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Kinderschutz: Vorsorge rettet Leben

Wege zum besseren Kinderschutz in Brandenburg: Aus Fällen wie dem toten Dennis in der Tiefkühltruhe hat das Land Lehren gezogen. Aber es gibt immer noch Defizite, wie eine Studie zeigt.

Potsdam - Vier Kinder mussten sterben, auch weil Behörden, Kindergärten, Gerichte und Ärzte falsch gehandelt haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Brandenburger Jugendministeriums zur „Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung mit Todesfolge und schwerster Körperverletzung im Land Brandenburg“. Es könne davon ausgegangen werden, „dass in vier Fällen mit frühzeitigeren Interventionen die Entwicklung für das betroffene Kind positiv zu beeinflussen gewesen wäre“, heißt es darin. Anders gesagt: Die Kinder könnten noch leben.

Der Verfasser der Studie ist der Leiter der brandenburgischen Fachstelle Kinderschutz, Hans Leitner. Er hat alle 27 Misshandlungs- und Verwahrlosungsfälle mit Todesfolge oder schwerster Körperverletzung in Brandenburg aus den Jahren 2000 bis 2005 anhand der Ermittlungsakten analysiert. Täter waren immer die Eltern beziehungsweise deren Lebenspartner. Knapp zwei Drittel aller betroffenen Kinder waren nicht einmal sechs Monate alt, nur zwei Kinder älter als sechs Jahre. 15 Kinder kamen ums Leben, weil ihre Eltern sie im Affekt misshandelten, neun wurden unmittelbar nach der Geburt von ihren Müttern getötet, fünf Kinder von ihren Vätern vor dem Hintergrund von Trennungsdramen umgebracht. Die Eltern dieser Kinder stammten aus einem gefestigten sozialen Umfeld und hatten meist eine abgeschlossene Berufsausbildung bis hin zum Doktortitel. Dagegen hatten die Eltern, die ihre Kinder über einen längeren Zeitraum misshandelten, laut Studie nur eine geringe Bildung.

Fünf Kinder – vier Mädchen und ein Junge – starben, nachdem ihre Eltern oder Stiefeltern sie mehrmals misshandelt hatten. In vier dieser Fälle hätten die zuständigen kommunalen Jugendämter, Ärzte oder Kindergärten den Tod der Kinder verhindern können, sagt Leitner. So informierten Ärzte in einem Fall das Jugendamt erst nach vier Monaten über einen Misshandlungsverdacht. In einem anderem Fall wurde ein verletztes Kind in zwei verschiedenen Krankenhäusern behandelt. Die Ärzte beider Kliniken vertrauten darauf, dass die Mediziner des jeweils anderen Hauses das Jugendamt benachrichtigen würden – keiner tat es. Kitaerzieherinnen sprachen Eltern zwar auf die Verletzungen eines Kindes an – doch als diese das Kind daraufhin nicht mehr in den Kindergarten brachten, verfolgten sie die Angelegenheit nicht weiter. Jugendamtsmitarbeiter benötigten teilweise vier Wochen und länger, um Hinweisen auf Kindeswohl-Gefährdung nachzugehen.

Diese Vorgänge könnten heute aber nicht mehr geschehen, sagt Leitner. Das Landesjugendamt habe für seine kommunalen Mitarbeiter einen Handlungs-Leitfaden entwickelt, der ein genaues Verfahren im Umgang mit Hinweisen vorschreibt. Nachdem 2004 der Fall Dennis das Land erschüttert hatte, der von seinen Eltern bis zum Hungertod vernachlässigt und danach in der Tiefkühltruhe aufbewahrt worden war, wurden in allen 14 Landkreisen Kinderschutz-Arbeitsgruppen gegründet, in denen Vertreter der Jugendämter, der Justiz und der Polizei gemeinsam über Einzelfälle beraten. Und seit 2008 gilt in Brandenburg ein neues Gesetz: Die Vorsorge-Untersuchungen für Kleinkinder sind jetzt Pflicht. Eltern, die nach zweimaliger Aufforderung dieser nicht nachkommen, werden dem Amt gemeldet. Manche Städte wie die Landeshauptstadt Potsdam haben auch Baby-Begrüßungsdienste eingerichtet: Jugendhelfer besuchen junge Eltern, um ihnen Vertrauen zum Amt zu vermitteln, aber auch, um zu kontrollieren, ob es dem Neugeborenen gut geht.

Gleichwohl gebe es noch immer „Qualifikations-, Koordinations- sowie Informationsdefizite und Abstimmungsprobleme“, sagt der Sprecher des Jugendministeriums Reiner Walleser. So starben laut Kriminalstatistik in Brandenburg 2006 abermals acht Kinder eines gewaltsamen Todes – 50 Prozent mehr als im bundesdeutschen Durchschnitt.

Dennoch sei Brandenburg auf dem richtigen Weg, sagt Walleser. Und auch Leitner sagt, dass unter den heutigen Rahmenbedingungen die vier Kinder wahrscheinlich überlebt hätten. Allerdings mangele es noch immer am Informationsfluss zwischen den einzelnen Hilfsstellen – etwa Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und Jugendämtern. Hier müssten Gesetze regeln, wie Erzieher und Ärzte in Verdachtsmomenten vorgehen müssen. Das sieht man im Jugendministerium anders: Regeln zu verordnen, helfe nicht, sagte Walleser. Die verschiedenen Stellen müssten freiwillig zusammenarbeiten.

Juliane Wedemeyer

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