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© dpa

Kino: "Berlin Calling" - Mein Leben und ich

Paul Kalkbrenner, 31, ist weltweit ein Technostar: In "Berlin Calling" spielt der Friedrichshainer sich selbst und jettet durch internationale Klubs. Doch dann wird ihm sein Drogenkonsum zum Verhängnis.

Klarer Fall von Schizophrenie: Mit Paul Kalkbrenner und DJ Ickarus ist es ungefähr so wie mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Sie teilen sich den gleichen Körper, aber sie treten nie gleichzeitig in Erscheinung. Einer von ihnen ist die Kreatur, die der andere erschaffen hat. Und nicht zuletzt gibt es nun einen Film, der heute ins Kino kommt und der in gewisser Weise von beiden handelt.

Paul Kalkbrenner lacht. Der schlaksige, hibbelige Musiker aus Friedrichshain beantwortet nicht zum ersten Mal die Frage, wie viel Paul Kalkbrenner in DJ Ickarus steckt, dem Held des neuen Kinofilms „Berlin Calling“ von Hannes Stöhr. Sie liegt ja auch auf der Hand, wenn ein Berliner Techno-Musiker auf der Leinwand einen Berliner Techno-Musiker spielt. „Natürlich gibt es da ein paar Gemeinsamkeiten“, sagt Kalkbrenner und lacht.

Im echten Leben ist Kalkbrenner, der in Ostberliner Jugendclubs seine Karriere begann, zum Star der internationalen Techno-Szene aufgestiegen. Er jettet von Flughafen zu Flughafen, um in den Clubs der Welt seine Musik zu spielen. Ein DJ im klassischen Sinne ist er nicht, darauf legt Kalkbrenner Wert. „Ich lege keine Platten auf, ich spiele selbstkomponierte Musik am Computer.“

Und genau das tut auch DJ Ickarus im Film „Berlin Calling“. Wie Kalkbrenner zieht er durch die internationalen Clubs, wenn er nicht gerade an eigenen Techno-Alben feilt. Bei der Arbeit an seiner neuesten Platte wird ihm allerdings sein ausufernder Drogenkonsum zum Verhängnis: Einer seiner Trips endet in der psychiatrischen Notaufnahme. Die Ärztin Petra Paul (gespielt von Corinna Harfouch) diagnostiziert drogenbeeinflusste geistige Verwirrung. Ickarus bleibt in der Klinik, die Veröffentlichung seines Albums droht zu kippen, zu allem Überfluss läuft ihm auch noch die Freundin weg.

Die Irrwege des Films mögen Kalkbrenner erspart geblieben sein – doch natürlich konnte er viel eigene Erfahrung in seine Rolle einfließen lassen. Hannes Stöhr, den Regisseur, habe er vor viereinhalb Jahren kennengelernt, erinnert sich der Musiker. Er hatte dessen Film „Berlin is in Germany“ gesehen, der Regisseur wiederum kannte und mochte Kalkbrenners Album „Self“, das damals gerade erschienen war.

„Zuerst wollte Hannes nur, dass ich ihn bei der Entwicklung des Drehbuchs berate“, erinnert sich Kalkbrenner. Dabei ging es zunächst um ganz praktische Fragen: „Zum Beispiel, wie ein Techno-Musiker die Welt sieht, oder wie man Menschen im Club so darstellt, dass es nicht wie eine peinliche Disco-Szene im Tatort aussieht“, erzählt Kalkbrenner. „Techno funktioniert nicht mit Komparsen, das habe ich Hannes klargemacht. Man muss echte Tänzer im Club filmen.“ Später fragte Stöhr, ob Kalkbrenner nicht auch die Musik zum Film schreiben wolle. Er sagte zu. „So wurde die Zusammenarbeit immer intensiver, Hannes und ich wurden Freunde, und eines Tages meinte er: Paul, du musst jetzt auch die Hauptrolle spielen.“ Obwohl Kalkbrenner keinerlei Schauspielerfahrung hatte, sagte er ohne Zögern zu. „Vielleicht hatte ich insgeheim sogar damit geliebäugelt“, räumt er ein. „Schließlich war die ganze Rolle nach mir entwickelt worden. DJ Ickarus war immer mehr zu Paul Kalkbrenner geworden.“

Bei aller Szene-Nähe ist „Berlin Calling“ allerdings mehr als ein reiner Techno-Film. „Das merkt man auch bei den Vorführungen“, sagt Kalkbrenner. „Überall, wo wir den Film bisher gezeigt haben, bestand das Publikum nicht aus 20-jährigen Ravern, sondern eher aus Leuten in meinem Alter.“ Kalkbrenner ist 31, und auch die meisten Figuren im Film haben die 30 längst überschritten. „Es ist eben kein Retro-Film über die neunziger Jahre, sondern über Leute, die in den Neunzigern mit Techno in Berührung gekommen und inzwischen älter geworden sind“, sagt Kalkbrenner. Das entspreche durchaus der Realität in der Berliner Szene: „Techno ist reifer geworden“, findet Kalkbrenner.

Vorstellen kann sich der Musiker durchaus, in Zukunft öfter vor der Kamera zu stehen. Hannes Stöhr habe ihm von einigen Filmideen erzählt, mit denen er sich durchaus anfreunden könne. „Es müsste allerdings wieder genau so laufen wie bei diesem Projekt, wo ich von Anfang an dabei war und Schritt für Schritt in die Rolle hineinwachsen konnte", sagt Kalkbrenner. Klar, bei gezielter Persönlichkeitsspaltung sollte man besser nichts überstürzen – sonst endet es noch wie bei Dr. Jekyll und Mr.Hyde.

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