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Krampnitz-Affäre: Menschlich-politisches Drama in Potsdam

Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck sieht in ihm einen Freund und hält ihn für „restlos unbestechlich“. Trotzdem ist Rainer Speer seit der Krampnitz-Affäre zu einer Belastung geworden. Und in Potsdam spielt sich ein menschlich-politisches Drama ab.

Neun Minuten sind gespielt, da liegen die eigenen Jungs schon zurück. Freilich, den bulligen Typen, der hinten auf der Tribüne des Karl-Liebknecht-Stadions steht mit weißem Hemd, Bier in der Hand, Zigarillo im Mund und dem Rücken zur Wand, scheint das nicht zu erschüttern. Als sein Klub das Null-zu-Eins kassiert, ein Volleyschuss ins linke obere Eck, verzieht er keine Miene. Im Moment plagen Rainer Speer, 51 Jahre, Präsident von Babelsberg 03, Ex-Finanzminister und heutiger Innenminister von Brandenburg, ganz andere Nöte. Es ist nun schon Tag 14 einer brandenburgischen Affäre, in der er eine Hauptrolle spielt.

Und das kann man im „Karli“ spüren, wie das Stadion in Potsdam genannt wird, etwas ist anders als früher, oben auf der Tribüne: Rainer Speer steht ziemlich einsam da oben, wo sich sonst die Lokalmatadoren der Potsdamer Gesellschaft treffen. Jann Jakobs, Potsdams SPD-Oberbürgermeister, der nächste Woche wieder gewählt werden will, ist nicht erschienen. Vorstandskollege Frank Marzcinek blieb fern. Und auch der Stamm-Stehplatz von Matthias Platzeck oben rechts ist leer.

Zumindest der Ministerpräsident wollte kommen, blieb nur aus privaten Gründen kurzfristig fern. Erst eine Woche ist es her, dass sich Matthias Platzeck hinter Speer stellte und eine Ehrenerklärung abgab. „Restlos unbestechlich“, sei der, so befand der Regierungschef. Spätestens da, als er alles auf eine Karte setzte und sich so bedingungslos hinter seinen Vertrauten stellte, ist aus dem Fall Krampnitz eine Falle für Platzeck geworden.

Es ist eine aberwitzige Affäre, die Brandenburg erschüttert, Politiker von einer Fassungslosigkeit zur nächsten treibt und offizielle Pressemitteilungen so beginnen lässt: „Die Informationen basieren auf dem Wissenstand des Ministeriums der Finanzen am heutigen Tage. Die Überprüfung und Untersuchung des Gesamtvorgangs wird sich in den kommenden Tagen fortsetzen.“

Die Kurzversion dessen, was passiert ist, jähe Wendungen jederzeit möglich, geht etwa so: Brandenburg hat sich von einem windigen Anwalt, der vorgab, einen solventen Investor aus Dänemark zu vertreten, über den Tisch ziehen lassen. Denn der Investor sprang ab, der Anwalt hielt aber den Schein aufrecht, in dessen Auftrag zu verhandeln. Niemand im Finanzministerium, geführt von Rainer Speer, prüfte das nach. Und so kam es, dass man 2007 eine 112 Hektar große Kaserne im Potsdamer Norden nicht an die dänische Thylander-Gruppe verkaufte, wie es der Minister dem Landtag mitteilte, sondern an verschachtelte Firmen. Die einstige Heeres-Kavallierschule Krampnitz, verseucht mit russischen Altlasten, war mal passende Kulisse für einen Film über die Stalingrad-Schlacht gewesen. Für das aus allen Nähten platzende Potsdam – keine andere Stadt im Osten wächst so rasant – ist das heruntergekommene Gelände gleichwohl ein strategisches Filetstück. Trotzdem weiß die Landesführung lange nicht, an wen sie die einzige größere Fläche veräußert hat, auf der überhaupt noch Wohnungen gebaut werden können.

Als ob das nicht genug wäre, geht gleich noch die nächste Mine hoch. Dabei geht es um die Brandenburgische Boden-Gesellschaft (BBG), die im Auftrag des Landes frühere Militärflächen verwertet. Sie entwarf die Krampnitzer Verträge, 2006 war sie privatisiert worden. Der Käufer durfte 3,3 Millionen Euro vom 3,9 Millionen Euro Kaufpreis aus den Kassen der Firma begleichen, die er gerade erwarb. Zusammen mit einem Landesauftrag über mehrere Millionen.

Das alles sieht nicht gut aus für Rainer Speer, der als Sparkommissar galt. Und dann sind noch zwei Freunde, zwei Vorständler von Babelsberg 03 mittendrin in dem Schlamassel, oder sehr nahe dran, sodass die Opposition „Netzwerke“, „Filz“, „Vetternwirtschaft“ wittert. Wittern muss. Der eine, der Lausitzer Abrissunternehmer Frank Marzcinek hat die BBG gekauft und ein Jahr danach den Krampnitz-Deal eingefädelt. Im Verein hilft er Speer, die Sanierung des „Karli“ zu stemmen. Der andere, Thilo Steinbach, Unternehmensberater in Potsdam, Villa am Jungfernsee, war beim Krampnitz-Projekt ebenfalls mit an Bord. Es handelt sich um zwei ostdeutsche Aufsteiger, die 1990 mal kurz in der Politik schnupperten, in der de-Maizière-Regierung, Steinbach als außenpolitischer Berater, der bei den 2-plus-4-Verhandlungen dabei war, Marzcinek als Staatssekretär für Abrüstung. Beide zogen dann aber eine lukrative Karriere in der Wirtschaft vor.

Jetzt sind ihre Namen mit dem wilden Gebaren zweifelhafter Glücksritter verbunden, wie man sie in der Wendezeit durch den Osten marodieren sah. Nein, sagt Matthias Platzeck, einen Schaden für das Land „kann ich nicht erkennen“. Warum tut er das?

Alles bricht auf einmal über Speer zusammen, und über Platzeck gleich mit, dem seit dem Sieg bei der Landtagswahl vorigen Herbst die Fortune abhanden gekommen ist. Nur Ärger hat er in seinem Amt, erst um Rot-Rot, seinen Versöhnungsaufruf, Stasi-Verflechtungen; ein Minister ist schon zurückgetreten. Warum nimmt Platzeck auch dieses Risiko auf sich, gegen jede politische Logik, sich so uneingeschränkt vor den Freund zu stellen? Es ist ein menschlich-politisches Drama, das sich derzeit in Potsdam abspielt. Mehr im Hintergrund als auf offener Bühne.

Matthias Platzeck und Rainer Speer, das ist ein besonderes brandenburgisches Duo. Beide kennen sich seit Ewigkeiten. Oberflächlich waren sie sich schon zu DDR-Zeiten bekannt, als sich beide einen Autoanhänger teilten, Platzeck fürs Boot, Speer für Möbel, die er restaurierte. Nach der Wende, als sich die Wege erneut kreuzten, wurde daraus eine Freundschaft. Platzeck, bündnisgrüner Umweltminister in der SPD-Regierung Stolpe, holte diesen jungen Typen als Staatssekretär zu sich. Speer war damals Abteilungsleiter in der Staatskanzlei und ein Vertrauter von Manfred Stolpe. Der Vorschlag kam, typisch für die Symbiose, von Speer selbst. Keine andere Personalie hat sich für Platzeck so ausgezahlt. Sein Aufstieg danach, wäre nicht möglich gewesen ohne Rainer Speer, diesen Autodidakten und Nonkonformisten, der zu DDR-Zeiten Schlosser gelernt hatte, wegen politischer Unzuverlässigkeit von der Offiziershochschule der NVA in Löbau flog, einen Jugendklub leitete, Möbel restaurierte, in Potsdam die SPD mitgründete und bald die Klaviatur der Macht beherrschte wie wohl kein anderer märkischer Sozialdemokrat. Fortan hielt er Platzeck den Rücken frei, ebnete ihm die politische Karriere. Erst mal holte er ihn dafür in die richtige Partei, die SPD, und überzeugte ihn, das Ministeramt gegen den Oberbürgermeisterstuhl in Potsdam zu tauschen. Er fädelte, da war er selbst Chef der Staatskanzlei, die Ablösung von Stolpe ein.

Das Paar ergänzte sich perfekt, obwohl beide kaum gegensätzlicher sein könnten. Hier der bürgerliche Feingeist, Menschengewinner, dessen Stärke die großen Linien und die Marktplätze sind, aber nicht unbedingt die Akten. Und da Rainer Speer, der Strippenzieher, ein Mann fürs Grobe, der seine proletarisch-rotzige Art nie abgelegt hat. Man spricht vom „dualen System“ der Brandenburger SPD, in dem Speer für alles Unangenehme, Schwierige zuständig ist, bis heute. Er war es, der der Christdemokratin Johanna Wanka, die ihn als integer und verlässlich schätzt, die bittere Nachricht vom Wechsel zu Rot-Rot überbrachte. Platzeck sah ihm im Gegenzug manche Kapriole nach. So ist Rainer Speer immer mächtiger und für den Regierungschef Platzeck unverzichtbar geworden, einer der wenigen Sozis, der ihm öffentlich zu widersprechen wagt. Und nun wird er ihm gefährlich.

Ausgerechnet er, das Schutzschild und Frühwarnsystem für Platzeck, hat in eigener Sache versagt. Da rächt sich, dass er im berüchtigten Finanzministerium nicht durchgriff, dass er Warnsignale ignorierte, wie bei der Bodenreform-Affäre, als er jenen Abteilungsleiter, der stets dabei war, wenn es Ärger gab, auch jetzt wieder, nicht feuerte, sondern in Ehren in den Ruhestand verabschiedete. Dabei eilt Speer der Ruf voraus, misstrauisch wie eine Raubkatze zu sein. Warum ihn die Instinkte diesmal verließen?

„Es dauert, bis er einem vertraut“, sagt einer, der Speer wirklich gut kennt. „Aber wenn er es tut, dann richtig.“ Dass er trotzdem in der Bredouille ist, hat mit diesem Vertrauen zu tun. Frank Marczinek und Thilo Steinbach, mit dem Speer einst durchs kanadische Eismeer paddelte, müssen gewusst haben, dass der seriöse dänische Kaufinteressent für Krampnitz irgendwann verschwand. Gesagt haben soll es dem Finanzminister niemand. „Das ist bitter für ihn“, heißt es. Fragt man ihn selbst danach, wird er einsilbig.

So steht Speer plötzlich da wie ein Depp, liest in den Zeitungen, dass er kleinlaut sei, blauäugig, was so gar nicht zu dem von ihm kultivierten Image des Raubeins passt. Ausgerechnet er, der Durchsetzungsstarke, der gerade die Polizeireform anpacken, jede zweite Wache schließen will. Einmal bricht es in diesen Tagen, in denen er wie nie zuvor unter Hochspannung steht, sarkastisch aus ihm heraus. „Die woll’n mich wohl zum Karnickel machen.“

Übertölpelt worden zu sein, wäre in Brandenburg, wo manche Sitten und Gebräuche anders sind, zumindest kein Anlass, über den ein Politiker stürzen würde. Wenn es nur das wäre.

Aber das, was sich da zusammenbraut, ist weitaus bedrohlicher. Der Staatsanwalt wühlt sich durch die Akten, der Rechnungshof prüft, bald wird ein Untersuchungsausschuss sich unter anderem der Krampnitz-Abwicklung annehmen, sowie der Bodengesellschaft. Und dann ist da auch noch die Sache mit seinem Laptop. Der wurde Speer geklaut, irgendwann vorigen Oktober. Im Innenministerium herrschte sofort Alarmzustand, „als wäre ein Atomkoffer weggekommen“. Und das ist ein ziemlich treffender Vergleich. Zehn Jahre Herrschaftswissen, E-Mails, Unterlagen, Interna vagabundieren herum, erste Unterlagen sind aufgetaucht, eine Veröffentlichung in der „Bild“-Zeitung hat er gerade noch juristisch verhindert, vorerst.

Als er im „Spiegel“ zum Gegenangriff übergeht, sagt er, „erpressbar ist man nur, wenn man sich erpressen lässt“. Und trotzdem ist Speer angreifbar, verletzbar geworden.

Mit dem Material von der Festplatte in den falschen Händen dürfte es eine Frage der Zeit sein, ihn irgendwann öffentlich einer Unwahrheit zu überführen. Nun ist Speer keiner, der kneift. Aber er führt einen Kampf, den er kaum gewinnen kann. Die Frage leutet: Platzeck ohne Speer?

Es gibt einige Genossen, die darauf hoffen, „damit die scheindemokratische SPD wieder sozialdemokratisch wird“. Aber es ist eine Minderheit. „Undenkbar“, sagt ein gemeinsamer Freund. Und wenn, so fügt er ahnungsvoll hinzu, dann seien auch Platzecks Tage gezählt.

Im „Karli“ läuft inzwischen die zweite Halbzeit, Babelsbergs Rückstand ist auf zwei Tore angewachsen. Ehe Rainer Speer das Stadion vor dem Abpfiff verlässt, sagt er noch. „Sie kämpfen, sie haben eben mal Pech. Manche Spiele kann man noch drehen.“ Andere nicht.

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