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Brandenburg: Erinnerung an "Opfergruppen" zum Holocaust-Gedenktag

ORANIENBURG ."Strafkommando Schuhläufer - bis auf weiteres".

ORANIENBURG ."Strafkommando Schuhläufer - bis auf weiteres".Zu lesen ist dieser Satz auf der Akte eines Gefangenen des KZ Sachsenhausen.Haftgrund: Paragraph 175.Homosexuelle gehören, wie Sinti und Roma, Polen, Zeugen Jehovas zu den eher vergessenen Gruppen der Opfer des Nationalsozialismus.In diesem Jahr wird die Gedenkstätte Sachsenhausen den bundesweiten Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes, am 27.Januar, der Haftgruppe "Homosexuelle" widmen.

Eine "Premiere" nennt Eberhard Zastrau von Schwulenverband in Deutschland (SVD) diese Gedenkfeier.Sie ist, gemeinsam von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und dem SVD veranstaltet, die erste große offizielle Erinnerung an homosexuelle Opfer in einer der "authentischen" Gedenkstätten.Homosexuelle Männer wurden im Dritten Reich nach einer 1935 verschärften Fassung des Paragraphen 175 verurteilt.Oftmals kamen sie direkt im Anschluß an ihre Gefängnishaft zur zeitlich unbegrenzten "Schutzhaft" ins Konzentrationslager.

"Der Gesamtanteil der Homosexuellen in den Lagern war eher gering.Realistisch ist eine Schätzung zwischen 5 000 bis 15 000 homosexuellen KZ-Inhaftierten insgesamt", erklärt Joachim Müller, Mitarbeiter des Schwulen Museums und Mitglied im Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.Müller forscht seit 14 Jahren zu schwulen Männern im Nationalsozialismus, vor allem zu den Häftlingen im KZ Sachsenhausen.Unter den 200 000 Inhaftierten im Sachsenhausener Männerlager waren vermutlich 1000 Schwule, 600 sind namentlich nachgewiesen.In den Akten, die noch erhalten sind, tragen sie die Bezeichnung "175", "Aso 175" (für Asozial), J 175 (für Jude) oder "BV 175" - Befristeter Vorbeugehäftling.

Die Männer mit dem rosa Winkel waren in Sachsenhausen meist in der "Isolierung" untergebracht, einem von den übrigen Baracken durch einen Holzzaun abgegrenzten Bereich.Die Behandlung der Häftlinge war äußerst willkürlich, gerne wurden die schwulen Männer, auch unmittelbar nach ihrer Einlieferung, zu sogenannten "Strafkommandos" abgeurteilt.Das Strafkommando "Schuhläufer" hieß: Der Häftling mußte zur Prüfung der Haltbarkeit von Stiefelsohlen auf einer dafür vorgesehenen Teststrecke hinter dem Haupteingang des Lagers hin- und herlaufen, 40 Kilometer am Tag.Die oben zitierte Bezeichnung "bis auf weiteres" bedeutete eine besondere Härte.

Ein weiteres Sachsenhausener Strafkommando war das sogenannte "Klinkerwerk" außerhalb des KZ-Areals.Hier wurden Ziegel hergestellt und später, nach 1942, auch Rüstungsrohstoffe zurückgewonnen.Die Arbeit, zu der man vor allem Juden, Homosexuelle, Roma und Sinti und Zeugen Jehovas zwang, wird als unmenschlich hart beschrieben.Kaum einer überlebte sie lange."Klinker, sehr kalt, viele Kranke und Tote, 16./17.1.ca.287 Tote, höchste Todesziffer", lautet die Tagebuchnotiz eines jüdischen Gefangenen aus dem Jahr 1940.

Aus Berichten ehemaliger politischer Häftlinge läßt sich rekonstruieren, daß hier zwischen dem 2.Juli und dem 11.September 1942 auch eine gezielte Mordaktion gegen Rosa-Winkel Häftlinge stattgefunden hat.Heute ist das Gelände, das vor einigen Jahren Aufsehen in der Presse erregte, weil die Stadt Oranienburg just hier einen Gewerbepark errichten wollte, unter Denkmalschutz gestellt.Von den alten Anlagen ist, außer der ehemaligen Brotfabrik, kaum noch etwas zu sehen.Eine Gedenktafeln erinnert an die Mordaktion.

Mit der Idee, beim zentralen Gedenktag am 27.Januar zusätzlich eine einzelne Opfergruppe zu würdigen, geht Sachsenhausen, im Gegensatz zu anderen Gedenkstätten, unkonventionelle Wege.Im letzten Jahr war die Gedenkfeier den Zeugen Jehovas gewidmet, im Jahr 2000 werden es Sinti und Roma sein.Die diesjährige Erinnerung an die inhaftierten Homosexuellen bedeutet eine Anerkennung der Menschen, für die mit 1945 die strafrechtliche Verfolgung nicht aufhörte.Der Paragraph 175 galt in seiner verschärften "Nazi"-Fassung in der ehemaligen DDR bis 1968 und in der Bundesrepublik bis 1969.

Die Gedenkveranstaltung am Mittwoch, 27.Januar, beginnt um 11 Uhr an der ehemaligen "Station Z" in der Gedenkstätte Sachsenhausen, Straße der Nationen 22, in Oranienburg.Es sprechen Sozialministerin Regine Hildebrandt und der Historiker Hans-Georg Stümke.

Schwule Opfer wurden nicht entschädigt

Zahlreiche Gedenkveranstaltungen

POTSDAM ().Mit zahlreichen Veranstaltungen begeht Brandenburg heute den diesjährigen Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus.Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten widmet ihn den homosexuellen Opfern des KZ Sachsenhausen."Es ist bitter nötig, an diese vergessene Opfergruppe zu erinnern", sagte Eberhard Zastrau vom Schwulenverband in Deutschland, der die Veranstaltungen mitorganisiert hat.Zastrau erinnerte daran, daß Homosexuelle bis heute nicht als Opfer der Nazi-Herrschaft anerkannt seien und somit in der Regel keine Entschädigungszahlungen bekämen.Bis 1985 seien Homosexuelle von Politikern beim Gedenken an die Opfer der Nazidiktatur unerwähnt geblieben."Und fast 50 Jahre wurden sie von der Forschung nicht beachtet", sagte Zastrau.

Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) warnte vor einem Vergessen der Greueltaten des NS-Regimes.Vor dem Hintergrund einer "unglücklich" geführten Debatte um einen eventuellen Schlußstrich sei es besonders wichtig, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten, sagte er."Wir müssen ein Gespür für die Gefahr der Wiederholung entwickeln." Die Geschichte der Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden, Zwangsarbeitern, Roma und Sinti, Homosexuellen, geistig Behinderten und politischen Gegnern drohe zu verblassen, wenn sie auf Jahreszahlen und Schlagworte reduziert werde.Künftige Generationen müßten weiter zum Nachdenken provoziert werden.Die brandenburgischen Gedenkstätten für die Verfolgten des NS-Regimes seien nicht nur Orte der Totenehrung, sondern sollten auch Orte der historischen und politischen Aufklärung sein.

Der Landtag wird heute in einer Feierstunde der Opfer der Nazis gedenken.In der Gedenkstätte des früheren Frauen-KZ in Ravensbrück ist ein Vortrag über die 1944 von den Nazis hingerichtete Elisabeth von Thadden vorgesehen.In Frankfurt (Oder) sind unter anderem Spaziergänge auf den Spuren jüdischen Lebens geplant.Als Abschluß des Gedenktages wollen morgen Historiker in der Akademie der Künste in Berlin zum Thema "Biologismus und Rassenwahn im Nationalsozialismus - zwei Seiten der gleichen Ideologie?" diskutieren.

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