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Brandenburg: Ganz großes Theater

Brandenburg stand im Jahr 2002 öfter bundesweit im Blickpunkt, als es seinen Politikern lieb sein konnte – ein Rückblick

Von Michael Mara

und Thorsten Metzner

Was für ein Jahr! 2002 hielt Brandenburg und seine Politiker in Atem. Das Jahr war so turbulent, dass das ansonsten provinzielle Brandenburg deutschlandweit immer wieder Schlagzeilen machte, leider meist negative. Auf der Bühne der Bundespolitik spielte es mehr als die sonst übliche Statistenrolle. Vorhang auf!

Zuerst die Machtprobe im Bundesrat: Die Abstimmung über das rot-grüne Zuwanderungsgesetz am 22. März, bei der alles von Brandenburgs Stimmen abhängen sollte, wird zur Zerreißprobe für die Große Koalition. Das inszenierte Ja-Nein-Ja aus der Brandenburger Ecke hilft zwar allen Beteiligten, das Gesicht zu wahren, führt aber zur ersten Vertrauenskrise in der Großen Koalition, weil Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) mit seinem Ja den Koalitionsvertrag bricht. Demnach hätte sich Brandenburg wegen Schönbohms Veto der Stimme enthalten müssen. Das Ja-Nein-Ja beschädigt Stolpes Ruf, kann aber das Zuwanderungsgesetz nicht retten: Im Dezember wird es vom Bundesverfassungsgericht gekippt.

Kaum ist die Koalition wieder zur Ruhe gekommen, der nächste Paukenschlag: Manfred Stolpe, dienstältester Regierungschef Deutschlands, räumt am 27. Juni auf dem SPD-Parteitag in Wittenberge freiwillig den Thron und macht so den Weg für Matthias Platzeck frei. Angeblich war alles „lange geplant“, doch Zweifel bleiben, zumindest was den Termin für den Stabwechsel angeht. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass der Eklat im Bundesrat Stolpes Abgang beschleunigt hat. Es geht nun Schlag auf Schlag: Ausgerechnet dem schneidigen Justizminister Kurt Schelter (CDU), für viele ein Mann ohne Fehl und Tadel, wird das Ministergehalt gepfändet. Er hat sich beim Kauf von Mietshäusern in Berlin verspekuliert und obendrein Ärger mit der Steuerfahndung. Sein Rücktritt im Juli ist nicht zu vermeiden – und er zieht sogar einen weiteren nach sich. Als die CDU die junge Juristin und Landtagsabgeordnete Barbara Richstein als Nachfolgerin von Schelter präsentiert, reagiert Platzeck sofort: Er schickt den glücklos agierenden Sozialminister und Stolpe-Genossen der ersten Stunde Alwin Ziel in den vorzeitigen Ruhestand. Und ersetzt diesen durch den Belziger SPD-Sozialdezernenten Günter Baaske. Platzeck, der zunächst mit der alten Mannschaft weiterregieren wollte und dafür aus den eigenen Reihen kritisiert wurde, zeigt erstmals im neuen Amt Führungsstärke.

Platzeck stellt sie auch beim Elbe-Hochwasser im August unter Beweis, wo er wieder in die Rolle des „Deichgrafen“ schlüpft, dem für Katastrophen zuständigen Innenminister Jörg Schönbohm die Schau stiehlt. Beide eilen um die Wette von Damm zu Damm, aber wie seinerzeit an der Oder ist Platzeck am häufigsten in den Medien präsent. Prompt klettert die SPD in den Umfrageergebnisse im September auf 46 Prozent. Für Schönbohm, den rastlosen Reformer, bleibt es ein schweres Jahr. Zwar setzt er die Polizei- und die Gemeindereform gegen alle Widerstände durch. Doch gerät er wegen der „V-Mann-Affäre“ unter Druck. Ein Informant des märkischen Verfassungsschutzes wird in Berlin verhaftet und später verurteilt, weil er mit Wissen des Verfassungsschutzes maßgeblich an der Produktion von rechtsextremistischen CDs mit Mordaufrufen beteiligt war.

Aber damit nicht genug: Schönbohm verliert im November auch noch ein weiteres Kabinettsmitglied, den umtriebigen und schillernden Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß: Er stolpert über einen privaten Millionenkredit eines Scheichs aus den Arabischen Emiraten. Sogleich schießen Spekulationen ins Kraut, weil die Scheichs die Chipfabrik in Frankfurt an der Oder und eine weitere in den arabischen Emiraten finanzieren wollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, stellt das Verfahren aber mangels Beweisen sein. Trotzdem erntet Brandenburg Hohn und Spott, weil Minister und Ex-Minister auffallend häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten. So wird im Februar der frühere SPD-Bauminister Jochen Wolf zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt, weil er seine Ehefrau von einem gedungenen Killer umbringen lassen wollte. Hingegen wird Ex-Agrarminister Edwin Zimmermann, der sich wegen der großzügigen Förderung einer Backstube auf dem Familienhof vor Gericht verantworten muss, vom Untreueverdacht freigesprochen.

Affären, Rücktritte, Rückschläge: Es war kein gutes Jahr für Brandenburg. Die Pleiten in Premnitz, von Cargolifter und Lausitzring, die Zitterpartie um die Chipfabrik, die Absage des Großinvestors Bonazzi an Schwedt. Alles Prestigeprojekte Stolpes, der nach der Bundestagswahl plötzlich im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder wiederzufinden ist. Als Superminister für Bau und Verkehr, zuständig auch für den Aufbau Ost. Gibt es auch gute Nachrichten? Natürlich, Plattner und VW investieren in Potsdam, das Fortunaportal erstrahlt wieder in alter Pracht. In Eberswalde lockt die Landesgartenschau 600 000 Besucher an. ORB und SFB fusionieren. Und endlich kommt der Rote-Adler-Orden.

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