicht benehme, bleibt in der Zelle, sagt Drews.Und "man braucht für alles eine Genehmigung".Drews ist auch der Ansicht, daß viel mehr Häftlinge für den offenen Vollzug geeignet seien, als dorthin verlegt werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen brandenburgischen JVA ist die Haftanstalt nicht überbelegt.106 Betten fehlen laut Justizministerium landesweit.Zum Vergleich: Berlin hat 4851 Haftplätze, 4974 Häftlinge.Weil Potsdam mit rund 100 zusätzlichen Häftlingen pro Jahr rechnet und große Anstalten billiger kommen, wird neu gebaut.Im Jahr 2001 soll beispielsweise in Cottbus-Dissenchen ein neuer Anstaltsteil mit 605 Plätzen aufmachen.Das Potsdamer U-Haftgefängnis soll 2001 durch einen Neubau in Reckahn ersetzt werden.

"Quälereien, sexuelle Übergriffe und körperliche Mißhandlungen", konstatierte 1995 ein Bericht der Landesregierung zu den Zuständen im Strafvollzug.Das Thema sei "auch heute aktuell", sagt Gefängnispfarrer Drews.Zwar gehe es in der JVA "nicht drunter und drüber".Latente Gewaltandrohungen seien oft zu beobachten."Meistens geht es dann um Schulden, die durch den illegalen Kauf von Alkohol oder Handys entstehen", sagt Drews.16 "Übergriffe" auf Justizvollzugsbeamte ereigneten sich 1998 in Brandenburg."Die Zellentür zuknallen" oder "Ausrasten" mit eingerechnet.

Drews zufolge hat die Aggression im Strafvollzug in den vergangenen Jahren "stetig zugenommen".Die Gewalt sei Ausdruck von Resignation: "Es bewegt sich so wenig".Ursachen seien "eine striktere Auslegung der Gesetze, eine härtere Gangart im Vollzug".Seit einer Gesetzesverschärfung würden die Strafvollstreckungskammern beispielsweise viel seltener Reststrafen zur Bewährung aussetzen.Früher hätten Ersttäter damit rechnen können, nach zwei Drittel der Hafteit entlassen zu werden.

Der Pfarrer moniert, daß viel zu viele Häftlinge den größten Teil des Tages in der Zelle verbringen und fernsehen würden.Das sei für die Vollzugsbeamten bequem.Von Vorbereitung auf die Entlassung könne abernicht die Rede sein.Für die "Resozialisierung" sei es wichtig, daß die Gefangenen Kontakt zur Außenwelt pflegten, sagt Drews.Zu Weihnachten hatten 200 Häftlige niemanden, der ihnen ein Paket schicken wollte.

TOBIAS ARBINGER

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