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Brandenburg: Familienrichterin unter Verdacht

Vorwurf: Weil Akten liegen blieben, wurde nicht gegen Pädophilen ermittelt

Potsdam Brandenburgs Justiz- und Jugendbehörden geraten erneut ins Zwielicht: Ein gefährlicher Kinderschänder ist anscheinend jahrelang unbehelligt geblieben, weil offenbar eine Familienrichterin am Amtsgericht Nauen die Staatsanwaltschaft nicht über vorliegende Verdachtsmomente informierte. Auch das Jugendamt reagierte nicht – eine Parallele zum Fall des kürzlich in Cottbus in einer Tiefkühltruhe entdeckten Jungen Dennis, dessen Tod bei rechtzeitigem Reagieren von Ämtern vermutlich hätte verhindert werden können.

Das zuständige Landgericht nimmt die jetzt bekannt gewordene Informationspanne ernst. Es prüft die Einleitung dienstaufsichtsrechtlicher Maßnahmen gegen die Richterin, wie der Tagesspiegel am Dienstag aus Justizkreisen erfuhr.

Der Fall im Detail: Vor wenigen Tagen, am 12. Juli 2004, wurde Lothar S. durch die 2. Strafkammer des Landgerichts Potsdam wegen sexuellen Missbrauchs von drei Kindern in neun Fällen zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Ermittlungen hatten jedoch erst im Juli 2003 nach Anzeigen einer Mutter und eines Jugendlichen begonnen, obwohl es bereits vier Jahre zuvor in einem Familiengerichtsverfahren am Amtsgericht Nauen ernst zu nehmende Hinweise auf Kindesmissbrauch durch S. gab.

Bei dem damaligen Verfahren ging es um die amtliche „Inobhutnahme“ des damals zehnjährigen Jungen Manuel, die das Jugendamt des Landkreises Havelland wegen Verdachts des Kindesmissbrauchs gegen den Willen der Eltern veranlasst hatte. Da sein jüngerer Bruder Kevin, damals acht Jahre, die Aussagen von Manuel bestätigte, ließ die Familienrichterin ein Sachverständigen-Gutachten einholen. In diesem 35-seitigen Gutachten hieß es ausdrücklich, dass die Aussagen von Manuel glaubwürdig seien. Eine Kopie des Gutachtens schickte die Richterin zwar ans Jugendamt und an die Eltern, aber offenbar nicht an die Staatsanwaltschaft. In deren Akten findet es sich nicht. Fest steht, dass der Pädophile S. einige Jahre unbehelligt von Ermittlungen blieb. Er konnte bis Sommer 2003 weitere Kinder missbrauchen, darunter auch Manuels jüngeren Bruder Kevin. Für diesen hatte die Familienrichterin 1999 eine „psychologische Betreuung“ angeordnet. Warum weder Jugendamt noch Familienrichterin die Staatsanwaltschaft einschalteten, muss noch geklärt werden. Nach Gesetzeslage liegt es „im pflichtgemäßen Ermessen“ eines Richters, ihm bekannt gewordene Straftaten anzuzeigen. Bei Verbrechen ist dies jedoch nach einschlägigen Gesetzes-Kommentaren stets geboten.

Der neue Fall reiht sich ein in eine Reihe von Versagen von Ämtern bei Kindesmisshandlungen und -missbrauch, die das Land Brandenburg in die Schlagzeilen brachte. Neben dem Fall Dennis, dessen Verschwinden weder von Schule noch Jugendamt bemerkt wurde, hatten bereits das Schicksal des brutal misshandelten zweijährigen Pascal aus Strausberg sowie der Tod zweier verdursteter Kinder in Frankfurt (Oder) zuletzt Entsetzen ausgelöst. Michael Mara

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