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Brandenburg: Ermyas M.: Noch ist vieles im Dunkeln

Heute beginnt der Prozess um die Attacke von Potsdam. Doch ihr Opfer kann sich bis heute kaum erinnern

Von Frank Jansen

Potsdam - Die Operationsnarbe zieht sich von der Stirn über die linke Kopfhälfte bis fast zum Nacken hinunter. Schon die Bilder, die Ermyas M. nach der Rückkehr aus der Klinik zeigen, lassen die Folgen des Faustschlags ahnen, der den Deutsch-Äthiopier über dem linken Auge getroffen hatte. In der Nacht zum 16. April 2006, Ostersonntag früh, in der Nähe des Potsdamer Bahnhofs Charlottenhof. Der Schlag, nach Erkenntnissen der Ermittler gab es nur diesen einen, hätte Ermyas M. beinahe das Leben gekostet. Eine Schädelbasisfraktur, einen Bruch der linken Augenhöhle und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma diagnostizierten die Ärzte im Potsdamer Ernst- von-Bergmann-Klinikum. Es dauerte Wochen, bis M. dem Tod entronnen war. Die Chirurgen haben fast ein Wunder vollbracht, unterstützt durch die kräftige Konstitution des Deutsch-Äthiopiers. Und viel Kraft, vor allem psychische, wird der 38-jährige Ingenieur auch jetzt wieder brauchen.

Am heutigen Mittwoch beginnt am Landgericht Potsdam der Prozess gegen die Tatverdächtigen Björn L. (29) und Thomas M. (31). Ermyas M. tritt als Nebenkläger auf, am Freitag soll er als Zeuge aussagen. Und er hat angekündigt, auch weiter an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen. Er muss dann nicht nur den Stress eines Prozesses aushalten, sondern auch den Ansturm der Medien. Obwohl in Brandenburg seit der Wiedervereinigung noch schlimmere Gewalttaten begangen wurden, hat kaum ein Fall so viel Aufmerksamkeit erregt. Der Sprecher des Landgerichts sagt, bis zu 60 Journalisten aus dem In- und Ausland hätten sich akkreditieren lassen wollen.

Der Potsdamer Fall ist so prominent, weil die Bewertung der Tat höchst umstritten war. Als Ostern die Berichte über die lebensgefährliche Verletzung von Ermyas M. durch die Medien rauschten, entfachten sie einen Sturm der Empörung. Er steigerte sich noch, als der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm zwei Tage nach der Tat die Ermittlungen an sich zog – weil er von einem rassistischen Angriff ausging, der die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden schien. Landesinnenminister Jörg Schönbohm (CDU) widersprach vehement und warf Nehm vor, er stigmatisiere Brandenburg. Wochenlang produzierte der Konflikt Stoff für Schlagzeilen. Im Mai steigerte sich die Aufregung noch, als der ehemalige Sprecher der Bundesregierung, Uwe-Karsten Heye, mit Blick auf die Fußball-WM vor „No-go- Areas“ für Ausländer in Ostdeutschland warnte – und speziell Brandenburg erwähnte. Schönbohm reagierte wieder heftig und hielt Heye eine „unglaubliche Entgleisung“ vor.

Die Ermittlungen ergaben allerdings, dass der Faustschlag gegen Ermyas M. nicht mit der für eine Anklage notwendigen Sicherheit auf ein fremdenfeindliches Motiv zurückzuführen sei. Ende Mai gab Nehm, kurz vor seinem Abschied in den Ruhestand, den Fall an die Potsdamer Staatsanwaltschaft ab.

Björn L. und Thomas M., beide auf freiem Fuß, bestreiten die Tat. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft Björn L. wegen gefährlicher Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ angeklagt. Die Höchststrafe wären zehn Jahre Haft. Thomas M. hält die Anklage unterlassene Hilfeleistung vor. Die Staatsanwaltschaft ist auch überzeugt, beide hätten den dunkelhäutigen M. als „Scheißnigger“ und „Oller Nigger“ beleidigt. Die Polizei fand später bei Björn L. rechtsextreme CDs.

Der Ablauf der Tat ist jedoch immer noch nicht in allen Details geklärt. So dürfte der Prozess, für den das Landgericht bereits 17 Verhandlungstage bis Ende April angesetzt hat, schwierig werden. Möglicherweise sind am Ende wenige Indizien entscheidend für das Urteil, das die 4. Strafkammer unter Vorsitz von Richter Michael Thies zu fällen hat. Vor allem der Mitschnitt auf der Mobilbox des Handys der Ehefrau von Ermyas M. belastet nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zumindest Björn L. Wegen seiner hohen Stimme wird der Türsteher von Freunden „Piepsi“ genannt – die Ermittler glauben, den markanten Ton in den „Nigger“-Rufen wiederzuerkennen. Sie wurden auf der Mobilbox gespeichert, weil Ermyas M. sein Handy nach einem vergeblichen Anruf bei der Ehefrau einfach anließ.

Offen bleibt, wie es überhaupt zu dem nächtlichen Streit kam, den Ermyas M. fast mit dem Leben bezahlt hätte. Haben die beiden Angeklagten ihn provoziert? Warum sagte der angetrunkene Deutsch- Äthiopier, wie auf der Mobilbox zu hören, „Schweinesau“ – und weshalb wollte er einen der Täter treten? Was genau haben die wenigen Zeugen beobachtet? Ermyas M. kann sich nur an wenig erinnern. Immerhin gehe es ihm, sagt sein Anwalt Thomas Zippel, angesichts der Schwere der Verletzung „überraschend gut“. Doch die physio- und psychotherapeutische Behandlung bleibe noch lange nötig.

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