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Leben im Fiat Liberty. Michael Dalchow wohnt seit zwei Jahren in einem Wohnwagen, abgestellt auf einem Parkplatz in Potsdam. Hinter ihm ist sein Schlafplatz, ein Bett über der Fahrerkabine.

© Manfred Thomas

Leben mit Hartz-IV: Letzter Halt Parkplatz

Ein Mann lebt seit zwei Jahren im Wohnmobil. Eine feste Bleibe hätte er gern. Doch da gibt es Probleme.

Es könnten Camper sein. Auf der Durchreise haben sie ihr Wohnmobil auf dem kleinen Parkplatz an der Kirschallee abgestellt und sind mal eben rübergeschlendert zum Krongut. Aber es ist nicht so, wie es scheint. Es sind keine Urlauber, die den alten Fiat Liberty am äußersten Platzrand geparkt haben, hinten, an einer Bretterwand, unter einem Baum.

Es war Michael Dalchow, er hat sich den Platz sehr genau ausgesucht, vor zwei Wochen etwa. Vorher stand er mit dem Wagen im Reiherweg, fast zwei Jahre lang, bis ihn ein Anwohner beim Ordnungsamt verpetzt hat. Ein Fahrzeug darf nicht im öffentlichen Straßenraum stehen, wenn es nicht versichert ist. Da hat Dalchow die alte Autobatterie von seinem Neffen geholt und den Turbodiesel des längst abgemeldeten Gefährts ein letztes Mal gestartet und auf seinen derzeitigen, wahrscheinlich letzten Standort gefahren. Kriegt er hier erneut einen Platzverweis, „weiß ich nicht mehr, was ich machen soll“, sagt Dalchow.

„Einen Winter“, dachte der bald 60-Jährige erst, „kriege ich hin. Ich bin hart im Nehmen.“ Es sollten zwei Winter werden. Bislang. Als er einmal im Januar dieses Jahres morgens aufwachte und einen Schluck trinken wollte, merkte er, dass die Limo in ihrer Flasche zu einem Block gelben Eises gefroren war. Die kleine Wetterstation auf dem Campingtisch zeigte minus zwölf Grad an. 18,50 Euro kostet eine Gasflasche. Bei Frost braucht er „alle drei Tage ’ne neue Flasche“. Nicht immer machbar bei 374 Euro Arbeitslosengeld im Monat. Nicht nur der nächste Winter, an den jemand in seiner Lage schon jetzt denken muss, macht Michael Dalchow Sorgen. In Alzey, einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, wo er zehn Jahre lang bei der Lufthansa als Haushandwerker arbeitete und gutes Geld verdiente, steht in einem Zimmer verstaut noch sein ganzer Hausstand, seine Möbel, darunter eine Polstergarnitur, die ihn einmal 1800 Euro gekostet hat. Doch jetzt drängt die Vermieterin, er soll die Sachen holen.

Wohl auch deshalb, weil sich seine Mietschulden für das Zimmer langsam der Höhe der Kaution nähern, die Dalchow bei ihr hinterlegte. „Besser gestern als heute“ brauche er eine Wohnung, am besten mit zwei Räumen, damit er seine Möbel ins Trockene bekommt. „Ich bin auf eine Erstausstattung nicht angewiesen, hab ich dem Jobcenter gesagt.“ Andere hätten es nötiger als er.

Das Potsdamer Wohnungsamt hat dem Hartz-IV-Empfänger bereits zwei Wohnungen „benannt“, wie der Nachweis leerer Wohnungen offiziell heißt, beide im Plattenbauwohngebiet Am Schlaatz. Doch die städtische Wohngesellschaft Gewoba zog jeweils einen anderen Mietinteressenten vor. Im Wohnungsamt erklärte eine Sachbearbeiterin – Dalchow: „Die ist nett“ –, die Ablehnung könnte auch an seinem Eintrag bei der Schufa liegen.

Die Gewoba will ihm nun doch helfen.

Acht- bis zehntausend Euro Schulden hat Dalchow, „denk ich mal“. 2000 Euro sind es allein bei der Krankenkasse – „da keine Beiträge mehr eingingen, weil ich arbeitslos wurde“. Vor der Lufthansa hatte er beim VEB Elektrokohle in Berlin-Lichtenberg Maschinenschlosser gelernt. Der Job in Alzey war „ein Volltreffer“ für ihn. Er kam als Leiharbeiter, wurde aber bald fest eingestellt. Die Wende sieht Dalchow positiv, als Junge sah er 1961 in Kleinmachnow die Panzer vorfahren. Silvester 1989/1990 stand er am Brandenburger Tor und hat „nur geheult“. Vor Glück. 2008 wurden in Alzey Arbeitsplätze abgebaut, Dalchow verlor seine Stelle. Dann kam es Schlag auf Schlag, zuerst starb seine Lebensgefährtin an Krebs. Am 8. August 2008, ein Datum mit drei Achten, wollte er seine Jutta heiraten. Doch am 24. Juli 2008 starb sie. Dalchow: „So spielt das Leben, leider.“

Ein Jahr später starb seine Mutter, die er aus Potsdam nach Alzey geholt hatte. Auf dem Sterbebett sagte sie noch zu ihm: „Junge, ich bin eigentlich stolz auf dich.“ Im August 2010 entschied er sich, nach Potsdam zurückzugehen. Hier wohnen seine Schwester, sein Neffe und eine Nichte. Doch sie haben alle selbst Familie, die Wohnungen sind beengt, sie können ihn nicht aufnehmen. Im Winter kann er auch mal zwei oder drei Nächte bei seinem Neffen übernachten, wenn es zu kalt ist im Wohnwagen.

Die tägliche Dusche und ein Mittagessen für 1,80 Euro erhält Dalchow in der Potsdamer Suppenküche. Auch seine Wäsche reinigt er dort. Jeden Dienstag holt er sich von der Potsdamer Tafel Nahrungsmittel für einen Euro. „Obst, Gemüse, Käse und wenn da ist, Wurst.“ Der kleine Kühlschrank in dem Wohnmobil läuft auf Gas, die Autobatterie schafft es nicht mehr. Das kleine Kofferradio „dudelt den ganzen Tag. Musik tröstet mich, man lässt ja schon mal die Ohren hängen“. Manchmal greift er zur Gitarre und spielt dann Lieder von Freddy Quinn. Einen kleinen Fernseher betreibt Dalchow mit Akkus, nur dass die ständig alle sind. Dafür liest er jetzt viel; er kauft in einem Antiquariat Bücher für einen Euro, „historische Sachen, Science Fiction, Krimis“. Und alles, was er von Erich von Däniken kriegen kann. „Ja, das ist meine Welt.“

Bis vor wenigen Tagen hatte er noch einen Hund, einen Mischling, groß wie ein Schäferhund,„der war meine einzige Bezugsperson“. Das Tier ist nun bei Bekannten. Denn sobald sich Dalchow auf seinen Weg in die Suppenküche machte, fing der im Wohnmobil zurückbleibende Hund fürchterlich an zu bellen, was ihm leicht die Aufmerksamkeit des Ordnungsamts hätte einbringen können.

Dalchow ist dünn, er wiegt bei einer Körpergröße von 1,92 Meter nur 67 Kilogramm. „Dürre war ich schon immer“, sagt er, „das gehört zu mir.“ Sein „Hausarzt“, Dalchow sagt wirklich „Hausarzt“, empfehle ihm künstliche Hüftgelenke, doch da will Dalchow „nicht so richtig ran“. Wenn er auch mal gern ein paar Bier in der Kneipe trinkt, bekennt er, „Alkoholiker bin ich nicht, ich könnte drei Wochen aufs Trockendock“.

Wenn er eine Wohnung hat, will Dalchow auch wieder arbeiten gehen. „Klinken putzen ist nicht so mein Ding“, sagt er, „irgendwann ist der Markt gesättigt, und was mache ich dann?“ So etwas wie Hausmeister schwebt ihm vor, „Elektro, Wasser, Abwasser, Tapezieren – kann ich alles“, sagt Michael Dalchow. „Ich hab’ mich immer wieder nach oben gebissen. Das wird auch dieses Mal so sein.“

Die Gewoba teilte mit, sie habe nicht gewusst, dass Dalchow in einer Notlage sei, da er eine Adresse angegeben habe. Es war die seines Neffen. Dalchows Fall werde erneut geprüft. Die Stadt Potsdam kündigte an, Dalchow zu helfen, damit er den Zuschlag für eine Wohnung erhält. Dieser sagt: „Es ist eine Notsituation aus meiner Sicht, da müsste doch was gehen...“ Zuletzt hat er allerdings eine Angebot für eine 36-Quadratmeter-Wohnung abgelehnt. Seine Möbel aus Alzey hätten nicht reingepasst, sagt er. Guido Berg

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