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Brandenburg: Generalprobe für einen Tisch

100 wichtigste Fragen sollen am „Table of Free Voices“ gelöst werden. Eine technische Herausforderung

Ein geheimer Ort in Kreuzberg. Eine Lagerhalle. Darin: Dutzende freiwillige Helfer aus aller Welt, eine Hand voll Techniker, die seit zwei Nächten nicht mehr geschlafen haben, eine genervte Malermeisterin – und unzählige Thermoskannen voller Kaffee. Es wird Englisch gesprochen. Eine Filmcrew, könnte man denken, eine Veranstaltung für internationale Studenten oder gar eine Theaterwerkstatt. Falsch. Am Wochenende durchlief in einem Hinterhof der größte runde Tisch der Welt seinen ersten offiziellen Test.

Das Projekt, dessen Herzstück er ist, heißt „Dropping Knowledge“. 112 Intellektuelle kommen nächsten Sonnabend von neun bis 18 Uhr zusammen und beantworten die wichtigsten 100 Fragen der Menschheit, die per Internet zusammengesammelt wurden. Das Frage-Antwort-Spiel findet am runden Tisch statt, unter dem Namen „Table of Free Voices“, und zwar entweder draußen auf dem Bebelplatz in Mitte. Oder – wenn es regnet – in Kreuzberg. Weshalb es zwei größte runde Tische der Welt gibt.

Die Geräuschkulisse in der Lagerhalle ist enorm. Mikrofontest am Riesentisch – Durchmesser: 33 Meter, Umfang: 110 Meter. Der ist ringförmig, und in seiner Mitte werden Sonnabend die Moderatoren stehen und die Fragen verlesen. „Just keep on reading“, immer weiterlesen, ruft Ralf Schmerberg, 41, der Initiator von „Dropping Knowledge“, 29 Helfern zu, die am Tisch sitzen. Und die brabbeln und quatschen, erzählen vom gestrigen Tag oder lesen aus ihrem Lieblingsbuch vor. Alle schauen konzentriert geradeaus, denn jeder Platz ist mit einem Mikrofon und einer digitalen Videokamera ausgestattet. Wie man die schnell einstellt, wird gerade geübt, damit beim Start alle 112 klugen Köpfe gut zu sehen sind.

Einer der Testleser ist Karumutta Sundaram, 33. Er ist aus Indien und studiert in Erfurt. Von dem Projekt hat er über Freunde erfahren. „Ich sah die Liste der geladenen berühmten Leute und war immer mehr begeistert“, sagt er. Unter den Berühmten: Schauspieler Willem Dafoe, Menschenrechtsaktivist Harry Wu, Regisseur Wim Wenders und die Bush-Gegnerin Cindy Sheehan.

Vor Sundaram hockt ein anderer Helfer und schraubt an einer Kamera herum, damit die richtig steht. Unter dem Tisch ist der Computer, der die Kameradaten zum Technik-Knotenpunkt in der Mitte sendet. Bei der Probe in Kreuzberg sind je 29 Kameras und Computer aktiv. Nächsten Sonnabend sind es dann 112. Das ergibt in neun Fragestunden mehr als 600 Stunden Videomaterial und mehr als 11 200 Antworten.

Drei Computerexperten, sie sind aus New York und London, sitzen am Technik-Knotenpunkt in der Mitte des runden Tisches. Sie koordinieren den Datenfluss. Die Informationen, Text und Bild, sollen so schnell wie möglich ins Internet eingespeist werden. Um zu sehen, ob alles funktioniert, haben sie den Testlauf organisiert, der statt nur ein paar Stunden fast den ganzen Tag dauert. Vor allem die „Volunteers“, die für die Kameras verantwortlich sind, müssen immer noch mal üben. Licht, Fokus, Ausschnitt, alles muss stimmen. Schmerberg steht mit der Stoppuhr hinter ihnen und gibt die Kommandos: alle Sitzenden aufstehen, ein paar Schritte zurückgehen, wieder herantreten, hinsetzen, Kameras einstellen. Und noch mal.

Die internationale Helfercrew erträgt das stundenlange Proben tapfer. Filiz Igrét, 34, eine „türkischstämmige Schwäbin“, die Politik studiert hat, unterstützt das Projekt, weil es ihre Idee eines interkulturellen Dialoges widerspiegelt.

Im Hintergrund streicht Malermeisterin Angela Dumsch, 41, mit einigen Helfern die letzten Teile des Tisches, der am Sonnabend auf dem Bebelplatz stehen soll. Der Tisch in der Halle ist schon fertig gemalt. Das umweltfreundliche Material, die sogenannten „mitteldichten Faserplatten“ aus Zellulose, erhalten einen Anstrich mit teurem Speziallack. Der hat einen interessanten Nebeneffekt: Er ist ausgesprochen gut beschreibbar. „Wir hoffen, dass die Antwortenden ihre Notizen auf dem Tisch verewigen“, sagt Tischarchitekt Nils Eichberg.

„Einfach, aber funktionell; zurückhaltend, aber auch symbolisch“, so wollten Eichberg und seine Kollegen den gigantischen Tisch gestalten. Schließlich, so sagen sie, sollen am kommenden Sonnabend die Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht der Tisch. Für dessen Ruhm ist ohnehin bereits gesorgt: Ihr Werk ist angemeldet fürs Guinnessbuch der Rekorde. Als größter Tisch der Welt.

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