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Brandenburg: „Hier brummt es in fünf Jahren“

Das Spreeufer in Kreuzberg-Friedrichshain zieht junge Firmen an – und wird langsam lebendig

Von Tobias Arbinger

Neben seinem Schreibtisch steht ein Tippkick-Spiel, über dem Sofa liegt eine Tarndecke, wie das Militär sie benutzt. Jacob Bilabel selbst trägt Turnschuhe zum Anzug. Sieht so ein Unternehmenssprecher aus? Zumindest in der Musikbranche, wo ein ungewöhnliches Outfit dazugehört. Bilabel arbeitet für Universal Music Deutschland, einen der größten Musikkonzerne, der vor kurzem von Hamburg in ein saniertes Speichergebäude am Osthafen in Friedrichshain umgezogen ist.

Bilabel zeigt über die Brüstung der Terrasse im achten Stock Richtung Spree, Oberbaumbrücke und Fernsehturm. „Hier in Berlin ist viel Platz und dennoch Leben“, sagt er. „Dort sitzt MTV, dort das englische Label Ministry of Sound, das Techno-Label Timing Recordings, die Agentur Vaporisateur“. Der Umzug war goldrichtig. „Wir sind viel näher an der Entwicklung“, sagt Bilabel. „Ich wette – hier brummt es in fünf Jahren.“

Gut 11 Millionen Euro hat der Medienkonzern in den Innenausbau des alten Eierkühlhauses investiert, einen Klinkerbau von 1929, direkt an der Oberbaumbrücke zwischen Hafenkränen und Spree. Lichte Arbeitswaben liegen an den Außenwänden, Großräume in der Mitte. Jedes Musiklabel hat ein eigenes Design: Bei den Pop- und Rocklabels Polydor und Mercury dominiert Holzfurnier im Stil der 80er, in der Hiphop-Abteilung Loft-Design, bei Deutsche Grammophon schwarz-weiße Sachlichkeit. Auf jeder Etage gibt es eine Bar und Lounge. Und ganz oben arbeitet Universal-Chef Tim Renner zwischen schwerem Leder, Parkett, Hifi-Elektronik und einem Plakat Ludwig II.

Das Land subventionierte den Umzug mit einer Millionensumme und hofft auf positive Nebeneffekte. Manch einem schwebt vor, dass sich die Gegend so entwickelt, wie die Londoner Docklands. Das frühere Hafenviertel ist heute ein gefragter Bürostandort. Hat das Areal um den Berliner Osthafen dasselbe Potenzial? Die nächsten Bauprojekte sind jedenfalls schon auf dem Weg. Am Ufer gegenüber plant der Projektentwickler des Eierkühlhauses und des benachbarten Spreespeichers Wert-Konzept den nächsten Gewerbestandort. Doch wie sieht es bislang rund um Universal aus? Ganz unterschiedlich: Je nachdem, ob man sich auf Kreuzberger oder Friedrichshainer Seite bewegt.

Der Chef von Webmeals.de, einem kleinen Friedrichshainer Restaurant etwas nördlich von Universal, klingt enttäuscht. „Die Gegend hat sich nicht so entwickelt, wie ich gedacht habe“, sagt Björn Loeckel, 32. Bei Webmeals.de kann man sein Mittagessen online bestellen. Als er Anfang 2001 hierher zog, hoffte Loeckel auf Kundschaft aus der benachbarten Bürostadt Oberbaumcity, wo sich viele Firmen der New Economy angesiedelt haben. Doch dann kam die Krise der Dotcom-Branche. Seit Mitte 2001 sind etliche Kunden verschwunden, sagt der Gastronom.

Nicht weit entfernt überragt der grün schimmernde Büroturm der Oberbaumcity die anderen Dächer. Der Glaswürfel ist das Wahrzeichen des 100 000 Quadratmeter großen Dienstleistungs-, Wohn- und Gewerbestandorts zwischen Spree und Bahntrasse. Einst wurden hier Glühlampen produziert, erst von Osram, zu DDR-Zeiten von Narva. Rund eine halbe Milliarde Euro steckte der Investor HVB in den 90er Jahren in den Umbau des alten Fabrikgeländes.

Unternehmen wie die Bahn AG, Quelle, Axel Springer, die Post, Thyssen Krupp, Sparkasse, „Maxim"-Magazin und Pixelpark haben sich hier angesiedelt. Doch von urbanem Leben ist wenig zu spüren. Das Klingelbrett des stolzen Büroturms ist bis auf einen n unbeschriftet, der einzige Mieter – Gameplay – weg. Hinter vielen Fenstern der Oberbaumcity regt sich nichts, etliche Läden sind leer. Für den alltäglichen Bedarf gibt es einen Zeitungskiosk, eine Kantine, ein Café und einen Italiener. Auf einigen der Höfe stehen bröcklige Quader aus Tuffstein. Die Witterung hat den Kunstwerken zugesetzt.

Etwa 70 Prozent der Flächen seien vermietet, sagt Martina Lüer von der Vermarktungs-Abteilung. Zehn Prozent Wegzug habe die HVB wegen des Einbruchs der New Economy verzeichnet. Doch Lüer ist optimistisch. Etlichen Unternehmen würden die Mieten in Mitte zu teuer. Die Oberbaumcity sei da eine Alternative. Und Universal? „Eine Bereicherung für den Standort.“

Auch auf Kreuzberger Seite der Spree wird Universal wahrgenommen. Schon, weil abends das blaue, haushohe Firmenlogo hinüber leuchtet. Hier, an der Schlesischen Straße, vergnügt sich derweil ein junges Publikum in kultigen Kneipen. Es geht ins Mysliwska, in den Freischwimmer, den Club der Visionäre oder ins Restaurant San Remo Upflamör mit Flohmarkt-Mobiliar und einer Empfehlung des „Merian“.

Die Schlesische Straße ist im Umbruch. Männerwohnheim, Döner-Kebab-Läden, Bierschwemme und daneben der Sitz des Quartiersmanagements für den Wrangelkiez. Arbeiten und Wohnen liegen dicht beieinander. Auch in die Fabrikgebäude am Kreuzberger Ufer sind längst Computer-, Medien- und Beratungsfirmen eingezogen. An der Schlesischen Straße 29-30 haben sie sogar eine eigene Anlegestelle an der Spree.

Es herrsche Aufbruchsstimmung, findet Christiane Fath, die in der Schlesischen Straße 28 das Framework betreibt, eine Architektur-Galerie mit Cafébar. Viele Beschäftigte aus den Höfen essen bei ihr zu Mittag. Universal verstärke die Entwicklung. Von dem Musikkonzern erwartet sie Impulse, die zu unserer Seite rüberschwappen.

Doch was soll schwappen? Aufträge vielleicht. „Wir wollen nur noch mit Berliner Dienstleistern arbeiten“, sagt Universal-Sprecher Bilabel. Seine Firma beschäftige Agenturen, CD-Hersteller, Kreative aus der Stadt. Warum sollten nicht auch Firmen aus der Gegend etwas vom Kuchen abbekommen? Zumindest die Imbisse. „Wir machen jeden Mittag Erkundungsgänge“, erzählt Bilabel. In der Oberbaumcity, an der Oranienstraße, bei einer Bude am Görlitzer Park. „Dort gab’s das beste Hühnchen, dass ich je gegessen habe.“ Eins zu null für Kreuzberg. Bis jetzt.

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